Ereignis vom 1. Januar 1346

Stadtrecht für Tuchel

Großes Stadtsiegel mit dem Stadtwappen und der Umschrift SIGILLUM CIVITATIS TUCHHOL, eingeführt um 1345 vom Deutschen Orden

Als Hochmeister Heinrich Dusemer am 22. Juli 1346 der Stadt Tuchel eine Handfeste zu Kulmer Recht ausstellte, war dies der Endpunkt der rechtlichen Stadtwerdung einer schon seit Jahr­zehnten bestehenden Siedlung. Erstmalig erwähnt wird Tuchel bereits im Jahre 1287, als der Erzbischof von Gnesen dort zur Einweihung der Kirche erschienen war. Zu Beginn des 14. Jahrhunderts befand es sich im Besitz der Swenzonen, einer der mächtigsten Adelsfami­lien Pommerellens. Peter Swenza, Herr zu Tuchel, der dort ein „festes Haus“ besaß, war noch Statthalter Wenzels III., des letzten Königs von Böhmen, der landesherrliche Rechte über Pommerellen wahrgenommen hatte. Nach dessen Ermordung konnte sich Peter gegen die aufkommende Macht des Herzogs W³adys³aw £okietek kaum behaupten, obwohl er die Unterstützung der Markgrafen von Brandenburg durch Lehnsnahme gesucht hatte. Nach­dem der Deutsche Orden 1309 die Herrschaft über Pommerellen über­nom­men hatte, war die Stellung der Swenzonen bereits so ge­schwächt, daß der Orden sie aus seinem Land verdrängen konnte. Der Erwerb der Herrschaft Tuchel ist in den Jahren 1325/30 gelungen.

Peter Swenza hat im Tucheler Raum keine erkennbare Sied­lungspolitik be­trieben. Er nutzte nicht das 1313 vom Orden gewährte Recht zur Gründung einer Stadt. Die Lage änderte sich erst, als der Deutsche Orden Grundherr von Tuchel wurde. Das eröffnete den Ordensrittern die Möglichkeit, im Sü­den Pommerellens zwischen den schon bestehenden Komtureien Schwetz und Schlochau ein weiteres regionales Zentrum zu schaffen. Erster Komtur von Tuchel war Dietrich von Lichten­hain, der von 1330 bis 1343 nachweis­bar ist. Er hatte bereits Erfahrungen in den Nachbarkomtureien gesammelt. In seine Zeit fallen auch die Anfänge der städtischen Siedlung, die westlich der Burg angelegt wurde. In Urkunden dieses Komturs aus den Jahren 1336 und 1338 taucht Meißner, der Vogt der Stadt Tuchel – also der Lokator – auf. Noch vor der obengenannten Stadtrechtsurkunde hat der nächste Komtur von Tuchel, Konrad Vullekop, im Jahre 1344 dem Nikolaus Meiß­ner als Lokator die Handfeste für das „Nuwedorf“ bei der Stadt Tuchel, ebenfalls nach Kulmer Recht, übergeben. Es handelte sich um das spätere Koszelische Dorf (Koslinka), das als Stadtdorf von Tuchel mit 56 Hufen entstanden war, denn Stadt und Dorf unterstanden gemeinsam der Gerichtsbarkeit des Schultheißen Nikolaus Meißner, nachdem beide Siedlungen etwa gleichzeitig entstanden waren. Auch kirchlich gehörte das Dorf zur Stadt. Es befand sich im Nor­den in vorstädtischer La­ge und umfaßte mit seiner Gemarkung die Stadt halbkreisför­mig. Da weder mit der Dorfhandfeste von 1344 noch mit der Stadt­rechtsurkunde von 1346 Freijahre gewährt wurden, also eine Abgabenfreiheit für eine bestimmte Anzahl von Jahren, dürften die Siedlungen bereits in der ersten Hälfte der 30er Jahre „besetzt“ worden sein.

Tuchel lag westlich der Brahe in der Nähe des Trozionek-Sees, so daß schon in der Stadtrechtsurkunde vom Fischereirecht die Rede ist. Kirchlich gehörte es zur Erzdiözese Gnesen, deren Nordostgrenze die Brahe war. Die Ackerbürgerstadt lebte hauptsächlich vom Handwerk und vom örtlichen Handel. Eine günstige Verkehrslage förderte die Entwicklung der Kleinstadt zu Fü­ßen einer Deutschordensburg. Nach dem Übergang Pommerellens an die Krone Polen nach dem 13jährigen Krieg (1454/66) wurde Tuchel Sitz eines Starosten. Nach der Ersten Teilung Polens 1772 wurde das Schloß Sitz eines preußischen Domänenamtes, 1818 wurde Tuchel preußische Kreisstadt. Tuchel behielt bei allen Herrschaftswechseln seine engere zentralörtliche Funktion, kam jedoch nie über die Bedeutung einer Kleinstadt hinaus. Seine hauptsächliche Bekanntheit be­ruht auf der Namengebung für die Tucheler Heide, das über den Kreis Tuchel weit hinausreichende große Sandergebiet zwischen der pommerschen und der preußischen Endmoräne. Diese karge Landschaft bestimmt bis heute das Wirtschaftsle­ben Tuchels.

Quellen und Lit.: Urkunden der Komturei Tuchel, bearb. v. Paul Panske, Danzig 1911. – Ders.: Anfänge von Tuchel, in: Mitteilungen des Westpreuß. Geschichtsvereins 21.1922, S. 54-59. – Karl Kasiske: Das Deutsche Siedel­werk des Mittelalters in Pommerellen, Königs­berg (Pr) 1938, S. 106 f., 183 ff. – Ernst Bahr: Art. Tuchel, in: Hand­buch der historischen Stätten. Ost- und Westpreußen, hg. v. Erich Weise, Stuttgart 1966, S. 232. – Wilhelm Krimpenfort: Der Grund­besitz der Landstädte des Herzogtums Preußen, Mar­burg/Lahn 1979, S. 91 f. u.ö.

Foto: Großes Stadtsiegel mit dem Stadtwappen und der Umschrift SIGILLUM CIVITATIS TUCHHOL, eingeführt um 1345 vom Deutschen Orden/ Quelle: Von unbekannt – Friedrich August Vossberg: Geschichte der Preußischen Münzen und Siegel von frühester Zeit bis zum Ende der Herrschaft des Deutschen Ordens. Berlin 1843, S. 46., PD-alt-100, https://de.wikipedia.org/w/index.php?curid=9412528

Bernhart Jähnig