Ereignis vom 1. Januar 1398

Verleihung des Stadtrechts an die Ostpreussische Kreisstadt Gerdauen

Historisches Wappen Gerdauens

600 Jahre sind vergangen, seit Hochmeister Konrad von Jungingen am 21. September 1398 den Einwohnern der Siedlung vor der Ordensburg Gerdauen am Omet, einem rechten Nebenfluss der Alle, das Stadtrecht verliehen hat. Dieses Datum steht jedoch nicht am Beginn der Besiedlung dieses Teils des prußischen Gaues Barten, sondern ist wie oft als Abschluß einer Entwicklung anzusehen, die zur Entstehung einer Stadt geführt hat. Der Name des späteren preußischen Kreisstädtchens wird auf den prußischen Edlen Girdaw zurückgeführt, der am rechten Ufer des Omet eine Burg besaß. Da dieser während des zweiten großen Prußenaufstandes nach 1260 dem Deutschen Orden treu blieb, wurde er von den prußischen Gegnern so hart bedrängt, daß er schließlich seine Burg verbrannte und nach Königsberg flüchtete. Erst später hat der Orden an dieser Stelle eine neue Burg als Mittelpunkt eines Pflegeamtes für den südöstlichen Teil der Komturei Königsberg errichtet. Weil im Jahre 1315 in einer Urkunde des Königsberger Komturs einmal ein Komtur von Gerdauen als Zeuge genannt wird, hat das den Eindruck erweckt, als ob der Orden im Zuge der fortschreitenden Besiedlung von Natangen und Barten in Gerdauen einen ganzen Konvent hätte ansetzen wollen. Ein solcher Versuch wäre jedoch im zweiten Viertel des 14. Jahrhunderts auch hier wie an anderen Stellen noch verfrüht gewesen. Die Burg wurde 1325 von Königsberg aus vollendet. Erst im Zeitalter des Hochmeisters Winrich von Kniprode (1352-1382) machte die Ansetzung von Dienstgütern und deutschen Hufenzinsdörfern im Bartener Land Fortschritte. So hat der Oberste Marschall und Königsberger Komtur Rüdiger von Elner im Jahre 1370 eine Handfeste für das Dorf zu Ger-dauen mit 60 Hufen ausgestellt. Neben den sechs Schulzenhufen waren auch vier Pfarrhufen als Ausstattung für eine Kirche nebst Pfarrer vorgesehen. Das zeigt, daß noch um diese Zeit die Besiedlung des Ländchens Gerdauen nicht so weit fortgeschritten war, daß an die Gründung eines Städtchens als wirtschaftlichem Mittelpunkt gedacht werden konnte. Das wurde erst an¬ders, als die Siedlungsbewegung des Ordens unter Konrad von Jungingen (1393-1407) es in einem umfassenderen Vorgang anstrebte, ostwärts die masurischen Seen zu erreichen.

1398 verlieh der Hochmeister den Einwohnern der Stadt Gerdauen 120 Hufen nach Kulmer Recht. Während das alte Dorf von 1370, das nunmehr den Namen Altendorf annahm, etwa 3 km östlich der werdenden Stadt an der Straße nach Nordenburg lag, entstand die Stadt gegenüber der Ordensburg an der linken Seite des Omet. Zum Schutz für Burg und Stadt wurde der Omet in der Weise aufgestaut, daß der entstehende Banktinsee eine nach Süden sich erstreckende Landzunge so umschloß, daß diese nur nach Norden eine Landverbindung hatte. Auf dieser Landzunge entstand die planmäßige Stadtanlage. Diese wurde durch zwei etwa in Nordsüdrichtung verlaufende Parallelstraßen sowie mehrere in unregelmäßigen Abständen kreuzende Querstraßen gegliedert. In der Mitte wurde der nahezu rechteckige Marktplatz von 90 x 120 m Größe angelegt, auf dem das Rathaus errichtet wurde. 1406 wird der Bau der Stadtmauer erwähnt, von der Reste noch im 20. Jahrhundert vorhanden waren. Die Stadtkirche, von deren Backsteinbau des 15. Jahrhunderts noch heute bedeutende Reste erhalten sind, wurde am Nordrand der Stadt erbaut und in die Stadtbefestigung einbezogen. Im Jahre 1428 wurde das Dominikanerkloster, das zunächst in dem 1405 gegründeten Nachbarstädtchen Nordenburg eingerichtet worden war, nach Gerdauen verlegt, und zwar an den Südrand der Stadt. Das war ein Zeichen dafür, daß nach den Kriegen mit Polen-Litauen der Jahre 1410 und 1414 die Besiedlung des Landes keine weiteren Fortschritte gemacht hatte, so daß Gerdauen auch in geistlicher Hinsicht eine kleine Mittelpunktfunktion erhielt. Der zuständige Erzpriester saß während der Ordenszeit in Schippenbeil, in nachreformatorischer Zeit in Rastenburg, ehe Gerdauen im späten 18. Jahrhundert Sitz einer eigenen Inspektion, später eines Superintendenten wurde.

Von den 120 Hufen des Jahres 1398 sollten 20 Hufen als Stadtfreiheit „zum gemeinen Nutzen der Stadt“ dienen. Dem Lokator und Erbschulzen Jakob, als dessen Nachfolger später ein städtischer Wahlschulze zu erwarten war, standen 10 Hufen zu, dem Pfarrer vier Hufen. 20 Hufen, der spätere Stadtwald, sollten als Hegewald genutzt werden. Es verblieben 66 Hufen für die Anlage eines stadtverbundenen Dorfes, für das erstmals 1407 der Name Neuendorf überliefert ist. Dieses Dorf lag verhältnismäßig weit entfernt von der Stadt, 5 km nordwestlich in Richtung Friedland – Königsberg. Es wurde westlich vom Stadtwald begrenzt. Weitere Wundflächen von 20 und sechs Hufen wurden der Stadt in den Jahren 1407 und 1440 von der Lan¬¬desherrschaft verliehen. Während Neuendorf Teil der Stadt war, blieb das alte Dorf, für das sich der Name Altendorf durchsetzte, ein selbständiges Hufenzinsdorf. Eine Kirche dürfte dort zwischen 1370 und 1398 noch nicht bestanden haben, denn Altendorf war nach 1398 offen-sichtlich sogleich zur Stadtkirche eingepfarrt. Erst 1636 wurde offiziell in einem Vergleich festgelegt, daß die Altendorfer Pfarrhufen zur Dotierung der zweiten Pfarrstelle von Gerdauen dienen sollten.

In der Stadt selbst sollten die Höfe eine Größe von 4 x 7 Ruten (etwa 17,3 x 30,25 m) haben, soweit sie am Markt lagen, die übrigen eine Größe von 4 x 8 Ruten (etwa 17,3 x 34,6 m). Sie hatten damit die bei vergleichbaren Städten des Ordenslandes übliche Größe. Ihre Anzahl wird wenige Jahre nach der Stadtrechtsverleihung mit etwa 60 angegeben. Dazu kamen für die Ackerbürger die Nutzungsrechte, die sie an der Stadtfreiheit hatten. Zur wirtschaftlichen Grundausstattung des Städtchens sollten Brot-, Fleisch- und Schuhbänke sowie Bade- und Scherstube gehören, denn deren Zinseinnahmen werden als Einkünfte genannt, die zwischen dem Orden, dem Schulzen und der Gemeinde zu teilen waren. Das gleiche galt für die Einkünfte aus dem „großen“ Gericht, das in Gegenwart eines Ordensvertreters abzuhalten war, während die Straßengerichtsbarkeit und der Gerichtsstand über die Prußen wie üblich dem Orden ganz vorbehalten blieben. In wirtschaftlicher und rechtlicher Hinsicht zeigen sich damit gleichartige Verhältnisse wie in den anderen Kleinstädten des Ordenslandes. Gerdauen war lediglich weniger stark bevölkert als die meisten älteren Schwesterstädte.

Als 1454 der Dreizehnjährige Krieg ausbrach, hatte sich zunächst auch Gerdauen auf die Seite des aufständischen Preußischen Bundes geschlagen. Doch kehrte es, wie die meisten Städte des östlicheren Ordenslandes, bald unter die Landesherrschaft des Deutschen Ordens zurück, nachdem dieser 1455 die Burg zurückerobert hatte. Nach dem für den Orden verlustreichen Krieg und dem Zweiten Thorner Frieden von 1466 war der Orden nicht in der Lage, seine Söldnerführer ausreichend zu bezahlen. Er sah sich daher 1469 genötigt, die Stadt Gerdauen und das umliegende Land an die Brüder von Schlieben zu verpfänden. Diese zogen es vor, auf Dauer im Lande zu bleiben. Da der Orden diese und andere Pfandschaften nicht auslösen konnte, entwickelten sich die Schliebens und andere Familien in ähnlicher Lage zu den führenden Kräften neben dem Landesherrn, die von nun an bestimmten, wer in Preußen als Adel anzusehen war. Gerdauen wurde eine der wenigen adeligen Mediatstädte des späteren Herzogtums Preußen und wurde Sitz eines der wenigen Erbhauptämter neben der Vielzahl landesherrlicher Hauptämter. Die Schliebens blieben Grund-, Gerichts- und Patronatsherren bis zum Jahre 1809, als diese Verhältnisse im Zuge der preußischen Reformen aufgehoben wurden. Die Herrschaft der Schliebens verhinderte jedoch nicht, daß Gerdauen in Freud und Leid an der allge¬meinen Entwicklung des Preußenlandes teilgenommen hat.

Dazu gehört der im Zuge der Tüngenschen Fehde 1485 von Polen verursachte Stadtbrand und der Wiederaufbau erst im Jahre 1493. Auch im 16. Jahrhundert stieg der Wohlstand der Stadt nur sehr langsam. Anlässlich der Türkensteuer von 1539/40 (vgl. OGT 1990, S. 250-255) wurde festgestellt, daß erst 52 Bürgerhäuser besetzt waren. Besser ist es in dieser Zeit dem Stadtdorf ergangen, denn Neuendorf war zu demselben Zeitpunkt mit 28 Bauern voll besetzt. Stadtbrände in den Jahren 1585 und 1665, im Zeitalter der große Teile des Landes verheerenden schwedisch-polnischen Kriege, haben jeweils fast die ganze Stadt zerstört. Im Zuge des Wiederaufbaus sind nicht nur weitere urbare Landflächen in Benutzung genommen worden, sondern ist die Besiedlung der Stadt verdichtet worden. Das macht das Ergebnis einer Visitation aller Kleinstädte des Herzogtums Preußen im Jahre 1692 deutlich. Die Grundstücke wurden halbiert, d.h. sie hatten nur noch eine Breite von 2 Ruten (8,65 m). Die Stadt hatte nunmehr in diesem Sinne 114 „ganze“ Höfe von 2 Ruten Breite und sieben „halbe Erbe“ mit einer Breite von 1 Rute. Das war eine Entwicklung vom 16. bis zum frühen 18. Jahrhundert in zahlreichen Kleinstädten des Preußenlandes. In Gerdauen war dieser Vorgang 1692 noch nicht abgeschlossen, denn die Angaben darüber, inwieweit die Stadthöfe neuer Größe zu diesem Zeitpunkt besetzt waren, schwanken noch zwischen 88 und 93. Selbst im Jahre 1722, als die Bemühungen König Friedrich Wilhelms I. um das Retablissement des östlichen Preußens (vgl. OGT 1997, S. 293-298) längst eingesetzt hatten, gab es in Gerdauen immer noch 26 wüste Stadthöfe. Erst als 1802, im Zusammenhang mit einem neuerlichen Stadtbrand, ein Stadtplan angefertigt wurde, werden 112 Grundstücke eingezeichnet, davon fünf mit einer Breite von 4 Ruten. Offenbar war erst zu dieser Zeit der Raum der mittelalterlichen Stadt nach der Planung des 17. Jahrhunderts voll besetzt. Die überlieferten Einwohnerzahlen des 18. Jahrhunderts stiegen von 813 im Jahre 1729 auf 1744 im Jahre 1801. Gerdauen war Geburtsstadt von Kants Freund, dem Schriftsteller und Königsberger Dirigierenden Bürgermeister Theodor Gottlieb von Hippel (1741-1796), und dessen nicht weniger bekannten gleichnamigen Neffen (1775-1843).

Um 1469 hatten die Schliebens, die sich zu einem unbekannten Zeitpunkt zwischen 1469 und 1692 als neue Grundherren die zehn Schulzenhufen der Stadt aneigneten, außerhalb der Stadt die Burg bezogen. Nach Kriegszerstörungen von 1655 wurde diese spätestens seit 1672 nicht mehr bewohnt und verfiel. Im späten 18. Jahrhundert werden neben dem alten Schloß und dem zugehörigen Vorwerk Althof das Neuschloß Gerdauen mit dem zugehörigen Vorwerk Kinderhof in Johann Friedrich Goldbecks „Topographie“ verzeichnet. Der gesamte vorstädtische Bereich mit 71 Feuerstellen war im Besitz der Familie von Schlieben, die inzwischen in den Grafenstand erhoben worden war, während die eigentliche Stadt 196 Feuerstellen umfasste. 1872-1874 wurde auf dem Grund des alten Schlosses ein Gutshaus errichtet, das bis 1945 gestanden hat.

Nach der Verwaltungsreform zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde Gerdauen 1818 Kreisstadt. Schon in älterer Zeit hatte Gerdauen verkehrsgeographisch eine Mittelpunktfunktion. Hier kreuzten sich eine ordenszeitliche Heerstraße, die aus dem Westen zur oberen Memel führte, mit einer Straße von Königsberg nach Masuren. Ähnlich verliefen die Landstraßen von Friedland nach Nordenburg – Angerburg, die spätere Reichsstraße 131, die die Altstadt nahe der Stadtkirche durchquerte, sowie von Barten nach Allenburg. Dem folgten im werdenden Eisenbahnzeitalter 1871/72 die Hauptlinie von Insterburg über Korschen nach Rothfließ – Allenstein, 1898 die Nebenstrecken nach Nordenburg und 1901 nach Friedland – Löwenhagen mit Anschluss nach Königsberg. 1917 wurde noch eine Kleinbahn über Barten nach Rastenburg angelegt. Noch vor dem Bau der ersten Eisenbahn wurde im Jahre 1869 das Wasser aus dem westlichen Teil des Banktinsees abgelassen, so dass hier fruchtbare Wiesen entstanden sind. Die städtische Siedlung konnte sich nun nach Süden entlang der späteren Reichsstraße 141 in Richtung Barten ausdehnen. Hier wurde auch die Mehrzahl der neueren öffentlichen Bauten wie Kreishaus, Postamt mit Katasteramt und Amtsgericht errichtet. Die Einwohnerzahl vermehrte sich von 1624 im Jahre 1820 auf 3028 im Jahre 1910. Im August 1914 wurde die Stadt bei dem Russeneinfall stark zerstört, doch konnte der Wiederaufbau noch während der folgenden Kriegsjahre dank der Unterstützung durch den Berliner Stadtteil Wilmersdorf erfolgen. In der Zwischenkriegszeit entstand östlich von Banktinsee und Schloßpark vor dem Bahnhof die Stadtrandsiedlung, die die verhältnismäßig zahlreichen Neubürger aufzunehmen hatte. Die Einwohnerzahl vermehrte sich auf 5152 im Jahre 1937. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Kreis Gerdauen durch die sowjetisch-polnische Demarkationslinie zerrissen. Die vor allem im altstädtischen Bereich stark zerstörte Kreisstadt hat seitdem mit rund 3000 neuen Einwohnern wegen ihrer äußersten Randlage im Königsberger Gebiet eine geringere Bedeutung als in den Jahrhunderten zuvor.

Lit.: Martin Rousselle: Das Siedlungswerk des Deutschen Ordens im Lande Gerdauen, in: Altpreußische Forschungen 6. 1929, S. 220-255. – Hans Frederichs: Art. Gerdauen, in: Erich Keyser: Deutsches Städtebuch 1. Stuttgart, Berlin 1939, S. 54 f. – Emil Johannes Guttzeit: Art. Gerdauen, in: Handbuch der historischen Stät¬ten. Ost- und Westpreußen, hrsg. v. Erich Weise. Stuttgart 1966, S. 64 f. – Oskar-Wilhelm Bachor: Der Kreis Gerdauen. Würzburg 1968. – Thomas Lewerenz: Die Größenentwicklung der Kleinstädte in Ost- und West-preußen bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. Marburg/Lahn 1976. – Wilhelm Krimpenfort: Der Grundbesitz der Landstädte des Herzogtums Preußen. Marburg/Lahn 1979.

Bild: Historisches Wappen Gerdauens / Quelle: Von unbekannt – Sammelmarke aus 1920er Jahren, PD-Amtliches Werk, https://de.wikipedia.org/w/index.php?curid=1187816

Bernhart Jähnig