Ereignis vom 12. August 1399

Schlacht an der Worskla

Schlacht an der Worskla

Im Zuge des Unionsvertrages von Krewo (1385), der die Voraussetzung der Erhebung des litauischen Großfürsten Jagiellos (Sohn des Olgirdas) zum König von Polen bot, wurde dessen Vetter Witold (Sohn des Keistutis) 1392 Großfürst der Länder des Großfürstentums Litauen unter der Oberhoheit des polnischen Königs. Doch infolge der herrscherlichen Selbständigkeitsbestrebungen Witolds führte die polnisch-litauische Union nicht zu einer Inkorporierung Litauens in das polnische Herrschaftsgefüge. Zudem nahm Witold die Konzeption seines Onkels Olgerd, alle russischen Länder unter litauische Herrschaft zu bringen, wieder auf und konnte innerhalb kurzer Zeit in den russischen Gebieten die Teilfürsten durch großfürstliche Statthalter ersetzen.

Witold hatte sich einen weit in westrussisches Territorium hineinreichenden Herrschaftsverband geschaffen (Ostsee – nördliche Küstenzone des Schwarzen Meeres) und verfolgte das Ziel, die zerfallende Herrschaft der Goldenen Horde zu übernehmen. Diese Aussicht schien durch die Auseinandersetzungen inner-halb der Goldenen Horde realistisch. Khan Tochtamysch war 1391 von Timur Lenk kurzfristig seiner Herrschaft beraubt worden, hatte diese jedoch zurückerlangen können und zu seiner eigenen Sicherung dem polnischen König ein Bündnis gegen gemeinsame Feinde angeboten. Im April 1395 wurde Tochtamysch zum zweiten Mal von Timurs Truppen verdrängt und flüchtete 1396 oder 1397 mit einer Gruppe seiner Anhänger zu Witold, um mit dessen Hilfe seine Herrschaft wieder zu erlangen. Großfürst Witold schloss zu diesem Zweck und für die Realisierung seiner eigenen Ambitionen ein Abkommen mit dem Khan: Er verhelfe Tochtamysch wieder zur Herrschaft und dieser solle ihm dafür die Ansprüche auf alle einstigen Gebiete der Kiever Ruś abtreten. Die Einsetzung Khan Tochtamyschs sollte Witolds Machtbereich bis an die Schwarzmeerküste ausdehnen und ihm die faktische Oberherrschaft über das Reich der Tartaren und damit über Moskau bringen.

Doch Witold benötigte für seine weitreichenden Pläne fremde Unterstützung. Aus diesem Grund schloss er im Oktober 1398 mit dem Deutschen Orden den Vertrag von Sallinwerder (s. OGT 1998, S. 331–335). Der Großfürst sicherte dem Orden, vorbehaltlich der Zustimmung König Jagiellos, Schemaiten zu und verpflichtete sich dem Orden zur Hilfe bei der Einnahme Pleskaus. Im Gegenzug unterstützte der Orden Witold im Kampf gegen die Tartaren.

Witolds Heer wurde verstärkt durch ein Ordenskontingent, polnische Adlige, orthodoxe Christen und die Tartaren, die mit Tochtamysch von der Goldenen Horde abgefallen waren. Ein von Jagiello erbetener Kreuzzugsaufruf Papst Bonifaz’ IX. legitimierte den Kriegszug. Die Beteiligung seines Schwiegersohnes, Großfürst Wassilijs I. von Moskau, hatte Witold zwar nicht erreichen können. Er verständigte sich jedoch mit ihm und ließ Kiew in den Verteidigungszustand setzen.

Nach dem Sturz Tochtamyschs stieg Emir Edigü zur einflussreichsten Person im Herrschaftsbereich der Tartaren auf. Ge-gen ihn richtete sich der Angriff Witolds und seiner Truppen. Erste Erkundungsvorstöße unternahm Witold bereits 1397 am Don und 1398 entlang des Dnjepr. Dabei stieß er bis auf die Krim vor, wo er als Vorposten gegen die Tartaren das Schloss des Hl. Johannes errichten ließ. Von diesen Krimzügen brachte Witold tatarische Gefangene mit, die er teils in Polen und teils in Litauen ansiedelte.

Der neue Khan der Goldenen Horde, Temyr Outlug, forderte von Witold die Auslieferung Tochtamyschs und bot gleichzeitig Verhandlungen an. Witold lehnte jedoch ab und setzte im Juli 1399 sein Heer in Bewegung. Sammelpunkt aller Beteiligten des Kriegszuges war Kiew. Die Marschroute verlief entlang des Dnjepr, der bei Kiew überquert wurde. Anfang August wurde die Worskla (Worsskla, Vorskla; linker Nebenfluss des unteren Dnjepr, in den er von Osten einmündet) erreicht, wo man auf die Tartaren stieß. Dort verhandelte Witold mit Khan Temyr Kutluk ergebnislos, da dieser lediglich Zeit gewinnen und die Ankunft des Emirs Edigü abwarten wollte.

Der litauische Unterhändler, Spytek von Melsztyn, riet von der Durchführung des Kriegszuges ab, doch Witold und Tochtamysch bestanden auf dessen Austragung. Nachdem man fünf Tage gezögert hatte, kam es schließlich am 12. August 1399 zur entscheidenden Schlacht.

Während der am Nachmittag begonnenen Kämpfe (in offenem Steppengebiet) sah es zunächst erfolgreich für die Litauer und ihr Heer aus, doch als Tochtamysch floh, riss er einen großen Teil des Heeres mit sich. Auch Witold begriff bald die Aussichtslosigkeit seines Vorhabens und wandte sich zur Flucht. Die Schlacht an der Worskla endete mit der vernichtenden Niederlage Witolds und seiner Verbündeten. Die Tartaren der Goldenen Horde waren zahlenmäßig weit überlegen gewesen. Zwar konnten Witold und sein Bruder Sigismund entkommen, doch unter den Toten waren zahlreiche Ordensritter und führende polnische Adlige.

Den Tartaren gelang es, im Anschluss an die Schlacht den Dnjepr aufwärts bis nach Wolhynien vorzudringen und von Kiew sowie dem Kiewer Höhlenkloster größere Freikaufsummen zu erpressen. Sie konnten den Sieg jedoch langfristig politisch nicht nutzen und nicht als Beitrag zur Sicherung ihrer weiteren Herrschaft einsetzen. Der Nachfolger Temyr Outlugs ließ Tochtamysch einige Jahre später ermorden. Die Bemühungen Litauens, an die Stelle der Goldenen Horde zu treten, und die völlige Emanzipierung Litauens von Polen waren gescheitert. Darüber hinaus hatte das Ansehen Witolds Schaden genommen, wie sich am Abfall von Smolensk und anderer russischer Teilfürstentümer zeigen sollte.

Im Juli 1399 war Königin Hedwig, die für eine enge Anbindung Litauens an die polnische Krone eintrat, gestorben. Damit verlor König Jagiello eine wichtige Stütze seiner Herrschaft in einem ihm eigentlich fremden Land und bemühte sich daher um einen politischen Ausgleich mit dem Großfürsten Witold. Als direkte Folge dieser Niederlage kam es 1401 in Wilna und Ra-dom zu einer Erneuerung der polnisch-litauischen Union und zwar unter stärkerer Akzentuierung des Einflusses der Krone Polen.

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Bild: Schlacht an der Worskla: Miniatur des 16. Jahrhunderts in der Chronik von Iwan dem Schrecklichen / Quelle: Wikipedia. Gemeinfrei.

Carl August Lückerath