Ereignis vom 1. Januar 1489

Übernahme der Hochmeisterwürde des Deutschen Ordens durch Friedrich von Sachsen

Friedrich von Sachsen

Seit der polnisch-litauischen Union 1385/86 war eine wichtige Existenzgrundlage des Deutschen Ordens in Preußen entfallen – der Heidenkampf –, auch wenn der Orden die Christianisierung Litauens zu leugnen versuchte. Gleichzeitig stellte sich der nie bereinigte, sondern durch den Frieden von Kalisch 1343 nur verdeckte Gegensatz zwischen dem preußischen Ordensstaat und Polen erneut: Die Annektion Pommerellens mit Danzig als Vorort durch den Orden 1308 hatte die polnischen Interessen zu tief getroffen, um vergessen zu sein, der polnische König führte den Titel des pommerellischen Herzogs nach wie vor.

Dieser Gegensatz kam zum Austrag zu Beginn des 15. Jahrhunderts, als der Orden den vereinigten polnisch-litauischen Heeren in der Schlacht bei Tannenberg 1410 unterlag. Die angestrebte Angliederung Pommerellens konnte Polen im Ersten Thorner Frieden 1411 noch nicht erreichen, doch die Schwächung des Ordens war erheblich. Er vermochte die negative Entwicklung nicht mehr abzubremsen, erwuchsen ihm doch im eigenen Lande Widerstände seitens der Stände, die ein Mitspracherecht in der Landesverwaltung forderten. Hinzu kam ein steigendes Anspruchsdenken der Ordensbrüder in ihrer Funktion als Landesherrschaft. Gemeinsam erwuchs daraus eine bedrohliche Schere für die Ordensexistenz in Preußen.

Die Eskalation dieser Entwicklung bot der dreizehnjährige Ständekrieg seit 1454, in dem die Gegensätze zwischen Land und Herrschaft zum militärischen Austrag kamen. Die vom Orden abgefallenen Stände unterstellten sich als neuem Landesherrn dem polnischen König, mußten jedoch den Krieg weitgehend alleine führen. Schließlich kam es 1466 zu einem Erschöpfungsfrieden, dessen Ergebnis die Teilung des Ordenslandes war in einen Restordensstaat mit Zentrum Königsberg und ein mit der Krone Polen verbundenes westliches, das sog. Königliche Preußen mit den großen Wirtschaftszentren Danzig, Elbing und Thorn.

Dieser Zweite Thorner Friede wurde von den Ordenszweigen in Livland und Deutschland nie anerkannt, auch Papst und Kaiser verweigerten die vom polnischen König geforderte Zustimmung. Jeder neue Hochmeister in Preußen versuchte eine Revision des Friedens, vor allem hinsichtlich der Leistung eines Treue- und Gefolgschaftseides gegenüber dem polnischen König. Der Amtsantritt jedes Hochmeisters war mit dieser Hypothek belastet: Heinrich Reuß von Plauen blieb nach dem Tod des Vorgängers zweieinhalb Jahre Statthalter des Hochmeisteramtes, um den Huldigungseid zu vermeiden, und ließ sich erst 1469 offiziell zum Hochmeister wählen; Heinrich Reffle von Richtenberg leistete 1470 den Eid sofort, um die innenpolitischen Probleme besser meistern zu können; Martin Truchseß von Wetzhausen mußte 1477 auf Druck der eigenen Stände auf Widerstand gegen Polen verzichten; Johann von Tiefen versuchte, das Verhältnis zu Polen zu verbessern, und leistete 1489 den Huldigungseid ohne Verzögerung; ein zweites Mal mußte er ihn beim Wechsel auf dem polnischen Thron 1492 ablegen.

Gerade unter Johann von Tiefen stellte sich die Situation für den preußischen Ordenszweig jedoch besonders demütigend dar. Zum einen war es die zweite Eidesleistung. Zum zweiten verlangte König Johann Albrecht 1497 die Gefolgschaft in einem Kriegszug gegen die Türken, Tiefen mußte mit einer Truppe des Ordens teilnehmen. Die Truppe kam jedoch nicht zum Einsatz, der Hochmeister erkrankte und starb schließlich 1497 in Lemberg; nur als Toter konnte er wieder in seine Residenz Königsberg einziehen.

Johann von Tiefen hatte erkannt, daß die Position des Hoch-meisters in Preußen zu schwach war, um eine Reorganisation des Ordens und seines Staates durchzusetzen und das wesentliche Ziel der Ordenspolitik seit drei Jahrzehnten, die Annullierung des Zweiten Thorner Friedens, auch nur in Teilen erreichen zu können. Deshalb hatte er über die Stärkung der hochmeisterlichen Position innerhalb des Ordens, innerhalb des eigenen Landes und gegenüber Polen nachgedacht und wohl schon 1496 seinen Mitbrüdern empfohlen, nach seinem Tode einen Reichsfürsten zum Hochmeister zu wählen.

Entsprechende Verhandlungen begann Tiefen wohl selber noch mit dem für den geistlichen Stand vorgesehenen Herzog Friedrich von Sachsen. 1496 hatte Herzog Georg von Sachsen, der Bruder Friedrichs, die Schwester des polnischen Königs Johann Albrecht, die Jagiellonin Barbara geheiratet, was eine weitere Stärkung Friedrichs als Hochmeister versprach. Nach Tiefens Tod wurden die Verhandlungen in seinem Sinne mit Friedrich von Sachsen zum Abschluß gebracht.

Dieses Vorgehen widersprach jedoch eindeutig der Regel des Ordens, die vorschrieb, daß im Wahlkapitel si enwelen mit luterme hercen den, der si der wirdegeste unde der beste dunket zu eime meistere unde der aller vollenkumenest darzu si, daz er berihtere unde bewarere si der anderen, d.h. die Wahlmänner sollten mit lauterem Herzen denjenigen wählen, der ihnen der Würdigste und der Beste als Meister schien und der Vollkommenste, über die anderen zu richten und sie zu behüten. Dies wie auch die gesamten übrigen Wahlvorschriften gehen völlig selbstverständlich davon aus, daß der zu Wählende sich bereits innerhalb des Ordens bewährt hatte und allseitiges Vertrauen genoß.

Die politisch motivierte Wahl eines nicht dem Orden Angehörenden haben die Verfasser der Regel in der Mitte des 13. Jahrhunderts sich nicht vorstellen können. Deshalb ist sie nicht ausdrücklich ausgeschlossen, widerspricht aber dem Geist der Regel eindeutig. Das muß Tiefen gewusst haben, das haben seine Brüder auch bei den Verhandlungen mit Friedrich von Sachsen gewusst, ebenso wie die unterstützenden Autoritäten: der deutsche König Maximilian I., der Mainzer Erzbischof Berthold von Henneberg und Herzog Georg von Sachsen. So wurde denn dem Buchstaben der Regel entsprochen, indem Friedrich im Mai 1498 in den Orden aufgenommen wurde, um im September nach Preußen zu ziehen und dort zum Hochmeister gewählt zu werden. Der Ordenshistoriker und spätere Hochmeister Marian Tumler urteilt denn auch eindeutig: „Es war ein schwerer Verstoß gegen die Regel, den Würdigsten zu wählen.“

Dieser Vorgang bedeutet einen wesentlichen Wendepunkt in der Geschichte des Deutschen Ordens. Unbeschadet der persönlichen Integrität Friedrichs von Sachsen war damit das Hochmeisteramt zu einem Objekt der Politik auf höherer Ebene geworden. Anfangs bediente sich dessen nur der preußische Ordenszweig in seiner Abwehrhaltung gegenüber Polen und wiederholte den Vorgang nach dem Tod Friedrichs 1510 bei der Wahl Albrechts von Brandenburg-Ansbach im Folgejahr, mit derselben Motivation. Dabei sollte es jedoch nicht bleiben.

Nach dem Umsturz in Preußen 1525 – Albrecht huldigte in Erkenntnis der militärischen Aussichtslosigkeit des Revisionsversuches des Thorner Friedens dem polnischen König als Herzog in Preußen, legte den Hochmeistermantel ab, trat zur Lehre Luthers über und säkularisierte das Ordensterritorium – erhob der Komtur von Memel, Herzog Erich von Braunschweig, als Reichsfürst und damit von Geburt Ranghöchster im Orden Anspruch auf die Hochmeisterwürde. Diesen Anspruch hat der Orden mit der überwiegenden Zahl seiner niederadeligen Brüder noch abwehren können.

Als jedoch am Ende des 16. Jahrhunderts der Zugriff auf das Hochmeisteramt von außen erfolgte, um Reichsfürsten mit dieser Pfründe zu versorgen, gelang dem Orden die Abwehr nicht mehr. Denn schließlich war es das Kaiserhaus selbst, der entscheidende Rückhalt des Ordens, das bei der Vielzahl seiner Söhne nach Versorgungsstellen suchte. Gegen den Willen des Hochmeisters Heinrich von Bobenhausen wurde Erzherzog Maximilian III. 1584 in den Orden aufgenommen und im Folgejahr auf Druck der österreichischen wie der spanischen Habsburger und des Papstes zum Koadjutor des Hochmeisters mit dem Recht der Nachfolge gewählt – eine in der Ordensregel nicht vorgesehene Position.

Es wäre müßig zu spekulieren, ob es ohne die Vorgänge des Jahres 1498 nicht dazu gekommen wäre. Tatsache ist jedoch, daß man innerhalb wie außerhalb von den Umständen der Hochmeisterwahl Friedrichs von Sachsen und Albrechts von Brandenburg-Ansbach wußte und knapp einhundert Jahre später ganz parallel vorging. In der Folgezeit wurde dementsprechend das Hochmeisteramt bis 1923 mit wenigen, umständebedingten Ausnahmen als Pfründe des hohen Adels „von außen“ besetzt. Somit kann das Jahr 1498 als ein Wendepunkt in der Ordensgeschichte betrachtet werden.

Gleichzeitig bedeutete die Wahl Friedrichs von Sachsen ein wesentliches Moment in der Entwicklung des Landes Preußen. Der Orden stellte die Sonderform einer korporativen Landesherrschaft dar. Aufgrund der Ordensregel war der Hochmeister zwar Oberer, aber eingeschränkt in seiner Befehlsgewalt durch die Ratspflicht des Kapitels und der Gebietiger. Damit war im Prinzip jeder Komtur auf seiner Burg ein Teil der Landesherrschaft. Dies machte im 13. und 14. Jahrhundert die Stärke der Landesherrschaft in einer Art totaler Durchdringung des Landes und dauernder Präsenz aus. So wurde auch die Landeshuldigung dem Orden in seiner Gesamtheit und nicht dem Hochmeister als Person geleistet. Mit dem Erstarken der Stände in Preußen und dem Wandel im Bewußtsein der Ordensbrüder – fort von den preußischen Brüdern, hin zu den preußischen Herren – wurden die Forderungen der Stände immer lauter, die Ordensherrschaft zur personalen Landesherrschaft des Hochmeisters zu wandeln, damit ein den übrigen Territorien vergleichbares Verfassungsgefüge einschließlich eines festen politischen Ortes der Stände zu schaffen.

Seit dem Frieden vom Melnosee 1422 wurden die Forderungen schrittweise durchgesetzt. Ein der Ordenskorporation intensiv verbundener Hochmeister stemmte sich weit mehr gegen diese Bestrebungen als es Friedrich von Sachsen tat: Er war die personale Landesherrschaft des Fürsten gewohnt, er realisierte sie nach seiner Wahl auch in Preußen. Die Hochmeisterresidenz wurde zum Fürstenhof einschließlich mancher Renaissanceeinflüsse, die Ordensbrüder in der Verwaltung zum großen Teil durch weltliche Juristen und Berater ersetzt. Kurt Forstreuter hat diese Entwicklung bereits im Titel seines Buches gut gekennzeichnet: „Vom Ordensstaat zum Fürstentum“ (1951). Die Wahl Friedrichs von Sachsen und die folgende allmähliche Umgestaltung in Königsberg haben somit den Umbruch von 1525 unter Albrecht von Brandenburg-Ansbach vorbereitet und ihn im allgemeinen Bewußtsein des Landes längst nicht so kraß wirken lassen, wie es innerhalb des Ordens – vor allem des livländischen und des deutschen Zweiges – der Fall war. Für das Land war es viel eher ein fließender Übergang, kein Bruch, durch Friedrich von Sachsen vorbereitet. Auch unter diesem Aspekt stellt seine Übernahme des Hochmeisteramtes 1498 einen Wendepunkt dar.

Lit.: Kurt Forstreuter: Vom Ordensstaat zum Fürstentum, Kitzingen [1951]. – Lothar Dralle: Der Staat des Deutschen Ordens in Preußen nach dem II. Thorner Frieden, Wiesbaden 1975. – Marian Tumler / Udo Arnold: Der Deutsche Orden. Von seinem Ursprung bis zur Gegenwart, Bad Münstereifel 51992. – Hartmut Boockmann: Der Deut¬sche Orden. Zwölf Kapitel aus seiner Geschichte, München 41994. – Die Hochmeister des Deutschen Ordens 1190-1994, hrsg.v. Udo Arnold, Marburg 1997.

Bild: Friedrich von Sachsen, posthume Darstellung von Lucas Cranach den Jüngeren um 1580 / Quelle: Von Lucas Cranach der Jüngere – http://lucascranach.org/AT_KHM_GG4809, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=47843056

Udo Arnold