Ereignis vom 21. Mai 1923

Übernahme der Hochmeisterwürde des Deutschen Ordens Durch Norbert Klein

Hochmeisterwappen des Deutschen Ordens

Mit der Neuordnung Europas durch Napoleon und den seine Epoche abschließenden Wiener Kongress (1815) ging eine zwei-te große Welle der Säkularisation und Mediatisierung einher: Die kleinen weltlichen und teilweise auch großen geistlichen Fürstentümer, von denen das Heilige Römische Reich deutscher Nation eine große Zahl gekannt hatte, wurden aufgehoben und ihre Gebiete den großen Fürstentümern zugeschlagen. Das galt auch für den Deutschen Orden, der innerhalb der Rheinbundstaaten durch einen Tagesbefehl Napoleons 1809 bereits aufgehoben und enteignet worden war und dem 1815 eine Restitution in den Territorien des Alten Reiches nicht gelang; er blieb auf die habsburgischen Erbländer beschränkt.

Dort gelang ihm als Deutscher Ritterorden die staatsrechtliche Absicherung wie auch die innere Konsolidierung und eine wegweisende Neuorientierung. Nachdem 1839/40 die Weiterexistenz als Sekundogenitur des Hauses Habsburg gesichert war, erfolgten neben der Aufnahme neuer Ordensritter die Wiederbegründung des am Ausgang des Mittelalters untergegangenen Schwesternzweiges sowie die Reform des Priesterzweiges. Gerade letztere sollte tragend werden für die weitere Ordenstätigkeit.

Der Orden besaß seit seiner Gründung 1190 Priesterbrüder, wenngleich sie nach der Umwandlung in einen Ritterorden 1198 immer mehr in den Hintergrund traten und in der weiteren Ordensentwicklung eine untergeordnete Rolle spielten. Wir finden sie in Preußen und Livland vor allem in der Verwaltung wie auch als Kapläne der Meister und in den Konventen. Im Deutschen Reich dagegen war ihre Zahl stets bedeutender, da dort dem Orden eine große Zahl von Pfarrkirchen übertragen worden war, die es nach Möglichkeit mit eigenen Priestern zu versorgen galt. Im Mittelalter konnten sie dort innerhalb des Ordens sogar zu Führungspositionen aufsteigen.

Das änderte sich mit der Zäsur, die die Säkularisation Preußens 1525, die Neuordnung der Leitungsstruktur im Orden durch den Deutschmeister und die Reformation darstellte. Die Priester wurden noch weiter in den Hintergrund gedrängt, so daß der Orden an akutem Priestermangel für seine Pfarren litt. Zwar brachte die Einrichtung von Priesterseminaren, z.B. in Mergentheim und Köln, eine gewisse Abhilfe, aber keine Einbindung der Priester in Ordenskonvente, wie es im Mittelalter der Fall gewesen war – ganz abgesehen von der Tatsache, daß die großen Konvente sowieso nicht mehr existierten und an vielen Orten ein Ritter alleine in der Kommende saß. Die nach der napoleonischen Zäsur noch in den habsburgischen Ländern lebenden Ordenspriester wurden dementsprechend dem Landkomtur unterstellt als „Balleipriester“. Sie wirkten in den dem Orden verbliebenen Pfarren ähnlich wie Weltpriester und hatten kaum Kontakt zum Orden, repräsentierten ihn auch selten im Ordenssinn.

So gründete die Ordensleitung neue Priesterkonvente, um gemeinsames Leben und Ordensgedanken zu verwurzeln, bevor die Priester ihre Aufgaben auf den Pfarren übernahmen, und ließ die „Balleipriester“ zugunsten der „Konventspriester“ allmählich aussterben. Am Ende des Ersten Weltkrieges war somit die Zahl der „Balleipriester“ verschwindend gering geworden. Dagegen stellten die „Konventspriester“ in den drei Konventen Lana (Südtirol), Troppau (Österreichisch Schlesien) und Laibach (Slowenien) eine erhebliche Zahl innerhalb des Gesamtordens und forderten allmählich immer deutlicher ein Mitspracherecht gegenüber den wenigen Ordensrittern, die die Leitungsfunktionen im Orden besetzt hielten.

Infolge des staatlichen Zusammenbruchs der Donaumonarchie und der in Österreich erlassenen „Habsburger-Gesetze“ mußte Hochmeister Erzherzog Eugen 1919 Wien verlassen und nahm in Basel Wohnung. Die weitere Existenz des Ordens war in hohem Maße gefährdet, da die habsburgischen Nachfolgestaaten den Deutschen Ritterorden als Teil der Monarchie ansahen. Es kostete große Mühe, sie zu überzeugen, daß es sich um einen kirchlichen Orden handelte. Erzherzog Eugen sah in dieser Situation ein Problem in seiner Person als Hochmeister und leitete seinen Rücktritt ein.

1923 schrieb er im Hinblick auf die veränderten Rechtsgrundlagen in den Nachfolgestaaten Österreich, Tschechoslowakei, Jugoslawien und Italien sowie das neue kirchliche Gesetzbuch ein General- und Wahlkapitel aus, dem er die Aufgabe zur Wahl eines Koadjutors mit dem Recht der Nachfolge gab, da er an Basel gebunden war. Dieses Kapitel ergab eine Stimmengleichheit für einen Ritter und einen Priester. Die telegraphisch eingeholte Stimme des Hochmeisters gab den Ausschlag für P. Norbert Klein. Anschließend wurde auf Eugens Weisung ein Brief geöffnet und verlesen: Er enthielt den Rücktritt vom Amt des Hochmeisters.

Damit übernahm am 21. Mai 1923 nach 725 Jahren Ritterorden ein Priester die Ordensleitung. Norbert Klein stammte aus Nordmähren aus kleinen Verhältnissen, war nach dem Abitur in den Orden eingetreten und hatte Theologie studiert. Ein Vierteljahrhundert wirkte er vor allem in Troppau, wo er bis zum Dechanten aufstieg, bis ihn Kaiser Franz Josef 1916 zum Bischof von Brünn ernannte. Trotz der politischen Probleme in der neuen Tschechoslowakei konnte er dieses Amt bis 1926 ausüben.

Der Bruch des Jahres 1923 war von Erzherzog Eugen behutsam vorbereitet worden. Bereits 1921 hatte er Klein und die Prioren der drei Konvente zu Mitgliedern des Großkapitels ernannt, wenige Wochen später bestellte er Klein zu seinem Stellvertreter und Generalvisitator, und Ende desselben Jahres übertrug er ihm die alleinverantwortliche Leitung des Ordens in der Tschechoslowakei. 1922 wurden neue Ordensstatuten in Basel beraten, die offiziell als Hilfsmittel im Kampf um das Überleben des Ordens gegenüber den politischen Instanzen galten. Doch anschließend sandte Eugen Bischof Klein nach Rom, um seinen Rücktritt vorbereiten zu lassen. Nach der Koadjutorwahl Kleins 1923 – gerade die Ordensritter hatten dies noch immer als politische Vorsicht des Hochmeisters gesehen, weniger als unmittelbare Auswirkung nach sich ziehende Entscheidung – trat Eugen vom Hochmeisteramt zurück, der Ordenspriester Klein war neuer Hochmeister.

Zu diesem Umsturz im Orden, der im Verein mit den neuen Ordensstatuten die Ordensritter zum Aussterben bestimmte und somit eine über 700 Jahre währende Tradition beendete, hatte es nach Eugens Ansicht keine Alternative gegeben, die Zeit eines Ritterordens schien ihm vorbei. Wenn auch bürgerlicher Herkunft, so war Norbert Klein doch der in der allgemeinen kirchlichen Hierarchie als Bischof ranghöchste Ordenspriester und schien dem Erzherzog am ehesten geeignet, die Leitung des Ordens unangefochten zu übernehmen. Die unter Klein einsetzenden Turbulenzen im Orden hatte Eugen nicht vorhersehen können; er äußerte sich dazu nicht, obwohl er drei seiner priesterlichen Nachfolger – Norbert Klein, † 1933; Paul Heider, † 1936; Robert Schälzky, † 1948 – überlebte. Der Akt von 1923 war jedenfalls unumkehrbar, aus dem Deutschen Ritterorden wurde wieder der Deutsche Orden, nunmehr aber als von Priestern geleiteter Orden mit Priester- und Schwesternzweig. In dieser Form existiert er noch heute, vermehrt um einen Familiarenzweig. Die Übernahme des Hochmeisteramtes durch Bischof P. Dr. h.c. Norbert Klein stellt eine entscheidende Zäsur in der Ordensentwicklung des 20. Jahrhunderts dar und bildete die Basis für ein Fortbestehen als kirchlicher Orden über die Neuordnung der Habsburgerstaaten hinaus.

Lit.: Von Akkon bis Wien. Studien zur Deutschordensgeschichte vom 13. bis zum 20. Jahrhundert, hrsg.v. Udo Arnold, Marburg 1978. – Ma¬rian Tumler / Udo Arnold: Der Deutsche Orden. Von seinem Ur-sprung bis zur Gegenwart, Bad Münstereifel 51992. – Die Hochmeister des Deutschen Ordens 1190-1994, hrsg.v. Udo Arnold, Marburg 1997.

Bild: Hochmeisterwappen des Deutschen Ordens / Quelle: CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=4481804

Udo Arnold