Ereignis vom 9. Juli 1770

Schlesische Landschaft

Pfandbrief der Schlesischen Landschaft vom 24. Juni 1773

Schlesien war vor dem Beginn der drei um seinen Besitz und um die Etablierung Preußens als europäische Großmacht von Friedrich II., dem Großen, gegen Maria Theresia geführten Kriege ein reiches Land. Nach dem Hubertusburger Frieden von 1763, der dem Preußenkönig den Besitz des überwiegen­den Teiles Schlesiens bestätigte, ging Friedrich mit der glei­chen Energie, mit der er zuvor um den Besitz dieses Gebietes gekämpft hatte, daran, dessen schwere Wunden zu heilen und es als Provinz seinem Staat zu integrieren. Zu den hervorra­genden Wiederaufbaumaßnahmen im wirtschaftlichen Bereich gehörte die Gründung der Schlesischen Landschaft.

Bald nach dem Ende des Siebenjährigen Krieges machte sich beim schlesischen Adel, dessen Bedeutung für die innere Ge­winnung der Provinz Friedrich klar bewußt war, ein großer Geld­mangel bemerkbar. Die Rittergüter waren großenteils hoch verschuldet, von insgesamt 3000 etwa 400 zahlungsun­fä­hig und praktisch bankrott. Im Jahre 1768 gewährte der König ein Geschenk von über 300 000 Talern an über 80 Adels­fa­mi­lien, ohne jedoch der Krise Herr zu werden. Schon 1767 hatte ihm ein Berliner Kaufmann namens Bühring einen Plan zur Behe­bung der Misere vorgelegt, der die Errichtung einer Gene­ral­landschaftskasse vorsah, dem König damals je­doch als nicht realisierbar erschien, aber bei späteren Überle­gungen von Bedeutung gewesen sein wird. 1768 unterbreitete der gerade zum schlesischen Justizminister ernannte Johann Heinrich Casi­mir v. Carmer dem Herrscher einen Vorschlag zur Behe­bung der Geldnot des grundbesitzenden Adels, am 28. Juni erhielt er die Aufforderung, einen genauen Plan vorzulegen, und er tat das rasch.

Schon zwei Monate später, als der König – wie alljährlich – Schlesien besuchte, unterzeichnete er (am 29. August) in Breslau eine Kabinettsordre, mit der die von Carmer vorg­schlagene Schlesische Landschaft ins Leben gerufen wurde. Die neue Institution sollte die Lebensfähigkeit der schlesi­schen Rittergüter durch die Wiederherstellung bzw. Erhaltung ihres Kredites mittels ihrer Beleihung mit Pfandbriefen und der Aus­gabe und dem Umlauf derselben beim „Publikum“ si­chern. Kre­di­te durften nur bis zur Hälfte des Wertes eines Gutes, der nach einheitlichen Prinzipien festzusetzen und zu kontrollieren war, gewährt werden. Besitzer verpfändeter Gü­ter verzinsten der Landschaft die Pfandbriefe mit 5 Prozent.

Nach Klärung noch offener Fragen und nach den erforderli­chen rechtlichen und organisatorischen Vorbereitungen wur­den am 9. Juli 1770 das Schlesische Landschafts-Reglement und am 15. Juli 1770 die Konfirmationsordre erlassen, so daß die Landschaft ihre Tätigkeit beginnen und im Dezember des­selben Jahres die ersten Pfandbriefe ausgeben konnte.

Vorher hatten mancherlei Bedenken gegen das landwirt­schaft­liche Kreditsystem ausgeräumt werden müssen. Organi­sato­risch knüpfte die neue Institution an die für Schlesien ty­pi­schen föderal-partikulären Strukturen an. Bereits früher be­stand hier eine über sehr weitreichende Rechte, vor allem über die Steuerbewilligung und die Umlage der Steuern, verfü­gende Landschaft, die jedoch von dem auf möglichst wenig Be­schränkung seiner Macht bedachten Friedrich als überflüs­sig bzw. hinderlich betrachtet worden war. Nun erstand sie neu, in anderer Form und nur zu einem einzigen Zweck.

Um ihr Akzeptanz zu verschaffen, ließ Carmers „rechte Hand“, der in Schweidnitz geborene damals erst zweiund­zwanzigjäh­rige Carl Gottlieb Svarez (Schwartz), anonym seine in Breslau gedruckte und über 100 Quartseiten umfas­sende Schrift „Gedan­ken eines Patrioten über den Entwurf zur Wiederher­stellung des allgemeinen Kredits des schlesischen Adels“ erscheinen. Carmer selbst setzte sich bei eigens zur Be­ratung und Beschlußfassung über die Organisierung der Land­schaft einberufenen Fürstentumstagen für die Neuerungen ein, zuerst vom 2. bis 4. April 1770 in Oppeln, wo die Deputierten der Fürstentümer Oppeln und Ratibor sowie der Kreise Beuthen (O/S), Tarnowitz, Pleß und Leobschütz sich versam­melten, das Zusammengehen ganz Preußisch-Oberschlesiens mit Ausnah­me der Fürstentümer Neisse und Grottkau be­schlossen und einen Direktor wählten. Vom 7. bis 9. April tagten die Vertre­ter des Fürstentums Brieg und der Kreise Ohlau, Strehlen, Nimptsch, Kreuzburg und Pitschen in Brieg in Anwesenheit Carmers und beschlossen die Verbindung mit dem Fürstentum Breslau, das später zustimmte. Weitere Ver­sammlungen fanden u.a. in Oels, Münsterberg und Glatz statt. Am 29. Juni 1770 „stand die Organisation“: es gab die acht Fürstentumsland­schaf­ten Schweidnitz-Jauer, Glogau-Sagan, Oberschlesien, Bres­lau-Brieg, Liegnitz-Wohlau, Münsterberg-Glatz, das (Bres­lau­er) Bistum oberen und niederen Kreises und Oels-Militsch.

Die Leitung jeder Fürstentumslandschaft oblag einem Fürsten­tums-Kollegium, dem ein von den Ständen gewählter und vom Könige bestätigter Landschaftsdirektor, zwei oder mehr Lan­desälteste aus jedem Kreis und ein Syndikus angehörten. Ihr übergeordnet war die aus dem vom König ernannten General-Landschafts-Direktor, ein oder zwei Syndici und drei von den Deputierten der Stände gewählten Repräsentanten bestehende General-Landschafts-Direktion. Die über ein Stammkapital von nur 400 000 Talern verfügende Einrichtung bewährte sich, bereits 1787 hatte sich der Schuldenstand der schlesi­schen Rittergüter von 25 auf 8 Millionen Taler, also auf ein Drittel verringert, und sie überstand auch die schwere Krise des preu­ßischen Staates in der napoleonischen Ära.

Zusammenfassend läßt sich sagen: Die Gründung der Schlesi­schen Landschaft war eine im Frieden erbrachte hervorra­gende volks- und betriebswirtschaftliche Leistung, die als Verdienst vor allem Carmer, Svarez und Friedrich dem Gro­ßen ange­rechnet werden muß. „Der Gedanke kommt von dem Minister, der König billigt ihn, und nachdem das geschehen, geht Car­mer an die Ausführung, ohne durch Verhaltungsbe­fehle von Potsdam oder Berlin gestört zu werden […]. Endlich die Stände nehmen an der Gründung des Kreditwerkes selb­ständig den freiesten Antheil, und binnen Jahresfrist“ wird das Werk vollendet (Reimann). Die Schlesische Landschaft er­möglichte relativ billige und langfristige Kredite, förderte den Unterneh­mungsgeist und sanierte viele Rittergüter. Sie setzte genossen­schaftliches Denken des Mittelalters fort und verband es mit dem Übergang zu kapitalistischer Wirtschaftsart. Ihr Vorbild wurde in den anderen preußischen Provinzen nachge­ahmt.

Lit.: K.S. v. Görtz: Die Verfassung und Verwaltung der Schlesischen Landschaft, Breslau 1867. – Eduard Reimann: Ueber den Ursprung der schlesischen Landschaft, in: Zeitschrift des Vereins für Ge­schichte und Alterthum Schlesiens 18, 1884, S. 1-25. – Dietmar Stutzer: Die Schlesi­sche Land­schaft als wirtschaftliche Epochenleistung und vertane Chance des preu­ßischen Staates, in: Jahrb. d. Schles. Friedrich-Wilh.-Universität zu Breslau 20, 1979, S. 132-149.

 

Bild: Pfandbrief der Schlesischen Landschaft vom 24. Juni 1773 / Quelle: Wikipedia. Gemeinfrei.

 

Hans-Ludwig Abmeier