Die politischen und territorialen Veränderungen, welche in Deutschland, ausgelöst durch die Französischen Revolutionskriege, um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert eintraten, betrafen auch die Organisation der katholischen Kirche in erheblichem Maße. Indem der Reichsdeputationshauptschluß 1803 die geistlichen Herrschaftsgebiete säkularisierte, zerstörte er das System der Reichskirche. Am Rande des Wiener Kongresses 1814/15 bemühte sich der Vertreter der Kurie, Kardinal Ercole Consalvi, um den Abschluß eines Konkordats mit dem Deutschen Bund für den gesamten deutschen Raum. Dieses Vorhaben scheiterte, da die einzelnen Bundesstaaten ihre Souveränität wahren wollten und der Apostolische Stuhl eine mächtige Nationalkirche fürchtete. Jedoch strebten die Bundesfürsten ihrerseits eine Neuregelung der Verfassung der katholischen Kirche durch bilaterale Abkommen mit dem Heiligen Stuhl an.
Preußen war von den Umwälzungen um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert besonders stark betroffen. Infolge der Teilungen Polens 1772, 1793 und 1795 kamen die Diözesen Kulm und Ermland ganz zum preußischen Staat, dazu Gebiete aus vier weiteren Bistümern, deren Ordinarien außerhalb des Königreiches ihren Sitz hatten. Darunter stellte Pommerellen, das einschließlich der Stadt Danzig zum Bistum W³oc³awek (Leslau) gehörte, den größten Teil dar, der als Archidiakonat Pommerellen schon seit dem Mittelalter eine eigene Verwaltungseinheit unter einem vom Leslauer Bischof eingesetzten Offizial mit Sitz in Danzig gebildet hatte. Im Sprengel des Bistums W³oc³awek lagen außerdem noch die Dekanate Kruschwitz, Gniewkowo und Inowroc³aw. Bei den übrigen an Preußen gefallenen Gebieten handelte es sich um einzelne Dekanate aus den Diözesen P³ock, Posen und dem Erzbistum Gnesen. Das preußische Staatskirchenrecht, verankert im Allgemeinen Landrecht von 1794, duldete keine Einflußnahme ausländischer Bischöfe. Daher mußten die betreffenden Ordinarien jeweils einen Geistlichen im preußischen Teil ihres Bistums zu ihrem Offizial bestellen. Mittelfristig strebte die preußische Regierung eine Angleichung der Diözesan- an die Staatsgrenzen an. Besonders dringlich wurde die Reorganisation, nachdem der Wiener Kongreß 1815 Preußen weitere Gebiete mit einem hohen katholischen Bevölkerungsanteil, darunter das Rheinland und Westfalen, zugesprochen hatte.
So trat die preußische Regierung bald nach dem Wiener Kongreß in Verhandlungen mit der Kurie, als deren Ergebnis Papst Pius VII. am 16. Juli 1821 die Zirkumskriptionsbulle „De salute animarum“ erließ, die König Friedrich Wilhelm III. in einer Kabinettsordre vom 23. August desselben Jahres als Staatsgesetz billigte. Bemerkenswert und charakteristisch für die Umstände war die Form der Vereinbarung. Auf den Abschluß eines Konkordats, das heißt eines zweiseitigen Vertrages gleichberechtigter Partner mit völkerrechtlicher Bindung, wie zwischen katholischen Staaten und dem Heiligen Stuhl üblich, wollten sich die Verhandlungsparteien nicht einigen. Mit dem oben geschilderten Verfahren behauptete dagegen jede Seite formal ihre Rechtsposition: der preußische König wahrte entsprechend dem absolutistischen Staatskirchenrecht seine Landeshoheit in Kirchenangelegenheiten, der Papst blieb gemäß dem kanonischen Recht der alleinige oberste Gesetzgeber für die katholische Kirche und mußte den protestantischen Herrscher nicht an Entscheidungen bezüglich der Kirchenverfassung beteiligen. Immerhin kam es dank dieser diplomatischen Winkelzüge überhaupt zu einer Übereinkunft zwischen dem protestantischen Staat und der katholischen Kirche, letztlich zum Wohl der betroffenen Gläubigen. Auf derselben Rechtsgrundlage einigten sich in den darauffolgenden Jahren auch die übrigen protestantischen Souveräne des Deutschen Bundes mit dem Heiligen Stuhl über die Reorganisation der katholischen Kirche im ehemaligen Reichsgebiet.
Für die preußischen Westprovinzen errichtete Papst Pius VII. einen Metropolitanverband mit der Erzdiözese Köln und den Suffraganbistümern Trier, Münster und Paderborn, wobei die Sprengel dieser schon im alten Reich bestehenden Diözesen neu umschrieben wurden, damit ihre Grenzen sich weitgehend mit den Staatsgrenzen und politischen Verwaltungsbezirken deckten. Zwei jüngere Bistümer – Corvey und Aachen – wurden aufgehoben.
Im Osten Preußens vereinigte die Bulle „De salute animarum“ die Erzdiözese Gnesen und die Diözese Posen, welche nun zur Erzdiözese erhoben wurde, in Personalunion und errichtete eine Kirchenprovinz Gnesen-Posen mit dem Bistum Kulm als Suffragan. Wie im Falle des altehrwürdigen Metropolitanverbandes Gnesen knüpfte Papst Pius VII. auch bei Breslau und Ermland an eine alte Tradition an, indem er beide Diözesen für exemt, das heißt keinem Erzbischof, sondern dem Heiligen Stuhl direkt unterstehend, erklärte. Die Neuumschreibung der Bistümer zielte hier wie im Westen auf weitgehende Übereinstimmung mit den politischen Grenzen. Allein der Breslauer Sprengel reichte im Süden und Südosten in österreichisch-habsburgisches, nach dem Ersten Weltkrieg tschechisches Territorium hinein, und zwar in dem Landzipfel um den Johannesberg und Freiwaldau sowie im Teschener Gebiet. Umgekehrt hatten zwei ausländische Ordinarien, der Erzbischof von Prag in der Grafschaft Glatz und der Erzbischof von Olmütz im Kommissariat Branitz (Katscher), Jurisdiktionsrechte auf preußischem Boden. Darüber hinaus erfuhr die Diözese Breslau eine erhebliche Ausdehnung nach Nordwesten, indem ihr die Pfarreien der bis 1815 sächsischen, nun preußischen Lausitz sowie die in Preußen liegenden Pfarreien des Apostolischen Vikariats des Nordens zugeteilt wurden. Dieses Vikariat war nach dem Dreißigjährigen Krieg für die Katholiken in der norddeutschen und skandinavischen Diaspora errichtet worden. Der 1821 davon abgetrennte preußische Teil umfaßte Brandenburg und Pommern und sollte vom Propst der Hedwigskirche zu Berlin als dem Delegaten des Bischofs von Breslau verwaltet werden, weshalb sich hierfür die Bezeichnung „Delegaturbezirk“ einbürgerte. Aus diesem ging 1929 die Diözese Berlin hervor. Das Bistum Ermland erstreckte sich hauptsächlich über die Provinz Ostpreußen, wobei das Gebiet der mittelalterlichen, in der Reformation untergegangenen Diözese Samland miteinbezogen wurde. Außerdem wurden die fünf Dekanate der bis 1772 bestehenden politischen Verwaltungseinheit Palatinat Marienburg, die im Mittelalter zur Diözese Pomesanien gehörten und nach deren Untergang dem Bischof von Kulm unterstanden, nun dem ermländischen Sprengel zugeschlagen. Das Bistum Kulm umfaßte in seinem Hauptgebiet die Provinz Westpreußen. Die ursprünglich nur rechts der Weichsel gelegene Diözese wurde durch die Bulle „De salute animarum“ erheblich erweitert. Neben Pommerellen mit Danzig kamen das Dekanat Górzno aus der Diözese P³ock sowie die Dekanate Schlochau, Tuchel und Kamin aus dem Erzbistum Gnesen hinzu. Darüber hinaus gab es Überschneidungen mit anderen Provinzen. So reichte das Dekanat Lauenburg in die Provinz Pommern, das Dekanat Fordon in die Provinz Posen hinein; das westpreußische Dekanat Deutsch Krone wurde hingegen dem Erzbistum Gnesen-Posen zugeschlagen, da es vor 1772 zur Diözese Posen gehört hatte. Bemerkenswert ist noch, daß die Zisterzienserabtei Oliva nach dem Tod des letzten Kommendatarabts Joseph von Hohenzollern, der zugleich Bischof von Ermland war, aufgehoben und dem Bistum Kulm eingegliedert werden sollte. Außerdem verlegte die Bulle den Sitz der Diözese Kulm unter Beibehaltung des alten Namens von Kulmsee nach Pelplin, wo die Klosteranlage der zu säkularisierenden Zisterzienserabtei die Diözesanverwaltung aufnehmen sollte. Der Umzug fand 1823 statt und geschah zum einen, weil in Kulmsee die Kurialgebäude baufällig waren, zum anderen, weil Pelplin innerhalb der vergrößerten Diözese zentraler lag. Die Erzdiözese Gnesen-Posen deckte sich weitgehend mit der Provinz Posen. Aus ihrem Sprengel wurden, wie oben erwähnt, die westpreußischen Dekanate Schlochau, Tuchel und Kamin ausgegliedert und dem Bistum Kulm einverleibt. Umgekehrt erhielt der Erzbischof von Gnesen-Posen die Jurisdiktion über die Dekanate Kruschwitz, Gniewkowo und Inowroc³aw, welche zur Diözese W³oc³awek gehört hatten, sowie über die zur Provinz Posen geschlagenen Dekanate Ostrzeszów und Kempen aus dem Breslauer Sprengel.
Neben der Zirkumskription regelte die Bulle „De salute animarum“ noch die Verfassung der Domkapitel, die Einrichtung von Priesterseminaren, die Dotation der Bistümer sowie die Bischofswahl, auf die ein unter dem gleichen Datum wie die Bulle an die preußischen Domkapitel gerichtetes päpstliches Breve „Quod de fidelium“ noch näher einging. Mit der Ausführung der Bulle „De salute animarum“ betraute Papst Pius VII. den Fürstbischof von Ermland, Joseph von Hohenzollern. Die preußische Regierung stellte ihm den aus Westfalen stammenden katholischen Oberregierungsrat Johann Heinrich Schmedding als Zivilkommissar zur Seite.
Abgesehen von einigen zur Vereinfachung der Seelsorge im Laufe des 19. Jahrhunderts vereinbarten lokalen Korrekturen hatte die 1821 vorgenommene Zirkumskription der preußischen Diözesen bis nach dem Ersten Weltkrieg Bestand, als die veränderten politischen Grenzen erneut die Angleichung der Diözesanumschreibung erforderlich machten.
Quellen: E. R. Huber/W. Huber (Hrsg.): Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert. Dokumente zur Geschichte des deutschen Staatskirchenrechts, Bd. 1, Berlin 1973, S. 199-226, bes. Nr. 91, S. 204-221.
Lit.: A. Eichhorn: Die Ausführung der Bulle „De salute animarum“ in den einzelnen Diöcesen des Preußischen Staates durch den Fürstbischof von Ermland, Prinz Joseph von Hohenzollern, in: Zeitschrift für die Geschichte und Altertumskunde Ermlands 5 (1874), S. 1-130. – J. Jungnitz: Die Grenzen des Breslauer Bistums, in: Darstellungen und Quellen zur schlesischen Geschichte 3 (1907), S. 1-18; 4 (1908), S. 284-288. – H. Nottarp: Die Neuordnung der kirchlichen Verhältnisse in Altpreußen durch die Bulle De salute animarum, in: Theologie und Glaube 2 (1910), S. 450-458. – M. Bierbaum: Vorverhandlungen zur Bulle De salute animarum. Ein Beitrag zur römisch-preußischen Kirchenpolitik auf Grund unveröffentlichter vatikanischer Archivalien, Paderborn 1927. – K. Mörsdorf: Artikel „De salute animarum“, in: Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. 3, Freiburg/Br. 21959, Sp. 243f. – J.-P. Ravens: Staat und katholische Kirche in Preußens polnischen Teilungsgebieten (1772-1807), Wiesbaden 1963. – H. Raab: Der Untergang der Reichskirche in der großen Säkularisation, in: H. Jedin (Hrsg.), Handbuch der Kirchengeschichte, Bd. 5, Freiburg/Br., Basel, Wien 1970, Sonderausg. 1985, S. 533-554. – R. Lill: Kirchliche Reorganisation und Staatskirchentum in den Ländern des Deutschen Bundes und in der Schweiz, in: ebd., Bd. 6/1, 1971/1985, S. 160-173. – B. Kumor: Ustrój i organizacja koœcio³a polskiego w okresie niewoli narodowej (1772-1918) [Verfassung und Organisation der polnischen Kirche in der Zeit der nationalen Unfreiheit (1772-1918)], Kraków 1980, bes. S. 97-136, 175-191. – E. Gatz (Hrsg.): Geschichte des kirchlichen Lebens in den deutschsprachigen Ländern seit dem Ende des 18. Jahrhunderts. Die Katholische Kirche, Bd. 1, Freiburg/Br., Basel, Wien 1991, passim.
Bild: Papst Pius VII. Porträt von Jacques-Louis David, 1805 / Quelle: Wikipedie. Gemeinfrei.
Barbara Wolf-Dahm