Ereignis vom 1. Mai 1919

Unterzeichnung Versailler Vertrag

Vertragsunterzeichnung in der Spiegelgalerie des Schlosses von Versailles 1919

Am 3. Oktober 1918 richtete die deutsche Regierung ein Ersuchen um Waffenstillstand an die Kriegsgegner. Das 14-Punkte-Programm des amerikanischen Präsidenten Wilson sollte dabei als Friedensbasis dienen. Am 9. November verkündete Reichskanzler Prinz Max von Baden die Abdankung Kaiser Wilhelms II., der einen Tag später ins niederländische Exil ging. Durch den Waffenstillstand im Wald von Compiègne vom 11. November 1918 wurden die Kampfhandlungen des Ersten Weltkrieges dann beendet. Die verheerende Bilanz: Deutschland und Österreich-Ungarn hatten zusammen drei Millionen Tote zu beklagen, Russland zwei Millionen, Frankreich 1,4 Millionen und England eine Million Tote.

In den Jahren 1919/20 wurden dann zwischen der Entente und den Mittelmächten die sogenannten Pariser Vorortverträge abge­schlossen, die den Ersten Weltkrieg völkerrechtlich beendeten. Neben dem Versailler Vertrag waren dies die Friedensverträge von Saint-Germain-en-Laye mit Österreich, von Neuilly-sur-Seine mit Bulgarien, von Trianon mit Ungarn und von Sèvres mit der Türkei.

Unter dem Vorsitz des französischen Premierministers Georges Clemenceau begannen am 18. Januar 1919 die Verhandlungen in Versailles bei Paris. Sowjetrussland und die besiegten Staaten waren hiervon ausgeschlossen. Deutschland war zwar mit einer Abordnung unter Leitung des Außenministers Ulrich Graf von Brockdorff-Rantzau vor Ort vertreten, hatte aber nur einen Beobachter-Status. Hauptakteure waren neben Clemenceau der amerikanische Präsident und spätere Friedensnobelpreisträger Woodrow Wilson, der britische Premierminister David Lloyd George und der italienische Ministerpräsident Vittorio Emanuele Orlando – sie bildeten den „Rat der Vier“. Die Gegenvorschläge Deutschlands auf den am 7. Mai 1919 ausgehändigten Vertragstext wurden verworfen und die Reichs­regierung ultimativ zur Unterzeichnung aufgefordert. Nachdem die Regierung Scheidemann aus Protest gegen den Vertrag zurückgetreten war, stimmte die Weimarer Nationalversammlung unter dem Eindruck einer angedrohten Totalbesetzung des Reiches am 23. Juni mit 237 gegen 138 Stimmen für die Annahme. Am 28. Juni 1919 schlossen insgesamt 27 alliierte und assoziierte Staaten und das Deutsche Reich den Friedensvertrag im Spiegelsaal des Versailler Schlosses. Für Deutschland unterzeichneten Verkehrsminister Johannes Bell (Zentrum) und Außenminister Hermann Müller (SPD).

Das Vertragswerk besteht aus 440 Artikeln in 15 Teilen, in denen unter anderen Bestimmungen zur Abrüstung, Reparationszahlungen sowie die Gebietsabtretungen (u.a. Eupen-Mal­medy, Moresnet, Elsass-Lothringen, Posen, Nordschleswig, Süd­ost-Oberschlesien, Hultschiner Ländchen, Memelland) und die daraus resultierenden neuen Grenzen geregelt wurden. Die deut­schen Kolonien kamen als Mandatsgebiete unter die Aufsicht des Völkerbundes.

Vor allem der „Schuldparagraph“, nach dem Deutschland und seine Verbündeten „als Urheber für alle Verluste und Schäden verantwortlich sind“ (Art. 231) und die Auslieferung der so genannten Kriegsverbrecher nach einer einseitig von den Alliierten aufgestellten Liste erschütterten das deutsche Volk und stellte die Regierung vor nahezu unlösbare Probleme. So hatte der deutsche Außenminister und Delegationsleiter Brockdorff-Rantzau schon am 7. Mai 1919 deutlich gemacht, dass Deutschland sehr wohl gedenke, seinen Teil der Verantwortung für den Weltkrieg zu übernehmen. Auch durch Deutsche verübte Verbrechen gestand er ein. Die Übernahme der Alleinschuld Deutschlands jedoch war von ihm strikt abgelehnt worden: „… ein solches Bekenntnis wäre in meinem Munde eine Lüge.“

Angesichts der sich abzeichnenden territorialen Forderungen hatte Deutschland während der Verhandlungen durchaus Zugeständnisse gemacht. So hieß es in der Mantelnote vom 29. Mai 1919: „Es [Deutschland, Anm. d. Verf.] tritt den größten Teil der Provinz Posen, die unbestreitbar polnisch besiedelten Gebiete nebst der Hauptstadt Posen an Polen ab. Es ist bereit, den Polen durch Einräumung von Freihäfen in Danzig, Königsberg und Memel, durch eine Weichsel-Schiffahrtsakte und durch besondere Eisenbahnverträge freien und sicheren Zugang zum Meere unter internationaler Garantie zu gewähren.“

Die Einwände und Proteste Deutschlands gegen die Bestimmungen brachten die Alliierten jedoch nicht von ihrer strikten Haltung ab. Am 10. Januar 1920 trat der Vertrag in Kraft. Neben anderen Bestimmungen wurde Deutschlands Militärpotenzial begrenzt, das Rheinland entmilitarisiert, die großen Flüsse internationalisiert. Dem Land wurden dazu hohe Reparationen auferlegt. Besonders hart wurden die deutschen Ostgebiete von den territorialen Bestimmungen des Vertragswerks betroffen. Das Schicksal der Provinzen Westpreußen und Posen war hierbei eng mit der Wiederherstellung des Staates Polen verknüpft.

Die bisherige Provinzhauptstadt Danzig wurde Freistaat mit der offiziellen Bezeichnung Freie Stadt Danzig. Dieser Miniaturstaat verfügte nur über eine eingeschränkte Souveränität, wurde außenpolitisch durch Polen vertreten und war dem Staat ab 1922 durch eine Zoll- und Wirtschaftsunion verbunden.

Die südwestlichen Kreise Westpreußens (Flatow, Schlochau und Deutsch-Krone) blieben bei Deutschland und bildeten mit Posener Teilgebieten die Grenzmark Posen-Westpreußen, die 1938 zur Provinz Pommern kam.

Der größte Teil Westpreußens beiderseits der Weichsel wurde ohne Abstimmung der Republik Polen angegliedert und bildete die „Woiwodschaft Pommerellen“ (Pomorze) mit der Hauptstadt Thorn, in Deutschland besser bekannt als „Weichselkorridor“. Betroffen hiervon waren die Kreise Berent, Briesen, Dir­schau, Graudenz, Karthaus, Konitz, Kulm, Löbau, Neustadt, Putzig, Schwetz, Pr. Stargard, Strasburg, Thorn, Tuchel und Zempelburg. 1938 kamen Teile des Netzegebietes hinzu. Hierbei wurde das Prinzip des Selbstbestimmungsrechts der Völker, wie es der amerikanische Präsident Wilson am 8. Januar 1918 in seinen Vierzehn Punkten formuliert hatte, missachtet.

In den Kreisen Marienburg, Rosenberg und Stuhm wurde am 11. Juli 1920 eine Volksabstimmung durchgeführt, bei der sich 92 Prozent der Bevölkerung für den Verbleib bei Deutschland aussprachen. Im zeitgleich durchgeführten Plebiszit im südlichen Ostpreußen waren es sogar 98 Prozent. Alleine aus dem Westen Deutschlands waren etwa 160.000 Abstimmungs­be­rechtigte mit Schiffen nach Ost- und Westpreußen gebracht worden. Die vier o.g. Kreise bildeten gemeinsam mit den Kreisen Elbing-Stadt und Land seit dem 1. Juli 1922 den Regierungsbezirk Westpreußen in der Provinz Ostpreußen.

Schon vor der offiziellen Übergabe der neuen Gebiete an Polen am 10. Januar 1920 hatten bis zu zwei Drittel der deutschen Bevölkerung die Abtretungsgebiete verlassen, vor allem bis 1925 sollten noch viele Weitere folgen. Zwar waren den Deutschen in den abgetretenen Gebieten im Minderheitenschutzabkommen vom 28. Juni 1919 zwischen den Alliierten und Polen der Aufbau und Unterhalt von Wohlfahrtsverbänden, religiösen, kulturellen oder sozialen Einrichtungen sowie Schulen eingeräumt worden, aber die zu einer Änderung der Nationali­täten­verhältnisse entschlossenen polnischen Behörden reizten ihren Ermessensspielraum oftmals bis an die Grenzen aus. Schon früh machte man in Deutschland aber auch andere Gründe für die massive Abwanderung aus. Das Auswärtige Amt stellte 1921 ernüchtert fest, dass man die „Widerstandskraft des Ostmarken-Deutschtums, seine Wurzelfestigkeit, seine Zivilcourage … außerordentlich stark überschätzt“ habe. Die wirtschaftliche Misere in Polen, die Angst vor einer Einberufung zur polnischen Armee, die Aussicht auf eine finanzielle Entschädigung im Reich und die Sorge um einen Verlust der deutschen Sozialversicherung zählten mit zu den Gründen, die die Auswanderung vieler Deutscher aus den nunmehr polnischen Gebieten beförderten. Auch der Wegfall von Subventionen, die bisher vom Reich gezahlt worden waren, um die Abwanderung aus dem Osten zu unterbinden, mag eine Rolle gespielt haben.

Der Vertrag wurde von vielen sehr kritisch gesehen. Der amerikanische Außenminister Robert Lansing urteilte 1919: „Wir haben einen Friedensvertrag, aber er wird keinen dauernden Frieden bringen, weil er auf dem Treibsand des Eigennutzes gegründet ist.“ Bezüglich der territorialen Verluste Deutschlands im Osten erkannte der südafrikanische General Smuts in einem Schreiben an den britischen Premierminister David Lloyd George „einen politischen Kardinalfehler […], der sich noch im Laufe der Geschichte rächen wird.“

Lit.: Der Vertrag von Versailles. Mit Beiträgen von Sebastian Haffner, Gregory Bateson, J. M. Keynes, Harold Nicolson u.a., München 1978. – Curt Christof von Pfuel, Wiener Kongress/ Versailler Vertrag. Ein Vergleich. Berlin 1934 (Internationale Abhandlungen, 21). – Hermann Rauschning, Die Abwanderung der Deutschen aus Westpreußen und Posen nach dem Ersten Weltkrieg. Ein Beitrag zur Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen 1919-1929. Nachdruck der Ausgabe „Die Entdeutschung Westpreußens und Posens“ 1930, herausgegeben von Wolfgang Kessler, Berlin 1988. – Norbert Krekeler, Revisionsanspruch und geheime Ostpolitik der Weimarer Republik. Die Subventionierung der deutschen Minderheit in Polen 1919-1933, Stuttgart 1973. – Hartmut Boockmann, Deutsche Geschichte im Osten Europas. Ostpreußen und Westpreußen. Berlin 1993

Bild: William OrpenThe Signing of Peace in the Hall of Mirrors. Vertragsunterzeichnung in der Spiegelgalerie des Schlosses von Versailles 1919. / Quelle: Wikipedia. Gemeinfrei.

Martin Steinkühler (OGT 2009, 356)