Ereignis vom 1. Januar 1348

Schlacht an der Strebe zu Mariae Lichtmess 1348

Fluss Strėva in Litauen bei Semeliškės

Explicit bellum Prussie. Incipit bellum Lethowinorum. (Hier endet der Krieg in Preußen. Es beginnt der Krieg gegen die Litauer.) Mit dieser knappen Kapitelüberschrift hat Peter von Dusburg in seiner Chronik des Landes Preußen den Beginn eines neuen Zeitalters eingeleitet. Nach der endgültigen Unterwerfung der Prußen im Jahre 1283 waren die benachbarten, jenseits der Memel lebenden Litauer das letzte heidnische Volk Ostmitteleuropas. Indem der Deutsche Orden sofort den Kampf gegen die Litauer aufnahm, suchte er seiner Verpflichtung zum Heidenkampf nachzukommen. Peter von Dusburg, der seine Chronik im Auftrag des Hochmeisters Werner von Orseln (1324-1330) schrieb, hat zwar die Bedeutung des Jahres 1283 sicher gesehen, doch konnte er noch nicht übersehen, daß sich der Orden hier einer Aufgabe gegenübersah, die er aus politischen Gründen nicht lösen konnte. Der Deutsche Orden hatte seit dem Beginn seiner Eroberung der Ostseeländer Preußen und Livland nicht nur mit Ordensbrüdern, Gesinde und Landesaufgebot seine Kriegszüge bestritten, sondern hat ständig um militärische Gäste geworben. Vor allem im 14. Jahrhundert, nachdem die Unterwerfung Preußens und Livlands abgeschlossen und Litauen der Gegner war, entwickelten sich die Preußenreisen für das west- und mitteleuropäische Rittertum zu einem großen Erlebnis, das in einer Reihe mit der Möglichkeit stand, gegen Mauren, Mamelucken oder Türken zu ziehen. Doch mochten die ritterlichen Gäste noch so angesehen sein, so hatten diese Kämpfe wie die im Orient wenig Aussichten auf durchschlagenden politischen Erfolg. Anders als bei den prußischen Stämmen und bei den livländischen Völkern handelte es sich bei den Litauern um eine werdende Großmacht, deren Fürsten nicht nur eine bedeutende militärische Schlagkraft entwickelten, sondern auch mit benachbarten Mächten eine Bündnispolitik betrieben, die sie den jeweiligen Erfordernissen anpassen konnten. Dazu gehörte im 14. Jahrhundert zunehmend auch die Frage einer möglichen Taufe. Da die Litauer bedeutende Teile ostslawischer Gebiete unterworfen hatten, deren Bewohner zur orthodoxen Kirche gehörten, war die Taufe eine vornehmlich politische Entscheidung, die schließlich 1385 Großfürst Jogailas (Jagiełło) getroffen hat, indem er sich entschloß, die polnische Thronerbin Jadwiga (Hedwig) zu heiraten und damit König von Polen zu werden.

Mittelalterliche Kriege wurden in der Regel in der Weise geführt, indem das Land des Gegners verwüstet wurde. Dabei wurden die meist bäuerlichen Siedlungen geplündert, deren Einwohner getötet oder in Kriegsgefangenschaft entführt. Nur gelegentlich wurde eine Festung oder Stadt belagert und seltener kam es zu einer größeren Schlacht, die dann auch von der zeitgenössischen Chronistik beachtet wurde. Diese Kennzeichnung gilt auch für den Kriegszustand zwischen dem Deutschen Orden in Preußen und Livland sowie dem Großfürstentum Litauen. Eine neuere Durchmusterung der Quellen, zumeist Chroniken des Deutschen Ordens, hat für die Jahre von 1305, also kurz vor der Übersiedlung der Ordensleitung vom Mittelmeerraum in die preußische Marienburg, bis zum Jahre 1409, dem Vorabend der Schlacht von Tannenberg, 299 Feldzüge erbracht. Lediglich bei zehn Unternehmungen kam es zu einem Ereignis, das als Schlacht oder Gefecht angesprochen werden kann. Diese sind jeweils entstanden, wenn ein feindlicher Einfall abgewehrt und die Beute wieder abgejagt werden sollte. Im 14. Jahrhundert war der Orden erst mit der Besiedlung des westlichen und mittleren Teils des Preußenlandes beschäftigt, so daß der große östliche Teil von den Masurischen Seen bis zum Mittellauf der Memel von Grodno bis Kauen weitgehend unbesiedelt war und als die Große Wildnis bezeichnet wurde. Dieses weite Gelände mußte erst durchzogen werden, wenn der Orden mit seinen Gästen eine „Reise“ in das eigentliche Litauen jenseits der Memel machen wollte oder umgekehrt die Litauer die schon besiedelten Bereiche des Ordenslandes zu verwüsten beabsichtigten. Lediglich im Norden am Unterlauf der Memel verfügte der Orden in der 1289 gegründeten Komturei Ragnit über eine Etappe in dieser Richtung.

Im 14. Jahrhundert hat es nur drei große Litauerschlachten gegeben. Deren Bedeutung hat schon die jeweilige Ordensleitung gesehen und hat aus Dank für das siegreiche Bestehen jeweils Klöster gestiftet. Es handelt sich um die Schlachten bei Woplauken im Gebiet Rastenburg 1311, die Schlacht an der Strebe in Oberlitauen 1348 und die Schlacht bei Rudau im Samland 1370. Die Lage der Schlachtorte zeigt bereits an, daß die militärischen Voraussetzungen unter-schiedlich waren. Bei den Treffen der Jahre 1311 und 1370 war es darum gegangen, bedeu¬tende litauische Einfälle in das Ordensgebiet abzuwehren. Anders war es 1347/48. 1347 sind die litauischen Großfürsten Olgierd und Kinstutte, die ältesten Söhne des 1341/42 verstorbenen Großfürsten Gedimin, zweimal verheerend nach Preußen eingefallen. Möglicherweise ha¬ben sie eine innenpolitische Schwäche der Ordensleitung ausnutzen wollen. Vorausgegangen waren ein mißlungener Feldzug gegen die Litauer im Winter 1344/45, die Gemütserkrankung des Hochmeisters Ludolf König und sein Rücktritt (vgl. OGT 1995, S. 256-259), die Neuwahl Heinrich Dusemers zum neuen Hochmeister im Dezember 1345, schließlich die Rücktritte des Großkomturs und Treßlers im September 1346 und zweier weiterer Großgebietiger bei einem Generalkapitel im Juni 1347. Hatten die Ereignisse des Winters 1344/45 das politische und ge¬sellschaftliche Ansehen des Ordens bei den politischen Mächten und bei der Ritterschaft Mittel- und Westeuropas gefährdet, so daß der Orden weitgehend sein Leitungspersonal ausgewech¬selt hat, um nach außen hin ein Zeichen zu setzen, so mochten diese Vorgänge, die allgemein und damit gewiß auch den Litauern bekannt wurden, diese zu ihrem Vorgehen ermuntert ha¬ben.

Doch erwies sich der Orden alles andere als handlungsunfähig. Der neue Hochmeister Heinrich Dusemer war zwar nach seinem Rücktritt als Oberster Marschall 1339 eigentlich schon jenseits des Höhepunkts seiner Laufbahn. Doch hatte er sich  danach schon 1343 bei der Niederschlagung des Estenaufstands auf Ösel bewährt. Als Hochmeister hatte er die Fäden weiterhin fest in der Hand, auch wenn er wegen seines fortgeschrittenen Alters und vielleicht auch wegen Kränklichkeit nicht alle Feldzüge selbst leiten konnte. Mit Winrich von Kniprode als neuem Großkomtur, dem späteren Hochmeister der Jahre 1352-1382, stand ihm ein Großgebietiger zur Seite, der als einziger durch die Vorgänge von 1344/45 nicht belastet war. Schon im Winter 1346/47 hatte der Hochmeister versucht, mit einem großen Heer, dem auch Gäste wie der Markgraf von Brandenburg angehörten, nach Litauen aufzubrechen. Doch mußte diese „Reise“ vor dem Eintritt in die Wildnis, in Insterburg, abgebrochen werden. Kriegsreisen nach Litauen waren vom Wetter abhängig, was zu jener Zeit auch in Westeuropa bekannt war. Die sumpfige, mit vielen Gewässern durchsetzte Landschaft erschwerte den Verkehr stark, so daß ein gutes Durchkommen nur in trockenen Sommern und in kalten Wintern möglich war, wenn die Gewässer zugefroren und begehbar waren. Im Gegensatz zu dem milden Winter 1344/45, der die Probleme um den damals erkrankten Hochmeister verstärkt hatte, gestalteten sich die Verhältnisse im Winter 1347/48 wesentlich günstiger, um zum Gegenschlag auszuholen. Unter der Leitung des neuen Obersten Marschalls Siegfried von Dahenfeld (1346-1360) und unter Mitwirkung des Großkomturs, des Obersten Trappiers Ludwig von Wolkenburg und anderer Gebietiger zog ein starkes Ordensaufgebot nach Oberlitauen (Aukstaiten), diesmal offenbar ohne Gäste aus dem Westen, deren Mitwirkung ein Chronist für erwähnenswert gehalten hätte. Am Tag der Bekehrung des Paulus (24. Januar 1348) drang das Ordensheer ein und verheerte das Land eine gute Woche lang in der bekannten Weise. Dagegen riefen die litauischen Großfür¬sten zum Widerstand auf, indem sie die ihnen unterstehenden ruthenischen Fürsten aufboten und das Ordensheer verfolgten. Mariae Lichtmeß (2. Februar) kam es an der Strebe (Strewa), einem rechten Nebenfluß der Memel, zur Schlacht. Die Strebe entspringt westlich der litauischen Nebenresidenz Trakai und mündet in der Nähe der großen Biegung der Memel von Süden nach Westen. Nach der Aussage eines samländischen Augenzeugen habe der Orden nur 800 Mann zur Verfügung gehabt, während auf litauischer Seite ein vergleichsweise gewaltiges Heer gegenübergestanden hätte. Mit Hilfe Gottes und der Jungfrau Maria habe der Orden einen glänzenden Sieg errungen. Über 10000 Litauer und Ruthenen seien gefallen, auf des Ordens Seite lediglich 50, darunter an Prominenten der Danziger Komtur Gerhard von Stegen und der Vogt der Ordensvogtei Samland, Johannes von Lonstein.

Diese große Schlacht ist in der Chronistik des Deutschen Ordens sowie innerhalb und außerhalb Preußens natürlich stark beachtet worden. Aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts können die Ältere Chronik von Oliva, die Chronik Livlands aus der Feder des Landmeisterkaplans Hermann von Wartberge, Wigand von Marburg, der mutmaßliche Herold des Hoch-meisters Konrad von Wallenrode, und der Annalist des Thorner Franziskanerklosters angeführt werden. Von diesem hat der Franziskaner-Lesemeister Detmar in Lübeck sein Wissen über-nommen. Ein oberdeutscher Ordensbruder als Augenzeuge ist möglicherweise Quelle für einen Bericht über die Schlacht an der Strebe in der Oberrheinischen Chronik. Aber auch Gäste können die Nachricht in den Süden Deutschlands mitgenommen haben, so daß Albert von Straßburg, Johann von Winterthur und Matthias von Neuenburg das Ereignis in ihren großen Chroniken berücksichtigen. Auf Einzelheiten, wie etwa in der jüngeren Chronistik von Preußen und Polen sich die Zahlen vergrößert haben, kann hier nicht eingegangen werden. Angesichts des Ausmaßes dieses Schlachtensiegs haben nur einzelne Chronisten anschließend berichtet, daß der Hochmeister einige Monate später im Sommer 1348 mit einem Zug gegen Welun erfolgreich nachgesetzt hat. Immerhin kehrte damit für die verbleibenden Amtsjahre Heinrich Dusemers an dieser Front Ruhe ein; erst vom Februar 1352 liegen wieder Nachrichten über einen Verheerungszug vor.

Nachhaltiger waren zwei geistliche Gründungen, zu denen der Hochmeister sich aus Dankbarkeit veranlaßt sah. Dies war so bemerkenswert, daß darüber der samländische Augenzeuge und später Wigand von Marburg berichten. In Wehlau, das mit seiner ersten Pfarrkirche 1347 von den Litauern zerstört worden war, gründete der Hochmeister ein Franziskanerkloster, das in einem Neusiedelgebiet zur Hebung des geistlichen Lebens beitragen sollte. Nachdem dieses Kloster in der Mitte des 15. Jahrhunderts zerstört und wieder aufgebaut worden war, wurde es schließlich 1517 nach Königsberg verlegt, wo es wegen des Einspruchs des Domkapitels und der Stadt nur auf der Schloßfreiheit sich niederlassen konnte. Im Zuge der reformatorischen Ereignisse wurde es 1524 zerstört und hörte zu bestehen auf. – Am 17. November 1349 stifte¬te Heinrich Dusemer ein Nonnenkloster in Königsberg in der Stadt Löbenicht und stattete es mit verschiedenen geistlichen und weltlichen Rechten und Besitztümern aus, die von späteren Hochmeistern noch vermehrt wurden. Am 31. Oktober 1349 kam Katharina von Hegenburg als erste Äbtissin aus dem Zisterzienserinnenkloster Kulm mit sieben Nonnen aus demselben Haus sowie fünf Thorner Schwestern nach Königsberg. Während im 14. Jahrhundert von Zisterzienserinnen gesprochen wurde, setzte sich später die allgemeinere Bezeichnung als Benediktinerinnen durch. Nach der Reformation wurde dieses Kloster in das Große Löbenichtsche Hospital umgewandelt, das als Marienstift bis zum 20. Jahrhundert fortbestanden hat. Die Schlacht an der Strebe vor 650 Jahren hatte somit über den politisch-militärischen Alltag des Deutschen Ordens hinaus ein Nachleben im kirchlich-sozialen Bereich bis in unsere Zeit.

Quellen: Scriptores rerum Prussicarum, hrsg. v. Theodor Hirsch, Max Töppen, Ernst Strehlke, Bd. 1-5. Leipzig 1861-1874. – Preußisches Urkundenbuch 4, hrsg. v. Hans Koeppen. Marburg 1960-1964.

Lit.: Fritz Gause: Geschichte der Stadt Königsberg in Preußen, Bd. 1. Köln, Wien 2. Aufl. 1972. – Udo Ar¬nold: Ein Bericht zur Schlacht an der Strebe 1348 aus der Deutschordensballei Elsaß-Burgund, in: Preußenland 22. 1984, S. 4-8. – Werner Paravicini: Die Preußenreisen des europäischen Adels, bisher Bd. 1-2. Sigmaringen 1989-1995. – Steven C. Rowell: Lithuania Ascending. Cambridge 1994.

Bild: Fluss Strėva in Litauen bei Semeliškės/ Quelle: By Italas at Lithuanian Wikipedia – Transferred from lt.wikipedia to Commons by Renata3., Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=3942605

Bernhart Jähnig