Ereignis vom 1. Januar 1946

SOZIALER WOHNUNGSBAU IN DER NACHKRIEGSZEIT UND IN DER JUNGEN BUNDESREPUBLIK

 

Die Integration von rund 15 Millionen Deutschen, die innerhalb weniger Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg aus ihrer Heimat im Osten Europas sowie den östlichen Teilen des Deutschen Reichs ins zerstörte West- und Mitteldeutschland geströmt sind, war schwierig und langwierig, aber im Ergebnis erfolgreich. Die Eingliederung so vieler seelisch und körperlich erschöpfter Menschen, die zudem völlig mittellos waren, hätte schon ein intaktes Staatswesen vor kaum lösbare Probleme gestellt. Sie schien in den ersten Jahren schlicht unmöglich. Neben Hunger und Elend herrschte Mangel an Wohnraum. Die Not der Vertriebenen äußerte sich nur deshalb nicht in Tumulten, weil sie in ihren Lagern und Notunterkünften zunächst in eine aus Hoffnungslosigkeit geborene Apathie versanken. Die Wartezeiten für eine Wohnungszuweisung betrugen beispielsweise in Stuttgart bis zu fünf Jahre. Aber statt sich abzukapseln, stellten sich die Heimatvertriebenen den gewaltigen Herausforderungen, bauten sich eine neue Existenz auf, engagierten sich sozial, politisch und kulturell, veränderten und prägten ihr neues Gemein­wesen, bereicherten die Aufnahmegesellschaft mit ihrem technischen, handwerklichen oder akademischen Wissen, mit ihrer interkulturellen Kompetenz, ihrer Mehrsprachigkeit, auch wenn sie zunächst nicht selten auf Ablehnung stießen und lange zwischen die Mahlsteine der politischen Auseinandersetzungen gerieten. Was anfangs unmöglich erschien, gelang zum Erstaunen vieler sowohl in der BRD als auch in der früheren DDR, wenn auch auf höchst unterschiedliche Weise, und gehört rückblickend zu den größten Leistungen der beiden deutschen Nachkriegsgesellschaften.

 

 

Eine zentrale Voraussetzung für diesen integrationsbereiten Aufbauwillen war der Soziale Wohnungsbau. Das Heimisch­werden der Neubürger im Aufnahmeland ließ sich erst mit der Beendigung ihrer provisorischen Existenz in den Lagern oder sonstigen Einquartierungen, mit dem Einzug in menschenwürdige Wohnungen und dem Bau von Eigenheimen erreichen. Bereits an der Schwelle zur Nachkriegszeit hatte im Mai 1945 eine Gruppe deutscher Politiker im Schweizer Exil zukunftsweisende Vorstellungen. Ihre Köpfe waren der Sozialdemokrat und spätere bayerische Ministerpräsident Wilhelm Hoegner, sein Parteifreund, der legendäre frühere preußische Ministerpräsident Otto Braun, und der ehemalige Reichkanzler Josef Wirth vom Zentrum. Die Exilanten bildeten unter dem Namen „Das Demokratische Deutschland“ eine Arbeitsgruppe und veröffentlichten eine Broschüre mit Grundsätzen und Richtlinien für den Wiederaufbau in Deutschland. Dort wurde auch eine besonders zu fördernde Familienpolitik mit der Forderung nach Einfamilienhäusern propagiert.

Nach dem Krieg waren in Westdeutschland und West-Berlin ca. 2,34 Millionen Wohnungen zerstört. Das entsprach etwa 22 Prozent des Wohnungsbestandes im Jahr 1939. Der Bedarf an zu schaffendem Wohnraum wurde auf rund 5 Millionen, ab Anfang der fünfziger Jahre auf 6,5 Millionen Wohnungen geschätzt. Noch vor der Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1949 sahen sich die Verantwortlichen in dieser drangvollen Lage zu einer aktiven Wohnungspolitik veranlasst. In den einzelnen Bundesländern wurden die Wohnungsbauprogramme mit unter­schied­licher Intensität, auch in Relation zur Zahl der aufzuneh­menden Flüchtlinge und Heimatvertriebenen je Region, angefahren. Weil Schleswig-Holstein deutlich mehr entwurzelte Men­schen aufnehmen musste als jedes andere westdeutsche Bundesland, wurde dort auch bereits am 21. Februar 1946 in Kiel die „Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen e.V.“ gegründet, um Konstruktionen zu typisieren, Planungsprozesse zu vereinfachen, Abläufe zu beschleunigen und Kosten zu verringern. In Schleswig-Holstein wurde auch das erste Sonderprogramm zum Bau von Flüchtlingswohnungen aus Geldern des Marshall-Plans realisiert.

Unmittelbar nach Kriegsende wurde im Odenwalddorf Hettingen eine Modellsiedlung für Vertriebene konzipiert. Der katholische Hirte des Ortes Heinrich Magnani gründete 1946 eine kirchliche Baugenossenschaft, um für die rund 500 Neubürger, die es in die 1.500-Seelen-Gemeinde verschlagen hatte und die direkt bei den Familien im Dorf untergebracht waren, eigene Wohngebäude zu schaffen und so Spannungen abzubauen. „Es lässt sich nicht christlich leben ohne ein eigenes Heim“, war Heinrich Magnanis These. „Zwei Frauen in einer Küche, das gibt Krach.“ Der tatkräftige Geistliche gewann für sein Projekt keinen Geringeren als Architekt Egon Eiermann, der praktisch, innovativ, materialsparend und kostengünstig plante und zwei Typen von jeweils zweiteiligen Reihenhäusern schuf. Die Hettinger Bevölkerung und die katholische Kirche beteiligten sich finanziell am Projekt, während die Vertriebenen, die wenig Kapital einbringen konnten, 1.500 Stunden auf der Baustelle mitarbeiten mussten, um das Anrecht auf ein Haus zu erwerben. Zunächst wurden die Häuser vermietet, im Lauf der Jahre konnten die Bewohner sie mit günstigen Darlehen kaufen. Die ersten 14 Häuser der Siedlung wurden am 17. Oktober 1948 feierlich eingeweiht. Das Werk stärkte den sozialen Zusammenhalt, war ein Vorzeigeprojekt gelungener Integration und fand früh große Anerkennung in Staat und Kirche, sogar der Papst im fernen Rom spendete seinen Segen. Magnanis Projekt machte Schule: Nach dem Vorbild der Siedlungsgemeinschaft in Hettingen wurden noch 25 weitere Genossenschaften in der Erzdiözese Freiburg gegründet. Magnanis Baugenossenschaft erhielt bald den Namen „Neue Heimat“ und wandelte sich zum heutigen „Familienheim“.

Der bauliche Beginn des systematischen Sozialen Wohnungsbaus in der Bundesrepublik Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg fand am 5. März 1950 mit der Grundsteinlegung für eine Großbaustelle in Neumünster durch den SPD-Politiker und ersten Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes Hans Böckler statt, die später nach ihm benannte „Böckler-Siedlung“. Die politischen Rahmenbedingungen für den Wohnungsbau in der Bundesrepublik Deutschland mündeten dann in das I. (1950) und II. (1956) Wohnungsbaugesetz. 1953 rief der niederländische Prämonstratenserpater Werenfried van Straaten den „Internationalen Bauorden“ ins Leben, um Studenten zu motivieren, in Deutschland Flüchtlingen und Vertriebenen beim Bau von familiengerechten Eigenheimen zu helfen. In der DDR blieb der Wohnungsbau staatlich organisiert.

Große Wohnungsnot herrschte vor allem in den Ballungszentren oder in Orten mit Industrie und Arbeitsplätzen, etwa in Stuttgart, wo durch britische und amerikanische Luftangriffe 57,5 Prozent der Bausubstanz zerstört oder beschädigt waren. So waren im November 1945 die für 400 Personen vorgesehenen baufälligen Holzbaracken des Lagers Schlotwiese auf der Gemarkung des Stuttgarter Bezirks Zuffenhausen mit 1.200 volksdeutschen, vor allem aus der Batschka stammenden Menschen zum Bersten überbelegt. Obwohl die Schlotwieser in fürchterlicher Beengtheit hausen mussten, bildete sich allmählich ein funktionsfähiges Gemeinwesen mit selbst entwickelten Verwaltungs-, Wirtschafts- und Kulturstrukturen heraus. Der erste Schritt zur Auflösung dieser Zwischenheimat war die Gründungsversammlung der gemeinnützigen Bau- und Siedlergenossenschaft „Neues Heim“ am 17. November 1948 zusammen mit dem CDU-Stadtrat Dr. Herbert Czaja. Durch den teils mit Eigenleistung ermöglichten Neubau von zunächst 18 Wohnungen in einem Block am Rotweg konnte das erste Kontingent das Lager verlassen. Dieser Neubau wurde eingeweiht von Prof. Dr. Alfons Hufnagel. 1958 waren bereits fast alle Holzbaracken abgerissen.

Ebenfalls in Stuttgart sah der damalige Vorstand der noch jungen sudetendeutschen Ackermann-Gemeinde das Problem des Mangels an Wohnraum und überlegte, wie man Abhilfe schaffen konnte. Die Ackermann-Gemeinde in der Diözese Rottenburg-Stuttgart war 1947 von katholischen Heimatvertriebenen aus Böhmen, Mähren und Österreichisch-Schlesien gegründet worden und war die erste landsmannschaftliche Vereinigung Heimatvertriebener in der amerikanischen Zone. Zu ihren Begründern in Stuttgart und in der Diözese Rottenburg gehörte neben dem Vorsitzenden Heinrich Schubert und anderen auch Dr. Czaja. Im Mai 1952 wagte man einen sehr riskanten Einstieg in den Wohnungsbau. Auf zwei von der Stadt Stuttgart erworbenen Grundstücken in Mühlhausen wurden unter Mithilfe und Eigeninitiative der Käufer vier Riegelfachwerkhäuser mit insgesamt acht Wohneinheiten errichtet. Trotz großer Schwierigkeiten während der Bauzeit konnte die feierliche Einweihung dieser Häuser im Januar 1954 stattfinden. Dank der finanziellen Unterstützung durch die Diözese bei diesem Vorhaben konnte die Ackermann-Gemeinde hier den ersten Schritt auf dem Sektor des Sozialen Wohnungsbaus vollziehen.

Der in der Zwischenzeit gegründete eingetragene Verein plante bereits das zweite Bauvorhaben. Über Beziehungen erreichte der damalige Bundesvorsitzende der Ackermann-Gemeinde, Hans Schütz MdB, ehemals Verbandsobmann der Deutschen Christlichen Gewerkschaften in der Tschechoslowakei, zusammen mit Dr. Herbert Czaja (MdB seit September 1953), dem Motor der Gemeinde im Diözesanverband, beim Bundesfinanzminister Fritz Schäffer, dass der Ackermann-Gemeinde ein bundeseigenes Grundstück auf dem alten Exerzierplatz in Zuffenhausen-Rot als Bauland zur Verfügung gestellt wurde. Mit den Bauarbeiten konnte trotz großer finanzieller Schwierigkeiten im Frühjahr 1955 begonnen werden. In Stuttgart war es das erste Projekt im Sozialen Wohnungsbau.

Dank der großzügigen Hilfe des Augustiner-Konvents, des Diözesansiedlungswerkes und anderer waren die 15 Wohnungen des ersten Bauabschnitts bereits im Dezember 1955 bezugsfertig. Im März 1956 konnte dann das ganze Objekt mit 40 Woh­nungen fertig gestellt und von dem Vertriebenenreferenten des Rottenburger Domkapitels Domkapitular Prof. Dr. Alfons Hufnagel sowie dem evangelischen Pastor Franz Hein von den Donauschwaben – er nannte sich Bischof – eingeweiht werden. Unter großem persönlichem Einsatz des sudetendeutschen Amtsgerichtsdirektors Dr. Adalbert Langer (Diözesanvorsitzender der Ackermann-Gemeinde) und seines Stellvertreters Dr. Herbert Czaja wurde bei diesem Bauvorhaben die komplette Verwaltungstätigkeit ohne einen Geschäftsführer abgewickelt.

Kurz darauf wurde in Absprache mit dem Rottenburger Weihbischof Dr. Wilhelm Sedlmeier, Prälat Dr. Alfons Hufnagel und dem Flüchtlingsbeauftragten Ministerialrat Edmund Nowotny die Gründung einer eigenen Wohnungsbaugesellschaft festgelegt, der „Ackermann-Gemeinde Wohnungsbaugesellschaft“. Zugleich wurde Herbert Viehmann zum ersten hauptamtlichen Geschäftsführer der neuen Gesellschaft bestellt, später kam Norbert Umlauf hinzu. Das Unternehmen wurde am 5. April 1956 gegründet, damals im Handelsregister jedoch als Gesellschaft mit beschränkter Haftung eingetragen. Diese Rechtsform hat man in den Folgejahren zur Co. KG erweitert und sich damit veränderten rechtlichen wie auch zweckdienlichen Bedürfnissen angepasst. Da zunächst keine Sicherheiten vorhanden waren, wurden die Hypotheken für die ersten Bauten der neuen Gesellschaft durch eine von Dr. Hufnagel organisierte Bürgschaft vom Ordinariat abgesichert. Ein Jahrzehnt später wollte das Diözesansiedlungswerk dafür die ganze Ackermann-Gemeinde Wohnungsbau GmbH einkassieren, was aber nicht gelang, denn inzwischen waren die verbürgten Mittel abgezahlt und eine Bürgschaft daher überflüssig geworden.

Bild: Die Siedlung der Ackermann-Gemeinde Wohnungsbaugesellschaft in Stuttgart-Steinhaldenfeld, Luftbild: Albrecht Brugger, Stuttgart / Quelle:  freigegeben vom Innenministerium Baden-Württemberg Nr. 2/12527.

Stefan P. Teppert