Im heutigen Rumänien, in dessen zentralem Landesteil Siebenbürgen, lebt eine heute zahlenmäßig kleine deutsche Minderheit, die sogenannten Siebenbürger Sachsen, deren Anzahl etwa 15.000 Seelen beträgt, während der größte Teil dieser Minderheit seit dem Zweiten Weltkrieg und besonders nach der Wende von 1989 hauptsächlich nach Deutschland ausgewandert ist, wo heute über 200.000 Siebenbürger Sachsen leben.
Die Siebenbürger Sachsen sind keine Sachsen im binnendeutschen Sinn, sondern ihrem Herkunftsgebiet nach stammen sie vor allem aus der Rhein-Mosel-Gegend, und sind aus Deutschen, Flamen, Wallonen und anderen erst in Siebenbürgen zu einem neuen deutschstämmigen Volk geworden, das in die Geschichte als Siebenbürger Sachsen eingegangen ist.
Die Siebenbürger Sachsen sind ein Teil der deutschen Ostkolonisation im Mittelalter und wurden von den ungarischen Königen im 12. und 13. Jahrhundert nach Siebenbürgen berufen, um dieses frisch eroberte Land „zum Schutze der Krone“ zu verteidigen, zu besiedeln und fruchtbar zu machen.
Der erste ungarische König, der Deutsche als „Gäste“ (hospites) nach Siebenbürgen berief war Geysa II. (1141-1161), aber auch später kamen in mehreren Etappen neue deutsche Siedlergruppen ins Land.
Der Grund, warum der Siebenbürger Sachsen im Jahre 2006 besonders gedacht werden soll und kann, ist die Tatsache, daß vor genau 800 Jahren – im Jahre 1206 – der Ausdruck „Saxones“ für die deutschen Kolonisten erstmals in einer Urkunde der ungarischen Königskanzlei vorkommt.
Eine erste erhalten gebliebene Urkunde von 1186 (oder 1184) nennt die Ansiedler nach ihrer Rechtsstellung nur „hospites“, also Gäste. Im Jahre 1191 wird die „ecclesia Theutonicorum Ultransilvarum“ (Kirche der Teutonen aus dem Land jenseits der Wälder = Siebenbürgen) erwähnt, im gleichen Jahre 1191 und auch 1199 werden die Siedler als „Flandrenses“ d. h. Flamen bezeichnet.
In einer Urkunde des ungarischen Königs Andreas II. (1205-1235) von 1206 werden die „primi hospites regni“ (die ersten Gäste des Reiches) aus den Dörfern Karako (heute Cricau), Crapundorph und Roms (heute Rumes) bei Weißenburg (heute Karlsburg – Alba Iulia) von der Gerichtsbarkeit des siebenbürgischen Wojwoden sowie von öffentlichen Lasten befreit, die „alii Saxones“ (andere Sachsen) zu zahlen verpflichtet waren.
Im damaligen ungarischen Spachgebrauch wurden für die Deutschen zwei verschiedene Ausdrücke verwendet. Für die näher an Ungarn liegenden Gebiete von Österreich und Bayern wurde die Bezeichnung „német“ verwendet, die aus dem Slawischen stammt und bedeuten soll, daß die Sprecher nicht die (ungarische) Sprache hatten, etwa wie in der Antike die „Barbaren“ jene waren, die nicht Griechen oder Römer waren. Für die weiter entfernt wohnenden Deutschen, die auch eine für die Ungarn verschiedene Sprache von den „német“-Leuten hatten, wurde der Ausdruck „Sachsen“ – in seiner lateinischen Form „Saxones“ – gebraucht, der auch sonst auf der Balkanhalbinsel für Deutsche benützt wurde. Weil also diese deutschen Ansiedler in Siebenbürgen nicht aus Österreich oder Bayern kamen, wurden sie „Sachsen“ genannt, und sie wurden im Laufe von einem bis zwei Jahrhunderten ein einigermaßen einheitlicher deutscher Volksstamm, von dem einer seiner größten Söhne, der Humanist und Reformator Johannes Honterus (1498-1549) im Jahre 1532 behauptete, sie wären „nicht der unbedeutendste Teil der deutschen Erde“. Der Dichter Martin Opitz (1597-1639) hat sie „germanissimi Germani“, also sehr deutsche Deutsche genannt.
König Andreas II. verlieh „unseren teutonischen siebenbürgischen Gästen“ (hospites nostri Theutonici Ultransilvani) im Jahre 1224 einen „Goldenen Freibrief“, der für die Sachsen von Broos bis Draas – mit dem Verwaltungssitz in Hermannstadt – gültig war und ihre besondere Entwicklung durch Jahrhunderte bestimmt hat.
In weiteren Urkunden von 1225 und 1238 werden die „Sachsen“ von Karako und Crapundorph wieder genannt, während andere Urkunden von 1231, 1234 und 1241 die „Teutonen“ erwähnen.
Aus dem Jahre 1252 erfahren wir, daß der Sachse Fulkun beim Mongoleneinfall von 1241 umkam und daß es ein Gebiet der „Saxones de Barasu“ d. h. der Sachsen vom Burzenland um Kronstadt gab, in das der Deutsche Ritterorden am Anfang des 13. Jahrhunderts deutsche Siedler gebracht hatte.
Im Jahre 1277 machten die Sachsen unter Gaan von Salzburg einen Aufstand gegen den Bischof von Siebenbürgen und verheerten die Kathedrale in Weißenburg (Alba Iulia). In den Urkunden darüber ist von der „gens Saxonica“ (dem Volksstamm der Sachsen) die Rede.
Schließlich erwähnt die Verfassungsurkunde des ungarischen Königs Andreas III. (1290-1301) von 1291 die „Saxones Transilvani praedia tenentes et more nobilium se gerentes“, d. h. die Siebenbürger Sachsen, die Landgüter besitzen und sich wie Adlige benehmen, weil sie direkt dem König unterstellt waren.
Die Siebenbürger Sachsen waren in vier Gebieten angesiedelt: um die Städte Hermannstadt, Mediasch, Bistritz und Kronstadt. Im 14. Jahrhundert begannen erste verwaltungsmäßige Annäherungen dieser „Provinzen“, wobei Hermannstadt als größtes Gebiet die führende Stellung innehatte. In der zweiten Hälfte des 15. Jahrunderts schlossen sich dann die vier Provinzen zu der sogenannten „Sächsischen Nations-Universität“ zusammen, d. h. der Gesamtheit der Sächsischen Nation in Siebenbürgen, die den dritten privilegierten Landstand im mittelalterlichen Siebenbürgen bildete. Im Jahre 1486 bestätigte der ungarische König Matthias Corvinus (1458-1490) den Andreanischen Freibrief von 1224 für alle vier Siedlungsgebiete der Siebenbürger Sachsen, was einer staatlichen Anerkennung der Nationsuniversität gleichkam. Diese bestand als oberste politische Verwaltungs- und Gerichtsbehörde des „Sachsenlandes“ oder „Königsbodens“ – weil direkt dem König unterstellt – bis zum Jahre 1876. Danach blieb die Sächsische Nationsuniversität nur noch die Verwalterin ihrer Liegenschaften, deren Einkünfte kulturellen Zwecken gewidmet wurden, bis diese Güter im Jahre 1937 zwischen einer Stiftung „Michael der Tapfere“ und der Evangelischen Kirche A.B. aufgeteilt wurden, wobei letztere auch das wertvolle Sächsische Nationsarchiv in Hermannstadt übernahm.
Die Nachfahren der Saxones von 1206 – die Siebenbürger Sachsen – haben durch acht Jahrhunderte eine wichtige Rolle im wirtschaftlichen und kulturellen, weniger auch im politischen Leben des Landes gespielt. Durch ihre dauernde Verbindung mit dem deutschen Mutterland haben sie viel zu dem Fortschritt ihrer neuen Heimat Siebenbürgen und deren Ausrichtung auf Mitteleuropa beitragen können.
Lit.: Franz Zimmermann/Carl Werner, Urkundenbuch zur Geschichte der Deutschen in Siebenbürgen, I, Hermannstadt 1892. – Gernot Nussbächer, Aus Urkunden und Chroniken. Beiträge zur siebenbürgischen Heimatkunde, 4. Bd., Kronstadt 1994.
Bild: Wappen der Siebenbürger Sachsen / Quelle: Von Christian Agnethler – http://www.agnethler.de/gifs/wappen1.gif, PD-Schöpfungshöhe, https://de.wikipedia.org/w/index.php?curid=3261340
Gernot Nussbächer (OGT 2006, 205)