Ereignis vom 6. Januar 1352

Winrich von Kniprode wird zum Hochmeister des Deutschen Ordens gewählt

Winrich von Kniprode

Am Epiphaniasfest des Jahres 1352 war der Deutsche Orden genötigt, ein Wahlkapitel durchzuführen, um sich ein neues Oberhaupt zu geben, da der bisherige Hochmeister Heinrich Dusemer im Herbst des vorangegangenen Jahres vermutlich aus Gesundheitsgründen seinen Rücktritt entweder erklärt oder wenigstens angekündigt hatte. Heinrich Dusemers Laufbahn hatte eigentlich im Amt des Obersten Marschalls (1335–1339) bereits ihren Höhepunkt erreicht, bevor er nach dem aus außenpolitischen Rücksichten 1345 erfolgten Rücktritt des unglücklichen Hochmeisters Ludolf König noch einmal in die Pflicht genommen und zum Hochmeister gewählt worden war. Die Amtsausübung wird ihm nicht immer leicht gefallen sein. Darauf läßt etwa seine geringe Reisetätigkeit im Ordensland schließen. Nach fast sechs Jahren sollte es genug sein. Das nun nötige Wahlkapitel mußte so früh einberufen werden, daß nicht nur die preußischen Gebietiger, sondern auch die Landmeister aus Deutschland und Livland sowie andere Vertreter dieser Ordenszweige zur Marienburg an die Nogat kommen konnten. Am Wahltag selbst hatten die Ordensbrüder statutengemäß 13 Wahlmänner zu bestimmen, acht Ritterbrüder, vier Graumäntler und einen Priesterbruder. Wer am 6. Januar 1352 diese 13 gewesen sind, ist so wenig bekannt wie bei den meisten mittelalterlichen Hochmeisterwahlen. Namentlich überliefert sind nur die Hochmeisterwähler des Jahres 1382. Die Wahl des Jah­res 1352 fiel auf den bisherigen Stellvertreter des Hochmei­sters, den Großkomtur Winrich von Kniprode.

Die Lebens- und Regierungszeit des neuen Hochmeisters fiel in die Blütezeit des Deutschen Ordens, die nicht erst mit ihm begonnen hat. Das 14. Jahrhundert war die Zeit, in der der Anteil der Ordensbrüder, die aus dem rheinischen Großraum in das Preußenland kamen und dort leitende Ämter übernahmen, sich gegenüber dem 13. Jahrhundert, als die Ordensleitung noch im Mittelmeerraum ihren Sitz hatte, bedeutend vermehrte. Hier ist als Beispiel der Hochmeister Karl von Trier zu nennen, obwohl er wegen Schwierigkeiten mit den älteren preußischen Gebietigern seine letzten Jahre außerhalb Preußens verbracht hat. Winrich von Kniprode entstammte einer niederadligen Familie, die unterhalb von Köln in der Nähe des rechten Rheinufers ansässig war. Aus deren unmittelbarer Nachbarschaft war Eberhard von Monheim etwas vorher als Ordensritter nach Livland gegangen und dort zu hohen Ämtern und großem Ansehen gelangt. Dies oder auch Beziehungen nach Köln könnte die Eltern Winrichs von Kniprode bewogen haben, ihren Sohn in den Deutschen Orden eintreten zu lassen.

In den Quellen begegnet uns Winrich zum ersten Mal bereits in Preußen, und zwar im März 1334 als Kumpan des Obersten Spittlers und Komturs von Elbing. Kumpanstellen bei Gebietigern bekamen junge Ordensritter, die ausgebildet werden sollten, um selber einmal Gebietiger werden zu können. Ob gute Begabung oder familiäre Beziehungen dem jungen Winrich diesen Einstieg ermöglicht haben, ist nicht überliefert. Späte­stens vier Jahre danach, im März 1338, ist er Komtur von Danzig. Damit war er leitender Amtsträger der bedeutendsten Kom­turei in Pommerellen, dem westlich der Weichsel gelegenen Teil des Ordenslandes. In seine Danziger Zeit fällt möglicherweise der Ausbau der Burg in Stein. Doch dann kam er in die östlichen Landesteile an die politische und militärische Front gegen die Litauer. 1342 finden wir ihn als Komtur von Balga in einem der höchsten Ämter nach den Großgebietigern. Wie andere vor und nach ihm stieg er von Balga zum Obersten Marschall und Komtur von Königsberg auf, und zwar späte­stens 1343. Hier war er für die Leitung der militärischen Unternehmungen gegen die Litauer zuständig, sofern nicht der Hochmeister anwesend war. In diese Zeit fiel das denkwürdige Jahr 1345, als der europäische Hochadel mit den Königen Johann von Böhmen und Ludwig von Ungarn an der Spitze zur Litauerreise nach Preußen gekommen waren, jedoch die Entscheidungsschwäche der Ordensleitung (infolge einer Gemütskrankheit des Hochmeisters Ludolf König) zu einem militärischen Mißerfolg führte. Nach der schon genannten Auswechslung des Hochmeisters im Dezember 1345 wurde weiterhin 1346 der Großkomtur abgelöst und Winrich von Kniprode als Unbelasteter zum Nachfolger bestellt. Damit war er erster Ratgeber und Vertreter des wohl kränkelnden Hochmeisters Heinrich Dusemer. Winrichs Laufbahn zeigt damit einen stetigen Aufstieg, bis er schließlich das Leitungsamt erreichte.

Echte Parteiungen wie in den ersten Jahren nach der Übersiedlung der Ordensleitung in die Marienburg oder wie später unter Hochmeister Paul von Rusdorf lassen sich nicht erkennen. Die Großgebietiger, die Winrich von Kniprode wegen der Affäre von 1345 überholt hat, wurden von ihm zumeist bei passender Gelegenheit wieder in ihren früheren Ämter geholt. Seine lange Regierungszeit von mehr als dreißig Jahren hatte auch für die weiteren Gebietigerlaufbahnen Folgen. Da lange Zeit niemand anderes Hochmeister werden konnte, blieben auch die Inhaber der weiteren höheren Gebietigerämter oft über zehn Jahre im Amt, wechselten also seltener. In personeller Hinsicht entstand damit eine größere Stetigkeit. Besonders gefördert wurde vom Hochmeister die Familie von Elner aus seiner bergischen Heimat, denn immerhin drei Ordensritter aus dieser Familie gelangten in höhere Gebietigerämter, die allerdings nach Winrichs Tod nicht mehr gehalten werden konnten. Auch darüber hinaus kamen vermehrt rheinische Ordensritter nach Preußen, wie etwa ein Blick auf die Hochmeisterkumpane dieser Jahrzehnte zeigt.

Außenpolitisch fällt die Tätigkeit Winrichs von Kniprode in eine Zeit, in der eine Reihe europäischer Mächte ähnlich lange von einem großen Herrscher regiert wurden. Zu nennen sind Kaiser Karl IV., auch als König von Böhmen, ferner die Könige Eduard III. von England, Waldemar IV. von Dänemark, Kasimir III. von Polen, Ludwig I. von Ungarn und Großfürst Olgierd von Litauen. Im Unterschied zu diesen Monarchen blieb der Hochmeister als Leiter eines geistlichen Ritterordens im Hintergrund, um von seinem Land aus Politik zu betreiben, auch wenn es um die Beziehungen zum Reich ging. Einem lange regierenden Hochmeister ist es dabei sicherlich leichter gefallen, sich und seine Ordensherrschaft in dieser Umwelt zu behaupten. Dies war auch durchaus notwendig. Zu Böhmen bestanden traditionell gute Beziehungen. Diese nahmen unter Karl IV. ab, da für diesen die Ordensherrschaft bei seinen Bemühungen, eine erfolgreiche Heiratspolitik zu gestalten, kein unmittelbarer Partner sein konnte. Vorsicht war gegenüber Polen geboten, da dessen König trotz des Kalischer Friedens an Machtverbesserungen interessiert war, wenn sich die Gelegenheit geboten hätte. Das Problem einer möglichen Bekehrung der noch heidnischen Litauer in den 50er Jahren berührte das Kräftespiel zwischen Karl IV., Polen und Preußen. Woran diese letztlich gescheitert ist, läßt sich nicht mehr genau ermitteln, da die Überlieferung zu bruchstückhaft ist. Vermutlich war es ein Versuch Litauens, die christlichen Mächte gegeneinander auszuspielen. Eine etwas friedlichere Zeit mit den Litauern wurde danach von heftigeren militärischen Anstrengungen abgelöst, an denen der Hochmeister sich persönlich beteiligte.

Für den Deutschen Orden unter Winrich von Kniprode hatte der hansische Raum mit den skandinavischen Mächten ebenfalls große Bedeutung. Sechs Städte des Ordenslandes gehörten dem Städtebund an. Bei den in den 60er Jahren aufkommenden Spannungen zwischen der Hanse und dem dänischen König Waldemar IV. hielt sich der Hochmeister zurück und ließ die preußischen Städte ihre gemeinsamen Interessen vertreten. Als die Zeichen auf Krieg standen, war es dem Hochmeister ohnehin nicht möglich, offen gegen einen christlichen König zu Felde zu ziehen. Waldemar suchte ohne wirksamen Erfolg Unterstützung beim Kaiser und in Polen. Denn er war zu schwach, um die Niederlage gegen die Städte verhindern zu können, die 1370 im Stralsunder Frieden besiegelt wurde. Der Hochmeister hatte hier stillschweigend in einer Koalition gegen den Kaiser gestanden, ohne daß dies seine Stellung beeinträchtigt hätte. Zuvor hatte er sich bemüht, die Streitigkeiten in Livland zwischen dem dortigen Zweig des Deutschen Ordens und dem Erzbischof von Riga auf dem Verhandlungswege beizulegen (vgl. OGT 1991, S. 236-239), wobei auch hier der Kaiser diplomatisch zu den Ordensgegnern gehörte, ohne damit dessen Stellung beeinträchtigen zu können.

Die Wahl Winrichs von Kniprode zum Hochmeister beförderte zweifellos einen fähigen Ordensritter in das Leitungsamt des Deutschen Ordens. Er war in der Lage, sowohl innen- als auch außenpolitisch die Bedingungen fortzusetzen, die dem Preußenland eine solche Stellung und Weiterentwicklung ermöglichten, daß schon bald von der Blütezeit des Ordens gesprochen werden konnte. Eine gute Gesundheit und ein langes Leben haben ebenfalls dazu beigetragen.

Quellen: Preußisches Urkundenbuch 2–6, Königsberg 1939–1944, Marburg 1958–2000.

Lit.: Hans Koeppen: Die Resignation des Hochmeisters Heinrich Du­semer und die Wahl seines Nachfolgers Winrich von Kniprode, in: Zeitschrift für Ostforschung 7 (1958), S. 380–392. – Udo Arnold: Preußen, Böhmen und das Reich. Karl IV. und der Deutsche Orden, in: Karl IV. Staatsmann und Mäzen, München 1978, S. 167–173, 450–452. – Bernhart Jähnig: Der Deutsche Orden und Karl IV., in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 114 (1978), S. 103–149. – Ders.: Hat Kaiser Karl IV. im Jahre 1355 mit Hochmeister Winrich von Kniprode verhandelt?, ebd. 116, 1980, S. 77–119. – Ders.: Winrich von Kniprode. Hochmeister des Deutschen Ordens 1352–1382, in: Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz 19, 1982 (1983), S. 249–276. – Klaus Conrad: 22. Winrich von Kniprode, in: Die Hochmeister des Deutschen Ordens 1190–1994, hg. v. Udo Arnold, Marburg 1998 (Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens; 40), S. 84–88. – Bernhart Jähnig: Die Blütezeit des Deutschen Ordens in Preußen im 14. Jahrhundert, in: Altpreußische Geschlechterkunde NF 31 (2001), S. 1–14.

Bild: Winrich von Kniprode, Lithographie von Heinrich Wilhelm Teichgräber / Quelle: Wikipedia. Gemeinfrei.

Bernhart Jähnig (OGT 2002, 349)