Ereignis vom 3. April 1848

PRIVILEGIERTER NATION ZUR NATIONALEN MINDERHEIT: DIE SIEBENBÜRGER SACHSEN IN DER REVOLUTION VON 1848/49

Das Großfürstentum Siebenbürgen im Jahr 1862

In der Historiographie der Siebenbürger Sachsen wird gewöhn-lich die im Jahre 1876 erfolgte Auflösung ihres Selbstverwaltungsgebietes, des sogenannten Königsbodens, als die ein-schneidendste Zäsur in ihrer Geschich¬te seit der Einwanderung eingeschätzt. In Wirklichkeit handelt es sich dabei bloß um den Schlußpunkt einer Entwicklung, die bereits unter Kaiser Joseph II. 1781 durch die Einführung der sogenannten Konzivilität auf Sachsenboden begonnen hatte. Dadurch wurde nämlich das ausschließliche Besitz- und Wohnrecht der Sachsen auf ihrem Selbstverwaltungsgebiet aufgehoben. Die größten Veränderungen brachten hingegen die durch die Revolution von 1848/49 erzwungenen Reformen. Unter dem Druck der Märzrevolution in Wien versprach der österreichische Kaiser eine liberal-konstitutionelle Staatsordnung, politische und nationale Gleichberechtigung für alle Staatsbürger und Völkerschaften, Pressefreiheit sowie die Aufhebung der grundherrschaftlichen Verhältnisse. Die Umsetzung dieses Reformprogramms bedeutete für Siebenbürgen unter anderem das Ende der bisherigen privilegierten Stellung der drei ständischen Nationen und des mittelalterlichen Ständestaates, Gleichberechtigung für die bis dahin bloß tolerierten Rumänen und die Befreiung der hörigen Bauernschaft.

Es gehört zur Tragik der Siebenbürger Sachsen, daß die Gleich-berechtigung aller Landesbewohner und die Gewährung allgemeiner bürgerlicher Freiheiten für sie großen verfassungsrechtlichen Verlust und eine ethnische Bedrohung zur Folge hatte. Nicht darum, weil sie solche Rechte und Freiheiten ablehnten, im Gegenteil, sie besaßen bereits seit ihrer Ansiedlung in Siebenbürgen auf Königsboden ein privilegiertes auf Gleichheit fußendes Gemeinwesen, das keinen grundherrschaftlichen Adel, sondern bloß freie deutsche Siedler kannte, die auf ihrem Territorium exklusive Ver-waltungsautonomie, Besitz- und Bürgerrechte besaßen. Diese Prinzipien sicherten ihnen jahrhundertelang ihre ethnische Eigenart. Die Siebenbürger Sachsen bildeten neben dem Adel und den Szeklern einen der drei Stände (Nationen) Sieben-bürgens.

Als am 3. April 1848 die Nationsuniversität – das höchste politische Forum der Sachsen – die mittlerweile auf dem Territorium des sächsischen, autonomen Verwaltungsverbandes ansässig gewordenen Rumänen als gleichberechtigte Bürger anerkannte, war das sicherlich eine notwendige, aus den politischen Forderungen resultierende Entscheidung, die Sachsen hörten aber dadurch auf, eine privilegierte, sprich geschützte Nation zu sein. Sie wurden zu einer nationalen Minderheit im modernen Sinne des Wortes, denn sie bildeten bloß etwas mehr als neun Prozent der Gesamtbevölkerung des Großfürstentums Siebenbürgen. Über 50 Prozent gehörten dem Rumänentum an. Da die Sachsen sogar auf dem Sachsenboden nicht mehr die Mehrheit stellten, bemächtigte sich ihrer eine Untergangsstimmung und der Kampf um nationale Behauptung wurde hinfort zum zentralen Anliegen ihres politischen Handelns. Es gab sogar Über-legungen über eine Auswanderung nach Deutschland.

Die Siebenbürger Sachsen sahen sich zunächst durch die offen-sichtlichen Magyarisierungsabsichten bedroht, übersahen aber nicht, daß langfristig die rumänische Mehrheit die größere Assimilierungsgefahr für die sächsischen Ortschaften bildete. Man darf aber sächsischerseits im Blick auf 1848 nicht nur über Verluste sprechen. Durch die Beseitigung der Grundherrschaft wurden nämlich auch etwa 40.000 Sachsen (das war ein Viertel der siebenbürgischen Deutschen), die auf Adelsboden gelebt hatten, von Hörigkeit und Fron befreit und mit Boden begütert.

Angesichts der neugeschaffenen Lage suchten die Sachsen nach neuen Wehren für ihren Bestand, bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der geistig-kulturellen Verbindungen zum Mutterland Deutschland. Sie schickten daher Denkschriften an das Frankfurter Parlament in der Paulskirche mit der Bitte, bei der Neugestaltung des Deutschen Reiches solle die „Mutter Germania“ ihre außerhalb Deutschlands lebenden deutschen Kinder nicht vergessen. Die deutschen Vertreter haben für die Anliegen der Siebenbürger Sachsen zwar Verständnis bekundet, gleichzeitig aber auch darauf hingewiesen, daß es nicht in der Macht einer deutschen Regierung läge, konkret für ihren Schutz etwas zu unternehmen.

Die nach Frankfurt gesandten Abordnungen und Send-schreiben haben keine praktischen Auswirkungen gehabt, in ihnen hat jedoch das Gefühl der Verbundenheit der Siebenbürger Sachsen mit dem „großen deutschen Volk“ Ausdruck gefunden. In einem dieser Schreiben wurde auch ein Grundsatz formuliert, der Leitstern werden sollte für das Verhältnis der Siebenbürger Sachsen zu ihrem jeweiligen Vaterland und zum deutschen Mutterland bzw. zum Deutschtum. „Wir wollen sein und bleiben, was wir immer gewesen sind“ – hieß es im Sendschreiben des Siebenbürgisch-Deutschen Jugendbundes – „ein ehrlich deutsches Volk und auch ehrliche, treue Bürger desjenigen Staates, dem wir angehören. Eines verträgt sich sehr gut mit dem andern: ja, eins ist nur möglich bei dem andern“. Es wird hier und auch später unmissverständlich ausgesprochen, daß eine Doppelloyalität nicht nur möglich, sondern auch Grundbedingung der Staatstreue ist.

In der Auseinandersetzung zwischen Ungarn und dem österreichischen Kaiserhaus, die im Herbst 1848 in Siebenbürgen in einen verheerenden Bürgerkrieg ausartete, standen die Sachsen und Rumänen auf Seiten des österreichischen Heeres, nachdem sie die Vereinigung Sieben-bürgens mit Ungarn angelehnt hatten. Sie erhofften sich nämlich innerhalb der Gesamtmonarchie mehr Schutz in nationaler Hinsicht als unter einer ungarischen Regierung, die nicht gewillt war, die ethnische Vielfalt des Landes zur Kenntnis zu nehmen und auf einen nivellierten, einheitlichen Nationalstaat hinsteuerte. Sächsischerseits trug man sich auch mit der Illusion, der „deutsche“ Kaiser werde seine „deutschen“ Untertanen gegen die Ungarn schützen. Die Sächsische Nationsuniversität sagte sich daher Ende 1848 vom ungarischen Ministerium los und beantragte bei Hof die Umwandlung des Sachsenlandes in eine selbständige, direkt dem Kaiser unterstellte Markgrafschaft als Kronland. Der Kaiser sollte den Titel eines sächsischen Markgrafen annehmen. Obwohl ermunternde Antworten aus Wien kamen, ist daraus nichts geworden. Mehr noch, Siebenbürgen wurde ab Dezember 1848 bis in den Sommer 1849 von ungarischen Truppen besetzt, die durch Gewaltherrschaft die Macht der ungarischen Regierung zu festigen suchten. Diesen Maßnahmen fiel unter anderem der bekannte siebenbürgisch-sächsische Reformer, Pfarrer Stephan Ludwig Roth (1796-1849), zum Opfer, da er sich gegen die Magyarisierungspolitik, für nationale Gleichberechtigung und Schutz ethnischer Minderheiten ausgesprochen hatte. Das mißfiel den revolutionären ungarischen Kreisen, und Roth wurde am 11. Mai 1849 in Klausenburg standrechtlich erschossen.

Als die ungarische Revolution mit russischer Hilfe im Sommer 1849 niedergeschlagen wurde, kehrte zwar Ru¬he ein, die Sachsen wurden aber von Wien aufs schwerste enttäuscht. Ihre loyale Haltung wurde nicht belohnt, es war keine Rede mehr von einer sächsischen Markgrafschaft, die sicherlich auch illusorisch war, im Gegen¬teil, die territoriale Autonomie des Sachsenbodens wurde aufgelöst und dessen höchster politischer Vertre¬ter, Sachsengraf Franz von Salmen, abgesetzt.

Obwohl der Sachsenboden 1861 wieder hergestellt wurde, hat-ten weitblickende Männer schon 1848 erkannt, daß die sächsische Munizipalautonomie nicht auf Dauer zu halten war. Sie konnte zudem keinen Schutz mehr bieten, da in den Gemeinde- und Stuhlsvertretungen sowie in der Nationsuniversität nun auch Rumänen und Ungarn saßen. Die 1876 erfolgte Auflösung des Sachsenbodens ergab sich somit als logische Konsequenz. Er hätte allerdings bei einer ethnischen Neustrukturierung zu einer Verwaltungskörperschaft umgewandelt werden können, wie solche später in Plänen zur Föderalisierung der Habsburgermonarchie vorgeschlagen wurden und wie man sich heute lokale Verwaltungsautonomie für nationale Minderheiten vorstellt.

Das Hauptaugenmerk der Sachsen galt fortan der verstärkten Pflege der Muttersprache und der deutschen Kultur. Als neue Wehren im Abwehrkampf wurden die evangelisch-sächsische Kirche und die ihr unterstellten Schulen und Einrichtungen ausgebaut. „Evangelisch“ und „sächsisch“ wurden zu Synonymen, die evangelisch-sächsische Kirche zu einer wahren Volks-kirche, zu einer kirchlichen und zugleich nationalen Institution.

Für die Siebenbürger Sachsen begann mit der Revolution von 1848 ein neuer Abschnitt ihrer Geschichte, sie hat¬ten sich nun, und verstärkt nach 1876, gegen die Magyarisierungspolitik Un-garns und nach 1918 gegen die Rumänisierungspolitik Rumäniens zu behaupten. Als sie nach 1944 vom nationalistisch-kommunistischen Regime als Deutsche verfolgt, deportiert, diskriminiert und enteignet wurden und durch nationalistische Maßnahmen ihr Fortbestehen gefährdet war, entschlossen sie sich zur Rückkehr nach Deutschland. Von den etwa 250.000 Sachsen der Vorkriegszeit leben heute weniger als 15.000 in Siebenbürgen, und die meisten davon in einem fortgeschrittenen Alter.

Lit.: Otto Folberth: Der Prozeß Stephan Ludwig Roth. Ein Kapitel Nationalitätengeschichte Südosteuropas im 19. Jahrhundert, Graz-Köln 1959. – Carl Göllner: Die Siebenbürger Sachsen in der Revolution von 1848-1849, Bukarest 1967. – Michael Kroner: Die Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben in den Revolutionsjahren 1848/49, in: Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde. 17. Jg., Heft 2, 1994, S. 144-155. – Irmgard Martius: Großösterreich und die Siebenbürger Sachsen 1848-1859, München 1957. – Friedrich Teutsch: Geschichte der Siebenbürger Sachsen für das sächsische Volk. Bd. 3, Hermannstadt 1910, S.206-290.

Bild: Das Großfürstentum Siebenbürgen im Jahr 1862 / Quelle: Wikipedia. Gemeinfrei.

Michael Kroner