Ereignis vom 1. Januar 1821

Neuumschreibung der preußischen Diözesen

Papst Pius VII.

Die politischen und territorialen Veränderungen, welche in Deutschland, ausgelöst durch die Französischen Revolutionskriege, um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert eintraten, betrafen auch die Organisation der katholischen Kirche in er­heblichem Maße. Indem der Reichsdeputationshauptschluß 1803 die geistlichen Herrschaftsgebiete säkularisierte, zerstörte er das System der Reichskirche. Am Rande des Wiener Kon­gresses 1814/15 bemühte sich der Vertreter der Kurie, Kardinal Ercole Consalvi, um den Abschluß eines Konkordats mit dem Deutschen Bund für den gesamten deutschen Raum. Dieses Vorhaben scheiterte, da die einzelnen Bundesstaaten ihre Sou­veränität wahren wollten und der Apostolische Stuhl eine mächtige Nationalkirche fürchtete. Jedoch strebten die Bundes­fürsten ihrerseits eine Neuregelung der Verfassung der katholi­schen Kirche durch bilaterale Abkommen mit dem Heiligen Stuhl an.

Preußen war von den Umwälzungen um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert besonders stark betroffen. Infolge der Teilungen Polens 1772, 1793 und 1795 kamen die Diözesen Kulm und Ermland ganz zum preußischen Staat, dazu Gebiete aus vier weiteren Bistümern, deren Ordinarien außerhalb des Königreiches ihren Sitz hatten. Darunter stellte Pommerellen, das einschließlich der Stadt Danzig zum Bistum W³oc³awek (Leslau) gehörte, den größten Teil dar, der als Archidiakonat Pommerellen schon seit dem Mittelalter eine eigene Verwal­tungseinheit unter einem vom Leslauer Bischof eingesetzten Offizial mit Sitz in Danzig gebildet hatte. Im Sprengel des Bi­stums W³oc³awek lagen außerdem noch die Dekanate Krusch­witz, Gniewkowo und Inowroc³aw. Bei den übrigen an Preu­ßen gefallenen Gebieten handelte es sich um einzelne Dekanate aus den Diözesen P³ock, Posen und dem Erzbistum Gnesen. Das preußische Staatskirchenrecht, verankert im All­gemeinen Landrecht von 1794, duldete keine Einflußnahme ausländi­scher Bischöfe. Daher mußten die betreffenden Ordi­narien jeweils einen Geistlichen im preußischen Teil ihres Bi­stums zu ihrem Offizial bestellen. Mittelfristig strebte die preußische Regie­rung eine Angleichung der Diözesan- an die Staats­gren­zen an. Besonders dringlich wurde die Reorganisa­tion, nach­dem der Wiener Kongreß 1815 Preußen weitere Ge­biete mit einem hohen katholischen Bevölkerungsanteil, darun­ter das Rhein­land und Westfalen, zugesprochen hatte.

So trat die preußische Regierung bald nach dem Wiener Kongreß in Verhandlungen mit der Kurie, als deren Ergebnis Papst Pius VII. am 16. Juli 1821 die Zirkumskriptionsbulle „De salute animarum“ erließ, die König Friedrich Wilhelm III. in einer Kabinettsordre vom 23. August desselben Jahres als Staatsge­setz billigte. Bemerkenswert und charakteristisch für die Um­stände war die Form der Vereinbarung. Auf den Abschluß eines Konkordats, das heißt eines zweiseitigen Vertrages gleich­berechtigter Partner mit völkerrechtlicher Bindung, wie zwischen katholischen Staaten und dem Heiligen Stuhl üblich, wollten sich die Verhandlungsparteien nicht einigen. Mit dem oben geschilderten Verfahren behauptete dagegen jede Seite formal ihre Rechtsposition: der preußische König wahrte ent­sprechend dem absolutistischen Staats­kir­chen­recht seine Lan­deshoheit in Kirchen­ange­legen­heiten, der Papst blieb gemäß dem kanonischen Recht der alleinige oberste Gesetz­geber für die katholische Kirche und mußte den protestantischen Herr­scher nicht an Entscheidungen bezüglich der Kirchen­ver­fas­sung beteiligen. Immerhin kam es dank dieser diplomatischen Win­­kelzüge überhaupt zu einer Übereinkunft zwischen dem prote­stantischen Staat und der katholischen Kirche, letztlich zum Wohl der betroffenen Gläubigen. Auf derselben Rechts­grund­­lage einigten sich in den darauffolgenden Jahren auch die übri­­gen protestantischen Souveräne des Deutschen Bundes mit dem Heiligen Stuhl über die Reorganisation der katholischen Kirche im ehemaligen Reichsgebiet.

Für die preußischen Westprovinzen errichtete Papst Pius VII. einen Metropolitanverband mit der Erzdiözese Köln und den Suffraganbistümern Trier, Münster und Paderborn, wobei die Sprengel dieser schon im alten Reich bestehenden Diözesen neu umschrieben wurden, damit ihre Grenzen sich weitgehend mit den Staatsgrenzen und politischen Verwaltungsbezirken deckten. Zwei jüngere Bistümer – Corvey und Aachen – wur­den aufgehoben.

Im Osten Preußens vereinigte die Bulle „De salute animarum“ die Erzdiözese Gnesen und die Diözese Posen, welche nun zur Erzdiözese erhoben wurde, in Personalunion und errichtete eine Kirchenprovinz Gnesen-Posen mit dem Bistum Kulm als Suffragan. Wie im Falle des altehrwürdigen Metropolitanver­bandes Gnesen knüpfte Papst Pius VII. auch bei Breslau und Ermland an eine alte Tradition an, indem er beide Diözesen für exemt, das heißt keinem Erzbischof, sondern dem Heiligen Stuhl direkt unterstehend, erklärte. Die Neuumschreibung der Bistümer zielte hier wie im Westen auf weitgehende Überein­stimmung mit den politischen Grenzen. Allein der Breslauer Sprengel reichte im Süden und Südosten in österreichisch-habsburgisches, nach dem Ersten Weltkrieg tschechisches Territorium hinein, und zwar in dem Landzipfel um den Jo­hannesberg und Freiwaldau sowie im Teschener Gebiet. Um­gekehrt hatten zwei ausländische Ordinarien, der Erzbischof von Prag in der Grafschaft Glatz und der Erzbischof von Ol­mütz im Kommissariat Branitz (Katscher), Jurisdiktionsrechte auf preußischem Boden. Darüber hinaus erfuhr die Diözese Breslau eine erhebliche Ausdehnung nach Nordwesten, indem ihr die Pfarreien der bis 1815 sächsischen, nun preußischen Lausitz sowie die in Preußen liegenden Pfarreien des Apostoli­schen Vikariats des Nordens zugeteilt wurden. Dieses Vikariat war nach dem Dreißigjährigen Krieg für die Katholiken in der norddeutschen und skandinavischen Diaspora errichtet worden. Der 1821 davon abgetrennte preußische Teil umfaßte Bran­denburg und Pommern und sollte vom Propst der Hedwigskir­che zu Berlin als dem Delegaten des Bischofs von Breslau verwaltet werden, weshalb sich hierfür die Bezeichnung „Delegaturbezirk“ einbürgerte. Aus diesem ging 1929 die Di­özese Berlin hervor. Das Bistum Ermland erstreckte sich hauptsächlich über die Provinz Ostpreußen, wobei das Gebiet der mittelalterlichen, in der Reformation untergegangenen Di­özese Samland miteinbezogen wurde. Außerdem wurden die fünf Dekanate der bis 1772 bestehenden politischen Verwal­tungseinheit Palatinat Marienburg, die im Mittelalter zur Di­özese Pomesanien gehörten und nach deren Untergang dem Bischof von Kulm unterstanden, nun dem ermländischen Sprengel zugeschlagen. Das Bistum Kulm umfaßte in seinem Hauptgebiet die Provinz Westpreußen. Die ursprünglich nur rechts der Weichsel gelegene Diözese wurde durch die Bulle „De salute animarum“ erheblich erweitert. Neben Pommerellen mit Danzig kamen das Dekanat Górzno aus der Diözese P³ock sowie die Dekanate Schlochau, Tuchel und Kamin aus dem Erzbistum Gnesen hinzu. Darüber hinaus gab es Überschnei­dungen mit anderen Provinzen. So reichte das Dekanat Lauen­burg in die Provinz Pommern, das Dekanat Fordon in die Pro­vinz Posen hinein; das westpreußische Dekanat Deutsch Krone wurde hingegen dem Erzbistum Gnesen-Posen zugeschlagen, da es vor 1772 zur Diözese Posen gehört hatte. Bemerkenswert ist noch, daß die Zisterzienserabtei Oliva nach dem Tod des letzten Kommendatarabts Joseph von Hohenzollern, der zu­gleich Bischof von Ermland war, aufgehoben und dem Bistum Kulm eingegliedert werden sollte. Außerdem verlegte die Bulle den Sitz der Diözese Kulm unter Beibehaltung des alten Na­mens von Kulmsee nach Pelplin, wo die Klosteranlage der zu säkularisierenden Zisterzienserabtei die Diözesanverwaltung aufnehmen sollte. Der Umzug fand 1823 statt und geschah zum einen, weil in Kulmsee die Kurialgebäude baufällig wa­ren, zum anderen, weil Pelplin innerhalb der vergrößerten Di­özese zentraler lag. Die Erzdiözese Gnesen-Posen deckte sich weitgehend mit der Provinz Posen. Aus ihrem Sprengel wur­den, wie oben erwähnt, die westpreußischen Dekanate Schlo­chau, Tuchel und Kamin ausgegliedert und dem Bistum Kulm ein­verleibt. Umgekehrt erhielt der Erzbischof von Gne­sen-Posen die Jurisdiktion über die Dekanate Kruschwitz, Gniew­ko­wo und Inowroc³aw, welche zur Diözese W³oc³awek gehört hat­ten, sowie über die zur Provinz Posen geschlagenen Deka­na­te Ostrzeszów und Kempen aus dem Breslauer Spren­gel.

Neben der Zirkumskription regelte die Bulle „De salute anima­rum“ noch die Verfassung der Domkapitel, die Einrichtung von Priesterseminaren, die Dotation der Bistümer sowie die Bischofswahl, auf die ein unter dem gleichen Datum wie die Bulle an die preußischen Domkapitel gerichtetes päpstliches Breve „Quod de fidelium“ noch näher einging. Mit der Aus­führung der Bulle „De salute animarum“ betraute Papst Pius VII. den Fürstbischof von Ermland, Joseph von Hohenzollern. Die preußische Regierung stellte ihm den aus Westfalen stam­menden katholischen Oberregierungsrat Johann Heinrich Sch­medding als Zivilkommissar zur Seite.

Abgesehen von einigen zur Vereinfachung der Seelsorge im Laufe des 19. Jahrhunderts vereinbarten lokalen Korrekturen hatte die 1821 vorgenommene Zirkumskription der preußi­schen Diözesen bis nach dem Ersten Weltkrieg Bestand, als die veränderten politischen Grenzen erneut die Angleichung der Diözesanumschreibung erforderlich machten.

Quellen: E. R. Huber/W. Huber (Hrsg.): Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert. Dokumente zur Geschichte des deutschen Staats­kir­chen­rechts, Bd. 1, Berlin 1973, S. 199-226, bes. Nr. 91, S. 204-221.

Lit.: A. Eichhorn: Die Ausführung der Bulle „De salute animarum“ in den einzelnen Diöcesen des Preußischen Staates durch den Fürst­bi­schof von Ermland, Prinz Joseph von Hohenzollern, in: Zeit­schrift für die Geschichte und Altertumskunde Ermlands 5 (1874), S. 1-130. – J. Jungnitz: Die Grenzen des Breslauer Bistums, in: Darstel­lun­gen und Quellen zur schlesischen Geschichte 3 (1907), S. 1-18; 4 (1908), S. 284-288. – H. Nottarp: Die Neuordnung der kirchlichen Ver­hältnisse in Altpreußen durch die Bulle De salute animarum, in: Theologie und Glaube 2 (1910), S. 450-458. – M. Bierbaum: Vor­ver­hand­lungen zur Bulle De salute animarum. Ein Beitrag zur römisch-preußi­schen Kir­chenpolitik auf Grund unveröffentlichter vatika­ni­scher Archivalien, Paderborn 1927. – K. Mörsdorf: Artikel „De salu­te animarum“, in: Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. 3, Frei­burg/Br. 21959, Sp. 243f. – J.-P. Ravens: Staat und katholische Kir­che in Preußens polni­schen Teilungsgebieten (1772-1807), Wies­ba­den 1963. – H. Raab: Der Untergang der Reichskirche in der großen Säku­la­risation, in: H. Jedin (Hrsg.), Handbuch der Kirchen­ge­schich­te, Bd. 5, Freiburg/Br., Basel, Wien 1970, Sonderausg. 1985, S. 533-554. – R. Lill: Kirchli­che Reorganisation und Staatskirchentum in den Ländern des Deut­schen Bundes und in der Schweiz, in: ebd., Bd. 6/1, 1971/1985, S. 160-173. – B. Kumor: Ustrój i organizacja koœcio³a polskiego w okresie niewoli narodowej (1772-1918) [Verfassung und Organisation der polnischen Kirche in der Zeit der natio­nalen Unfreiheit (1772-1918)], Kraków 1980, bes. S. 97-136, 175-191. – E. Gatz (Hrsg.): Geschichte des kirchlichen Lebens in den deutsch­sprachigen Ländern seit dem Ende des 18. Jahrhunderts. Die Katho­lische Kirche, Bd. 1, Freiburg/Br., Basel, Wien 1991, passim.

Bild: Papst Pius VII. Porträt von Jacques-Louis David, 1805 / Quelle: Wikipedie. Gemeinfrei.

Barbara Wolf-Dahm