Ereignis vom 1. Januar 1972

Welterbkonvention der UNESCO

Marienkrönung vom Tympanon des Eingangs der Annenkapelle des UNESCO-Weltkulturerbes Marienburg a.d. Nogat.

1972 verabschiedete die UNESCO in Paris das Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt, meist als Welterbekonvention bezeichnet. Es schützt Stätten, die aufgrund ihrer Einzigartigkeit und ihrer Bedeutung für die gesamte Menschheit wichtig sind. Bis heute haben 189 Staaten diese Konvention ratifiziert. 2012 umfasst die UNESCO-Liste des Welterbes 962 Denkmäler in 157 Staaten. Die Länder, in denen diese 745 Kulturdenkmäler und 188 Naturerbestätten liegen, schlagen die Stätten selber vor. 29 der Denkmäler sind gleichzeitig Kultur- und Naturerbe der Welt. Daneben besteht noch eine Liste des Weltdokumentenerbes (Memory of the World) und eine Liste des mündlichen und immateriellen Erbes der Menschheit.

Nach der Aufnahme des Markgräflichen Opernhauses in Bayreuth 2012 in die Liste besitzt Deutschland 38 Welterbestätten, Österreich neun. Wenn wir aber nicht nur etatistisch allein die deutschsprachigen Staaten betrachten, dann finden wir außer in der Schweiz eine ganze Reihe östliche Nachbarstaaten Deutschlands und Österreichs, in denen zahlreiche UNESCO-Welt-erbestätten liegen, die Zeugnisse ostdeutscher Kultur sind. Bemerkenswert ist dabei auch, dass die Städte und Denkmäler von den jeweiligen Ländern vorgeschlagen worden sind.

Das ist im Falle Polens zunächst in den ehemaligen deutschen Ostgebieten gegeben und in der Tschechischen Republik für das Gebiet des Sudetenlandes, gilt aber auch für die anderen Länder, wo seit der deutschen Ostsiedlung mit Städten und Burgen viele Bauwerke und Kunststätten entstanden, die bis 1945 deutsch waren oder bereits seit Beginn der Neuzeit ihre deutschen Einwohner verloren.

Im heutigen Polen wollen wir nur die Marienburg herausgreifen und die Friedenskirchen von Schweidnitz und Jauer. Aber auch der Muskauer Park liegt teilweise in Polen und gehört zu den grenzüberschreitenden Weltkulturstätten. Wenn das historische Zentrum von Krakau und die mittelalterliche Altstadt von Thorn ebenfalls Weltkulturerbe sind, so seien nur Veit Stoß mit seinem Altar in der Krakauer Marienkirche und Nikolaus Kopernikus für die deutsche Vergangenheit von Thorn genannt.

Die Marienburg war zunächst als Sitz eines Komturs errichtet, wurde dann aber um 1300 als Residenz des Hochmeisters des Deutschen Ordens umgebaut. Dadurch wurde die frühere Vorburg ein repräsentatives Schloss mit Hochmeisterpalast und Räumen für die Gebietiger, ehe ein Neubau einer den Aufgaben des Hochmeisters gemäßen noch weiträumigeren Burg hinzukam und die Malereien in der Hochmeisterkapelle eine Krönung der Wandmalerei in der Zeit zwischen 1380 und 1410 darstellen.

Die in den Jahren 1657 und 1658 erbaute Friedenskirche in Schweidnitz ist äußerlich wie die in Jauer ein anspruchsloser Fachwerkbau, steht aber im Inneren „in seiner architektonischen und malerischen Einwirkung einzig da. Es ist ein Akkord von feingetöntem Gold und Farben, ein Spiel von Licht und Schatten in dieser malerisch empfundenen Architektur, in den prachtvoll geschnitzten Ornamenten, das das Auge bis in den letzten Winkel hinein fesselt.“ So empfindet der Maler Josef Langner dieses Kunstwerk, von dem auch Georg Dehio im Lobpreis spricht. Nur aus Holz erbaut, aber dennoch 7.000 Gläubigen Platz bietend, ist diese Kirche mit ihren Emporen und Logen auch soziologisch interessant, da die Emporen und Logen den verschiedenen Ständen und Zünften gehörten, die selbst im lutherischen Gottesdienst ihre Eigenstellung betonten. Architektonisch fasziniert an der Friedenkirche in Schweidnitz die Durchschneidung des Längsschiffes durch das Querschiff, beeindruckend sind auch die vielen Anbauten.

Auch in der Tschechischen Republik sind einige UNESCO-ge-schützte Kulturstätten von Deutschen geschaffen oder liegen in dem bis zur organisierten Vertreibung 1946 deutschen Gebiet. Auch hier muss wie in Krakau das historische Zentrum von Prag genannt werden, das seit den Privilegien, die böhmische Herzöge den Deutschen gaben, auch deutsche Bevölkerung hatte und wo Baumeister wie Peter Parler aus Schwäbisch Gmünd oder die Meister der Familie Dientzenhofer aus dem oberbayerischen Inntal ihre unvergänglichen Kunstwerke schufen. In Böhmen gehören die Altstädte von Krummau an der Moldau und Kuttenberg zum Weltkulturerbe, ebenso das Schloss in Leitomischl. Das oft im Schatten Prags und Böhmens stehende Mähren übertrifft an Zahl die Weltkulturstätten Böhmens: Die Liechtensteinschlösser Eisgrub und Feldsberg in Südmähren, die Dreifaltigkeitssäule in Olmütz, das Schloss und die Parkanlagen in Kremsier sind seit den 90er Jahren ebenso in der UNESCO-Liste wie die Altstadt von Teltsch und die Nepomuk-Kirche auf dem Grünen Berg bei Saar auf der Böh­misch-Mährischen Höhe. 2001 kam noch die Villa Tu­gend­hat in Brünn dazu, 2003 das Judenviertel und die Pro­kopius-Basilika in Trebitsch.

Krummau gilt als das „böhmische Rothenburg“, das wegen des Silberabbaus unter den Rosenbergern aufblühte. Die ganze Altstadt über der Doppelschleife der Moldau ist ein einziges Denkmal mit vielen Bauten von hohem Kunstwert, aber die Höhepunkte sind die Erzdekanalkirche des hl. Veit, eine hohe dreischiffige Halle mit reichem Netz- und Sternrippengewölbe, und das Schloss der Fürsten Schwarzenberg mit seinen Gebäuden, vier Höfen, 300 Gemächern und dem prächtigen Schlosspark. Die Bedeutung der Stadt ersieht man daraus, dass die Herren des Schlosses seit Kaiser Ferdinand II. auch Herzöge von Krummau sind. Um 1400 entstand hier die berühmte Madonna von Krummau.

Kuttenberg war im Mittelalter die größte Stadt Böhmens und wegen des Silberbergbaus auch die reichste. Hier wurden seit dem Jahre 1300 Münzen geschlagen, aber auch in der Hussitenzeit die deutschen Bergleute verfolgt und ermordet. Josef Hemmerle schreibt in seinem Sudetenlandlexikon von Kuttenberg als einer Stadt „die, obwohl sie in unserem Jahrhundert fast ganz tschechisch war, doch den Anteil deutscher Bürger und Künstler nicht verleugnen kann.“ So wurde die gotische Barbarakirche von Peter Parler begonnen und von Benedikt Ried weitergebaut.

Feldsberg kam erst nach dem Ersten Weltkrieg mit vier weiteren Gemeinden an Mähren und gehörte bis dahin zu Niederösterreich. Der Park des Feldsberger Liechtensteinschlosses führt bis zum Schlosspark von Eisgrub. Passauer Bischöfe waren die Herren von Feldsberg, dann die Seefeld und Liechtenstein, die es zum Sitz ihres seit Carl gefürsteten Geschlechtes machten. Das Schloss ist eine gewaltige Barockanlage, hat aber mit dem Stadtensemble auch Bedeutung für die Bildung, denn der Orden der Barmherzigen Brüder hatte hier nicht nur seine erste Niederlassung im deutschen Sprachraum, sondern in seinem Spital auch eine berühmte chirurgische Lehranstalt. Ebenso hatte das benachbarte Eisgrub schon unter den Fürsten eine Landwirtschaftliche Hochschule. Das barocke Schloss in Eis­grub wurde im 19. Jahrhundert im Tudorstil neu gestaltet. Der Park ist „einer der großartigsten Landschaftparke Europas“ (E. Schremmer). Das ist auch von den Parkanlagen in Kremsier zu sagen, in dessen Erzbischöflichem Schloss wegen der Revolution in Wien 1848 und 1849 der geflüchtete Wiener Reichstag tagte. Nach der Volkszählung hatte Kremsier 1880 nur noch 25% Deutsche, weil der Prozess der Industrialisierung im 19. Jahrhundert das Tschechentum stärkte und schon in der Mitte des Jahrhunderts viele mährische Städte ihre deutsche Mehrheit verloren. In Brünn waren aber noch 1910 über 65% der Einwohner deutsch, in Olmütz 60%, sodass wir die Olmüt-zer Dreifaltigkeitssäule ebenso wie die Villa Tugendhat in Brünn als ostdeutsches Kulturgut im UNESCO-Weltkulturerbe anführen können. Die Villa Tugendhat gehört zu den ersten Denkmälern der modernen Architektur, die mit der UNESCO-Ehrung bedacht wurden, ein Juwel der funktionalistischen Zwischenkriegsarchitektur, die Ludwig Mies van der Rohe für den Textilfabrikanten Fritz Tugendhat entwarf.

In der Slowakei machten die 150.000 Karpatendeutschen vor dem Krieg nur fünf Prozent der Bevölkerung aus. Deutsches Kulturgut ist aber im UNESCO-Weltkulturerbe der jungen Republik mehr als überdurchschnittlich vertreten. 1993 wurden die Bergbaustadt Schemnitz und die Zipser Burg mit dem Zipser Kapitel und der Kirche von Schegra (Žehra) eingetragen, im Jahre 2000 auch das ostslowakische Bartfeld (Bardejov) und 2005 Leutschau (Levoča).

Schemnitz verdankte als älteste Bergbaustadt in der Slowakei im 15. und 16. Jahrhundert dem Silberbergbau seinen Reichtum. Schon vorher wurde das Schloss gebaut, das dann im Renaissance-Stil erweitert wurde und mit dem später barock umgestalteten Nikolaus-Dom und der kleinen gotischen Katha­rinenkirche wertvolle Bauwerke hat. Dazu kommen die Zechen, Stollen und technischen Werke, die mit dem Bergbau zusammenhängen. Deshalb gehören die Bergwerkskarten von Schemnitz auch zum Weltdokumentenerbe (was auch für die Handschriften von Kopernikus in Krakau gilt).

Die mittelalterliche Zips war einst ein Städtebund von 24 deutschen Städten, dessen geistliches Zentrum das Zipser Kapitel mit seiner romanisch-gotischen Kathedrale war, das weltliche die Zipser Burg, deren Ruine die größte Burgruine Mitteleuropas darstellt. Reste des romanischen Palastes und des Donjon sind zu sehen, geräumige Burghöfe und Befestigungen. Das Zipser Kapitel war das geistliche Gegenstück und beeindruckt durch die imposanten Türme der St.-Martinskathedrale und die gotischen Schnitzaltäre und Tafelmalereien.

Bartfeld hat unter den slowakischen Städten seinen mittelalterlichen Charakter am besten bewahrt und hat in seiner Ägi-dienkirche die meisten gotischen Flügelaltäre, die wir in einer Kirche Mitteleuropas finden. Der ungarische König Karl Robert von Anjou erteilte den deutschen Siedlern, die sich im 13. Jahrhundert hier niedergelassen hatten, 1320 die Stadtrechte. Die Bürgerhäuser am Marktplatz zeigen wie die in Leut­schau die ehemalige Bedeutung der Stadt. Leutschau hat mit dem Hochaltar des Meisters Paul den höchsten gotischen Flügelaltar der Welt.

Wer weiß heute noch vom Deutschtum in Ofen, das erst in der Mitte des 19. Jahrhundert seine Mehrheit verlor, als Ofen nur noch als Buda bekannt war und mit Pest zusammengelegt wurde? Die Ofener Burg ist mit der Altstadt in die UNESCO-Liste aufgenommen.

Im Baltikum sind die Altstädte von Reval und Riga dabei, die beide deutsche Gründungen waren und lange Jahrhunderte ihr deutsches Gepräge bewahrten. In Rumänien gehören das historische Zentrum des siebenbürgischen Schäßburg und einige Kirchenburgen Siebenbürgens zum Weltkulturerbe. Selbst in der litauischen Hauptstadt Wilna finden wir in der historischen Altstadt ein Bauwerk wie die gotische Annenkirche, die einst die Kirche der deutschen Kaufleute war. Ihre Schönheit begeisterte Napoleon so, dass er sie nach seinen Worten am liebsten nach Paris mitgenommen hätte.

Vergessen wir über der Kultur auch nicht das UNESCO-Weltnaturerbe: Auch hier ist Ostdeutschland vertreten, und zwar mit der Kurischen Nehrung, die wie der Muskauer Park länderüberschreitend ist. Seit 1945 gehören 52 Kilometer der nördlichen Nehrung zu Litauen, 45 Kilometer sind russisch, auch nach dem Zerfall der Sowjetunion. Der litauische Teil ist heute leicht zugänglich, da es keine Visapflicht mehr gibt. Man setzt von Memel mit der Fähre auf die Nehrung über, deren Einwohner heute die Gemeinde Nida, das alte Nidden bilden, in das die anderen kleinen Orte heute eingemeindet sind. In den Sommermonaten sind heute wieder deutsche evangelische Gottesdienste in der Backsteinkirche von Nidden, die neben dem Thomas-Mann-Haus und den Häusern mit den Kuren­wimpeln sowie der großen Düne zu den Sehenswürdigkeiten der litauischen Nehrung gehört. Agnes Miegel hat diese Düne mit der Ballade Die Frauen von Nidden bekannt gemacht. Sie schildert die Pestzeit:

In der Niederung von Heydekrug bis Schaaken
gehen die Leute im Trauerlaken!
Die Frauen von Nidden sind noch der Meinung:
Die wandernde Düne ist Leides genug,
Gott wird uns schonen, der uns schlug!

Es kam aber anders:

Doch die Pest ist des Nachts gekommen
Mit den Elchen über das Haff geschwommen.

Sieben Frauen bleiben nur beim Wüten der Pest übrig, die sich zum Sterben auf die Düne begeben:

Und die Düne kam und deckte sie zu.

Heute deckt Unkenntnis und Verschweigen das Wissen um die ostdeutsche Kultur zu. Die offenen Grenzen Europas und die Visafreiheit in die neuen EU-Staaten sollten uns motivieren, in den östlichen Nachbarländern den Monumenten deutscher Kultur nachzugehen und stolz auf diese Vergangenheit zu sein.

Bild: Marienkrönung vom Tympanon des Eingangs der Annenkapelle des UNESCO-Weltkulturerbes Marienburg a.d. Nogat, Archiv der Kulturstiftung.

Rudolf Grulich