Ereignis vom 1. Januar 1724

Vereinigung der drei Städte Königsberg

Blick auf Königsberg um 1850

Seit 1242 hatte Lübeck eine Tochtersiedlung an der Mündung des Pregel geplant. Zusammen mit dem Deutschen Orden wollte man vorgehen, hatte sich allerdings von dem zunächst zuständigen Landmeister in Preußen ein so großes Territorium und so weitgehende Rechte zusagen lassen, dass die Leitung des Ordens nicht zustimmen konnte, was 1246 zu einem Schiedsspruch des Bischofs von Kulm führte. Nach weiteren acht Jahren trat die Gründung 1254/55 in die entscheidende Phase. Nach wechselvollen Anfängen gewann die Stadt Königsberg in den 60er und 70er Jahren des 13. Jahrhunderts zwischen Ordensburg und Pregel Gestalt, so dass der Orden ihr 1286 Kulmisches Recht verlieh (s. OGT 1986, S. 205-108). 14 Jahre später wurde die im Osten angrenzende neue Stadt, der Löbenicht, mit Kulmischem Recht belehnt, was die überaus rasche Entwicklung in den letzten Jahren des 13. Jahrhunderts belegt. Weitere 27 Jahre später (1327) erhielt die inzwischen auf dem Kneiphof angelegte Kaufmannssiedlung ebenfalls Kulmisches Recht. Fortan gab es drei Städte Königsberg, die mit Ausnahme des Löbenicht der Hanse angehörten, was nicht selten zu Eifersüchteleien, ja auch Interessengegensätzen untereinander führte. Allmählich bildeten sich auch die Vorstädte und die Freiheiten entsprechend verschiedenen Funktionszuweisungen. Als dann in der Barockzeit 1630 die Umwallung geschaffen wurde, die alle drei Städte samt ihren Vorstädten umfasste, waren sowohl der verwaltungsmäßige, der rechtliche und auch der städtebauliche Rahmen für die Entwicklung des Raumes Königsberg bis Anfang des 18. Jahrhunderts abgesteckt.

Die Bewohner der landesherrlichen Freiheiten (Schloss, Burgfreiheit, Tragheim, Vorder- und Hinterroßgarten, Neue Sorge, Sackheim) mussten den Nachteil in Kauf nehmen, dass sie keinen Groß- und Fernhandel betreiben durften, der ein Privileg der Bürger der drei Städte war. In den Freiheiten siedelten sich landesherrliche Beamte, Kleinbürger, Handwerker und auch Ausländer an, die in den Städten nur ungern aufgenommen wurden, da man sie nicht zu Unrecht als unliebsame Konkurrenten fürchtete. Um diesem Missstand zu begegnen, baten Bewohner der Freiheiten 1701 den neuen König, die landes-herrlichen Freiheiten zu einer vierten Stadt unter dem Namen Friedrichsstadt zu erheben und damit die handelsrechtlichen Bedingungen der dortigen Kaufleute und Handwerker denen in den drei Städten anzugleichen. König Friedrich schien zunächst aufgeschlossen, scheiterte aber am Widerstand der drei alten Städte. Unter Friedrich Wilhelm I. gab es noch weniger Neigung zur Schaffung einer vierten Stadt: Dieser strebte vielmehr zur Vereinheitlichung, Vereinfachung und Effektivierung der vorgefundenen Verhältnisse.

Der Konflikt mit dem König entzündete sich an der Frage des Finanzgebarens der Stadt. Es begann mit einer Tranksteuer, die den drei Städten Königsberg zur Tilgung von Schulden über-lassen worden war. Aus gesamtfiskalischen Gründen war diese zeitweilig gewährte Steuer den Städten entzogen worden, doch versprach der König, sie ihnen teilweise zurückzugeben um den Preis der Kontrolle der Einnahmen und ihrer Verwendung durch ein Tranksteuerkollegium, das zur Hälfte aus königlichen Be-amten bestand. Da die Städte von ordnungsgemäßer Buch-führung weit entfernt waren, wurde eine Untersuchungskommission eingesetzt, die 1717-1723 tätig war und das ganze Ausmaß des Missstandes offenbarte. Belege für Ausgaben konnten nicht vollständig beigebracht werden. Dahinter verbarg sich ein leichtsinniger Umgang mit städtischen Geldern. Die städtische Oligarchie glaubte, die von ihr eingenommenen und nur unter ihnen verteilten Ämter berechtigten sie dazu, sich vor allem selbst zu bereichern und allerlei eigentlich städtische Einnahmen unter sich zu verteilen. Dazu wurde “keine Gelegenheit […] vorübergelassen, um auf Stadtkosten zu schmausen und zu pokulieren. […] Reichlich wurden auch im Namen der Stadt Geschenke gespendet, […]” (Armstedt, S. 222). Diese Summen wurden freilich zumeist zu bestimmten Gelegenheiten in den Familien der Ratsmitglieder selbst verteilt. Auch wurden selbstverständliche Dienste für die Stadt reichlich belohnt. Der Fuhrpark der damaligen Zeit (vierzig Pferde und zwölf Kutscher) stand bedenkenlos auch den privaten Bedürfnissen der Ratsmitglieder zur Verfügung. Der Gemeinsinn der Bürger war hingegen schwach ausgeprägt.

Der König reagierte auf diesen Befund seiner Untersuchungs-kommission, indem er das Finanzwesen aller drei Städte 1723 unter die Kontrolle eines königlichen Kommissars stellte, der mit strengen Vorschriften für die Geschäftsführung des Magistrats und die städtischen Angelegenheiten ausgestattet wurde. Die drei Städte versuchten nun, die sich abzeichnende grundsätzliche Reform durch den König zu verhindern. In ständischen Denkgewohnheiten befangen, glaubten sie, es gehe dem König nur um höhere Einnahmen. Sie boten daher freiwillige Zahlungen an die Königliche Rekrutenkasse, was dem König sicher willkommene Einnahmen gebracht hätte. Dieser ließ jedoch empört antworten, wie sie sich unterstehen könnten, städtisches Vermögen zu entfremden, sie seien “nicht die Herren, sondern nur die Administratores der rathäuslichen und gemeiner Stadt Mittel”. Fritz Gause hat darauf hingewiesen, dass sich hier “nicht nur zwei Wirtschaftsarten, sondern zwei Staatsauffassungen gegenüber[standen]”; es habe sich beim König um eine “neue Staatsmoral” gehandelt, der gegenüber die lässige Haltung der drei Stadtregimenter in Königsberg “zu einem unsittlichen Verhalten, zu Korruption und Unterschlagung, Missbrauch öffentlichen Eigentums zu privaten Zwecken” wurde (Gause, S. 70 f.).

Durch königliche Verfügung wurden die drei Städte daraufhin mit ihren Vorstädten zu einer einzigen Stadt vereinigt, sicher der bedeutendste Eingriff in die inneren Verhältnisse der Stadt. Der König unterzeichnete am 13. Juni 1724 das entsprechende  “Rathäusliche Reglement”, am 28. August wurde es im Altstädtischen Rathaus in Königsberg feierlich verkündet, womit die bisherige dreigeteilte Stadtverwaltung ihr Ende fand. Im Kneiphöfschen Rathaus folgte darauf die Konstituierung des neuen Stadtregiments für ganz Königsberg, das zum Teil personelle Kontinuität zur Zeit davor wahrte. Anschließend kehrten die Vertreter der Stadt und des Königs in das Altstädtische Rathaus zurück, wo sie das neue Stadtgericht konstituierten, das hier auch (bis 1879) seinen Sitz erhielt. Dem ungesunden Zustande gegenseitiger Befehdungen und aufwendiger Kompetenzabgrenzung (vor allem bei den zahlreichen Gerichten) war ein Ende gemacht. Der König übernahm die Schulden der Stadt und einen Teil der im Rückstand befindlichen Lohnzahlungen. Bemerkenswert war die Verleihung eines neuen Siegels an die Gesamtstadt, das 1906 auch amtlich als Stadtwappen bestimmt wurde: Die Wappen der drei bisherigen Städte, das der Altstadt in der Mitte, werden unter dem preußischen Adler zusammengefügt, wobei die Königskrone über den Initialen des Königs (FW) auf der Brust angebracht ist. Königsberg hieß nun bis zum Ende der Monarchie 1918 offiziell: Königlich-Preußische Haupt- und Residenzstadt. Der König vollzog damit in Königsberg nach, was sich schon 1709 bei der Zusammenlegung der fünf Berliner Städte und vor allem im Rathäuslichen Reglement für Stettin vom März 1723 vorbereitet hatte.

Unfähige Beamte wurden in Pension geschickt, die Wahl neuer von der königlichen Bestätigung abhängig gemacht. Der König hatte wirksame Maßnahmen getroffen, die die soeben beseitigte Vetternwirtschaft künftig verhindern sollte. Bei den Wahlen sollte es nur um die Befähigung zum Amt, persönliche Tüchtigkeit der Kandidaten, nicht um Alter, Stand oder sonst etwas gehen. Die Mitglieder des Magistrats wurden allmählich zu königlichen Beamten, auf Lebenszeit ernannt. Sogleich wurden in allen drei alten Rathäusern Inventarien über dort vorhandenes Gold, Silber, Zinn, Kupfer und Leinen angelegt. Diese Gegenstände mussten verkauft, der Erlös zugunsten der städtischen Finanzen auf Zins angelegt werden.

Der König vermochte durch sein Reglement allerdings nicht, den Handel zu beleben. Ein aus Sicht der Stadt gravierendes Problem stellte die Reglementierung des Getreidehandels dar, die z. T. Königsbergs Bedeutung als Umschlagplatz für Getreide aus Polen-Litauen bedrohte und fast das ganze 18. Jahr-hundert überschattete.

Richard Armstedt urteilte 1899 über das, was 1724 geschah (S. 220 f): “Das alte Königsberg der ständischen Zeit war längst ins Grab gesunken. Alle Veränderungen, die wir in den Städten, sei es auf dem Gebiete der Verwaltung, des Rechtslebens, des Handels und Verkehrs oder des gemeinen bürgerlichen Lebens im 18. Jahrhundert sich vollziehen sehen, verdanken nicht mehr der Willenskraft der Bürger ihre Entstehung oder auch nur ihren eigenartigen Charakter, sondern sind fast lediglich ein Ausfluss landesherrlicher Fürsorge. […] Doch nichts wäre thörichter, als dem Untergange der alten Zeit eine sentimentale Betrachtung zu widmen. Die Reformen, durch welche Friedrich Wilhelm I. eine neue Ära in der Stadtverwaltung hervorrief, waren ein Segen für Königsberg […]. Die Sippenwirtschaft, zu der das Stadtregiment ausgeartet war, und die nur die eigene Bequemlichkeit und den eigenen Vorteil im Auge hatte, lastete schwer auf Königsberg, eine erschreckende Korruption herrschte in den regierenden Patrizierfamilien. Nirgends ein Sinn für positives Schaffen, für strenge Gerechtigkeit und bedingungslose Pflichterfüllung. Das Gefühl, einer gemeinsamen großen Sache zu dienen, […] war einer engherzigen Kleinigkeitskrämerei und beschränkten Kirchturmpolitik gewichen […] und eine hohle Wichtigtuerei an die Stelle berechtigten Selbstbewusstseins getreten.”

Nach Inkrafttreten der Steinschen Städteordnung 1808 wurden 1809 die bis dahin noch königlich gebliebenen Bezirke in die einheitliche Stadtverwaltung Königsbergs eingegliedert. Damit war der im 19. Jahrhundert maßgebliche Rahmen für die – vor allem auch räumliche – Entwicklung der Stadt festgelegt. Als zwischen 1905 und 1910 der Festungsgürtel aufgelassen wurde, sprengte dies die Fesseln für eine großräumige, moderne städtebauliche Entwicklung Königsbergs, wie sie dann in einer letzten Blüte bis zu den Zerstörungswellen (1944 ff.) sichtbar unser Bild vom Werden und Wesen der östlichsten Großstadt Deutschlands bestimmte.

König Friedrich Wilhelm I. hat durch sein “Rathäusliches Regiment” von 1724 die Grundlagen für diese Entwicklung Königsbergs im 18. und 19. Jahrhundert gelegt, indem er die aus dem Mittelalter überkommene Dreiteilung der Stadt zugleich mit der ständischen Misswirtschaft beseitigte. Die Reformen des Jahres 1724 schufen zusammen mit der Förderung durch das “Allgemeine Preußische Landrecht”, 1794, (s. OGT 1994, S. 275-279) und die Städteordnung die Grundlage zu Königsbergs Goldenem Zeitalter im Zeichen Kants, Hamanns, Herders und anderer. Königsberg konnte so zum Rückgrat der preußischen Reformen unter Stein und Hardenberg und schließlich 1812/13 zum Ausgangspunkt der Erhebung gegen Napoleon werden.

Der Vereinigung der drei Städte 1724 wurde 200 Jahre später in Königsberg in besonderer Weise gedacht. Dies fiel zusammen mit der Feier des 200. Geburtstages Immanuel Kants. Die Feierlichkeiten aus beiden Anlässen wurden weit über Ostpreußen hinaus beachtet. Königsberg und Ostpreußen antworteten auf die Herausforderung, ja Bedrohung, die die Trennung vom übrigen Reich durch den Frieden von Versailles darstellte. Bemühungen in vielen Bereichen von Wirtschaft und Verkehr, von Kultur und Wissenschaft waren zu verzeichnen: 1924 wurde der Flughafen Devau eröffnet, durch den Königsberg ins deutsche und europäische Flugnetz eingebunden wurde. Der neue Hauptbahnhof, schon vor dem Ersten Weltkrieg geplant, wurde ab 1924 zügig gebaut. Die drei neuen Hafenbecken am Pregel, die modernsten Anlagen im Ostseebereich, nahmen 1924 ihren Betrieb auf. 1924 begann auch der Ostmarken-Rundfunk mit seinem Programm von Königsberg aus. Die Feierlichkeiten zum 200. Geburtstag Kants lenkten schließlich die Augen der ganzen gelehrten Welt auf Königsberg. Aus vielen Ländern kamen Gäste.

Aus Anlass des Gedenkens an die Vereinigung der drei Städte Königsbergs im Jahre 1724 wurden zahlreiche Publikationen herausgegeben, von denen vor allem Karl Gustav Springers (Pseudonym: “G. Karl”) “Geschichtliches Straßenverzeichnis der Stadt Königsberg in Preußen” seines besonderen dokumentarischen Wertes wegen hervorgehoben sei. Die Ereignisse des Jahres 1924 können, alle zusammengenommen, in ihrer Bedeutung für Königsberg und für die Stärkung des Selbstbehauptungswillens und der Zuversicht der Königsberger kaum überschätzt werden. Auch daran sei 75 Jahre später an dieser Stelle gedacht.

Lit.: Richard Armstedt: Geschichte der Königl. Haupt- und Residenz-stadt Königsberg in Preußen. Stuttgart 1899, S. 220-228. – Georg Conrad: Das Rathäusliche Reglement der Stadt Königsberg i.Pr. vom 13. Juni 1724. Königsberg i. Pr. 1910. – Fritz Gause: Die Geschichte der Stadt Königsberg in Preußen. Bd. 2, 2. Aufl. Köln, Weimar u. Wien 1996, S. 65-88. – Gerhard von Glinski u. Peter Wörster: Königsberg. Die ostpreußische Hauptstadt in Geschichte und Gegenwart. 2. Aufl. Berlin u. Bonn 1992. – G. Karl: Geschichtliches Straßenverzeichnis der Stadt Königsberg in Preußen. 2. Nachdr. mit Ergänzungen bis 1941 v. Peter Wörster. Hamburg 1992.

Bild: Blick auf Königsberg um 1850/ Quelle: Wikipedia. Gemeinfrei.

Peter Wörster