Ereignis vom 1. Januar 1845

ORGELN DER FIRMA RIEGER AUS JÄGERNDORF AUF ALLEN ERDTEILEN

Schon für das Jahr 1945 verfasste der Musikwissenschaftler Rudolf Quoika zur 100-Jahrfeier der Orgelbau-Firma Rieger einen Beitrag Die Orgelbauer Rieger und ihr Haus, der aber aufgrund der Kriegsereignisse nicht veröffentlicht werden konnte. Quoika hatte 1965 in Mainz das Buch Der Orgelbau in Böhmen und Mähren veröffentlicht. Ebenfalls im Jahr 1965 hatte der Jägerndorfer Heimatbrief die Neufassung der für 1945 geplanten Publikation herausgegeben. Quoika hob hervor, dass der „Orgelbau, der jahrhundertelang hier geübt und gepflegt wurde, … Meister in der Heimat groß werden ließ und andere in die Fremde schickte, um von den geübten Händen auch anderswo zu berichten“. Er nannte Namen wie Jakob Rischak aus Troppau, Michael Engler aus Breslau oder Ignaz Kobler aus Olmütz, „der nach Wien ging und dort zum Großmeister seiner Kunst heranwuchs“. Der Sudetenschlesier Franz Rieger, der 1845 die erste Orgel für die Kirche auf dem Wallfahrtsort Burgberg bei Jägerndorf baute, überragte sie alle.

Rieger wurde am 13. Dezember 1813 in Zossen geboren und besuchte dort auch die Schule. Den Orgelbau lernte er bei Joseph Seyberth in Wien und erlebte dort in seiner Zeit als Gehilfe die Werke von Ignaz Kobler in der Wiener Schottenkirche und in der Klosterkirche von Heiligkreuz. 1844 hatte Rieger Rosalie Schmidt geheiratet, mit der er 1845 nach Jägerndorf zog, wo er sich als selbständiger Orgelbauer am Oberring niederließ und als erstes Großprojekt die Orgel in der Burgkirche baute. Sein Opus 1 wurde ein Erfolg und Rieger ein berühmter Mann, der Aufträge aus Schlesien, Mähren und Böhmen erhielt. Seine Söhne Otto und Gustav gingen beim Vater in die Lehre. Bald nannte sich die Firma „Franz Rieger und Söhne“ und ab 1873 „Gebrüder Rieger“, als Franz Rieger seinen Söhnen den Betrieb überließ. Er starb am 29. Januar 1886, nachdem er selbst fünfzig Orgeln erbaut hatte und erleben konnte, dass ihm Kaiser Franz Joseph das Goldene Verdienstkreuz verlieh und dass bis zu seinem Tode die Zahl der Rieger-Orgeln durch seine Söhne Otto und Gustav auf 180 gestiegen war.

Rieger-Orgeln standen schon bis zur Jahreswende 1900 außer in Deutschland und Österreich in Oslo, Gibraltar, Bukarest, Konstantinopel, Jerusalem und in Kirchen und Kathedralen zahlreicher Kronländer der Donaumonarchie, beispielsweise in Triest, Olmütz, Neusohl, im Zipser Kapitel und Stuhlweißenburg. Auf dem Prager Hradschin, in Warschau und Czernowitz in der Bukowina, in Neusatz, Kasan und in Rom erklangen zur Begrüßung des 20. Jahrhunderts Rieger-Orgeln.

 

Der Sohn Otto war 1847 als zweites von neun Kindern geboren, dem Gustav als drittes Kind 1948 folgte. Beide gingen zunächst beim Vater in die Lehre, später bei Joseph Ullmann in Wien, aber auch in Bamberg und Würzburg, ehe sie die Firma des Vaters übernahmen. Auf der Wiener sowie der Pariser Weltausstellung wurde ihre Arbeit mit Medaillen ausgezeichnet. Außer an Kirchen lieferten sie auch Orgeln an Komponisten und Künstler wie Anton Bruckner oder den k. k. Hoforganisten Rudolf Dittrich in Wien sowie für Konservatorien, Musikschulen und Akademien, an das Deutsche Haus in Brünn und das k. k. Hofburgtheater in Wien. 1890 gründeten Otto und Gustav Rieger eine Filiale in Budapest. Nach dem frühen Tod Otto Riegers begann mit Otto Rieger dem Jüngeren, dem Sohn Ottos, die dritte Generation der berühmten Orgelbauer. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges lieferte er jedes Jahr fast hundert Orgeln in alle Welt. Die Bestellungen kamen aus Rom und Agram, Wien und London, Lemberg und Lissabon, Tschenstochau und Brüssel, Buenos Aires und Mexiko. Otto Rieger der Jüngere wurde k. k. Hofliefernat und k. k. Hoforgelbauer. Papst Pius X. zeichnete ihn mit dem Ritterkreuz des St. Georgs-Ordens aus.1920 starb Otto Rieger (d.J.). Mehr als 75 Jahre hatten die Riegers in drei Generationen die Firma geführt. Österreich-Ungarn war zerschlagen, und es gab neue Grenzen in Mitteleuropa, das nach dem Krieg wirtschaftlich erschüttert war. Schon 1920 übertrug Anna Rieger, die Witwe Otto Riegers, die Leitung der Firma dem Ingenieur Josef von Glatter-Götz und erteilte ihm auch die Prokura.

Josef von Glatter-Götz, ein Schulfreund Otto Riegers (d.J.), war 1890 in Jägerndorf geboren und hatte die Militärakademie besucht, wo er als Absolvent des Geniekurses Ingenieur-Leutnant im Generalstab wurde. Nach dem Ersten Weltkrieg kam er als k. u. k. Oberleutnant nach Jägerndorf zurück. Als ausgebildeter Ingenieur lernte er die Orgelbaukunst und erwarb 1924 die Firma. Er bekam anfangs in der schwierigen Nachkriegszeit nur wenige Aufträge, aber bald stellten sich neue Erfolge ein: Er baute die Orgel für den Konzertsaal im Hotel Pupp in Karlsbad und für Kirchen und Musikakademiem in Marienbad und Przemyl, Beuthen und Preßburg. Schon 1924 hatte er Aufträge für Lima erhalten und für die größte Orgel Polens in Janov. Bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges lieferte die Firma Orgeln in die Tschechoslowakei, nach Deutschland und Polen, Finnland und Südafrika, Jerusalem und Litauen, China, Schweden, Brasilien, Argentinien und Österreich. Selbst im Krieg wurden 1940 noch Orgeln gefertigt, nicht nur für den Prager Rundfunk, sondern auch für Gleiwitz, Wien, Neusohl in der Slowakei, Breslau und Oppeln. Ab 1943 war der Bau von Orgeln verboten. Statt einer 100-Jahrfeier bekam die Firma 1945 einen tschechischen Verwalter aus Kuttenberg und wurde später durch das Dekret Nr. 33 des Präsidenten Beneš wie alles deutsche Besitztum enteignet. Bis dahin waren über 3.000 Orgeln in alle Welt geliefert worden.

1946 wurde die Orgelbaufirma von Josef Glatter Götz in Schwarzach im Vorarlberg neu gegründet und 1969 wurde sein ältester Sohn Caspar Glatter-Götz Betriebsleiter. In der Nachkriegszeit konnten nicht nur Orgeln nach Deutschland, Italien, Österreich und und die Schweiz geliefert werden, sondern auch nach Finnland und Großbritannien, in die USA, Haiti, Australien und Korea, Südafrika, Japan, Bethlehem, Jerusalem und Moskau, also wie früher unter den Riegers in alle Welt.

Lit.: Rudolf Quoika, Die Jägerndorfer Orgelbauer Rieger und ihr Haus, in: Jägerndorfer Heimatbrief Band 19, 1967. – Christoph Glatter-Götz, Rieger Orgelbau, Schwarzach 1995.

Bild: Rieger-Orgel in der Pfarrkirche Mauthausen aus dem Jahr 2000, Pfarrei St. Nikolaus, Mauthausen/ Österreich / Quelle: Rieger Orgelbau GmbH

Rudolf Grulich