Ereignis vom 1. Januar 1770

ZUM BEETHOVEN-JAHR: VON KARLSBAD BIS ST. PETERSBURG

Ein weites Feld an Bezügen deutet die Überschrift der Studie zum 250. Geburtsjahr von Ludwig van Beethoven an, die nicht nur geographisch Beethoven-Orte aufzeigt, sondern vor allem auf die vielfältigsten Beziehungen zu Komponistenkollegen und Musi­kern, zu Mäzenen, Porträtisten und Rezeption weist. In der Folge wird die von Beethoven selbst verkürzte Unterschrift BTHVN unflektiert verwendet.

Bereits zur Bonner Zeit gewann BTHVN Verbindung zum böhmischen Musikanten­tum, durch den kurkölnischen Konzertmeister und Musikdirektor Joseph Reicha (Chude­nitz/ Böhmen 1752-1795 Bonn), unter dessen Leitung BTHVN verschiedentlich spielte. Mit dessen Neffen Anton Reicha (Prag 1770-1836 Paris), der ebenfalls Schü­ler von Christian Gottlob Neefe war und in der Hofkapelle spielte, war der 2. Hoforga­nist mit BTHVN befreundet. Er besuchte mit ihm und den Maler-Gebrüdern Kügelgen, die später auch in St. Petersburg wirkten, Vorlesungen über Kant an der Universität. Zwi­schen 1802 und 1808 lebte Anton Reicha in Wien, wo sie ihre Freundschaft erneuerten.

Große Bedeutung hatte das Mäzenatentum des österreichisch-böhmischen Hochadels für BTHVN Fortkommen, was schon auf die Bonner Zeit, das Jahr 1790, zurückgeht, durch die Bekanntschaft mit Graf Ferdinand Waldstein (Dux/Böhmen 1762-1823 Wien), für den er dessen Ritterballett WoO 1 vertonte. Graf Waldstein bemühte sich um das Stipendium nach Wien für BTHVN und gab ihm auf den Weg: „Durch ununterbro­che­nen Fleiß erhalten Sie: Mozarts Geist aus Haydns Händen.“ Mit Waldsteins Empfeh­lungsschreiben öffnete sich manche Tür in Wien. Einige Jahre später ließ sich Graf Waldstein in Wien nieder. BTHVN widmete ihm die 1804 entstandene Sonate op. 53, die als Waldsteinsonate in die Musikgeschichte eingegangen ist.

Zu Beginn seiner endgültigen Übersiedlung nach Wien 1792 wohnte BTHVN bei den Lichnowskys. Fürst Karl Lichnowsky (Wien 1761-1814 Wien), der Schüler Mozarts und Haydns gewesen war, wurde zu einem großen BTHVN-Verehrer und ließ ihm ein Jahresgehalt zukommen, bis er sicher versorgt wäre und machte ihm große Geschenke. In seinem Palais fanden viele Konzerte statt. Er wurde zum Widmungsträger der Kla­viertrios op. 1, Klaviersonaten op 13 (Pathétique) und op. 26 sowie der 2. Sinfonie op. 36. Dem Bruder Graf Moritz Lichnowsky (Wien 1777-1837 Wien) wid­mete BTHVN die Klaviersonate op. 90 und das Gassenhauertrio op. 11 der Schwiegermutter von Fürst Lichnowsky, Gräfin Wilhelmine Thun geb. Gräfin Ulfeld (Wien 1744-1800 ebd.). Wohl bereits 1792 lernte er im Hause Lichnowsky Nikolaus von Domanovitz Zmeskall (Leštiny/Ungarn 1759-1833 Wien) kennen, Kanzlist der Ungarischen Hofkanzlei, hervorragender Cellist und lebenslan­ger Freund und Förderer. 1793 wurde BTHVN von Joseph Haydn bei den Esterházys eingeführt.

Zu BTHVN frühen Wiener Bekanntschaften gehörte der Komponist und bedeutende Musiker, der Schlesier Georg Emanuel Foerster (Niedersteine/ Grafschaft Glatz 1748-1823 Wien), den er bei Lichnowsky kennenlernte. BTHVN schätzte Foerster und nannte ihn den „alten Meister“. Gelegentlich wirkte Foerster auch im Schuppanzigh-Quartett (s.a.O.) mit und er hat BTHVN immer wieder Schüler zugeführt, u.a. den Grafen Andreas Kyrill Rasumowsky (St. Petersburg 1752-1836 Wien), der mit der Schwe­ster von Fürst Karl Lichnowsky verheiratet war. BTHVN drängte Foerster seine lang be­gonnene Anleitung zum Generalbaß fertigzustellen, die auch zahlreiche Beispiele aus BTHVN Werken enthielt und 1805 erschien. Einige Zeit wohnte er im selben Haus wie Foerster. Der Komponist Abbé Josef Gelinek (Selcz/Böhmen 1758-1825 Wien) be­richtet über den „fremden Klavieristen“: „In dem jungen Menschen steckt der Satan. Nie habe ich so spielen gehört! Er fantasierte auf ein von mir gegebenes Thema, wie ich selbst Mozart nie fantasieren gehört habe.“ Von dem Vielschreiber Gelinek (über
1.000 Kompositionen) stammt die zweihändige Klavierfassung von BTHVN 1. Sinfonie, später sind sie auseinandergekommen.

Der in russischen diplomatischen Diensten in Wien weilende Graf Johann Georg von Browne–Camus (Riga 1767-1827) wurde von BTHVN 1798 als der „erste Mäzen meiner Muse“ genannt. Aus der generösen Förderung ergaben sich mehrere Wid­mungen: 3 Streichtrios op. 9. Klaviersonate B-Dur op. 22 und die Gellert-Lieder op. 48. Dessen Frau, Gräfin Annette Margarete geb. Gräfin von Vietinghoff (1769-1803) widmete BTHVN die 3 Klaviersonaten op. 10 sowie Variationen nach Paul Wranitzky (Neureisch/Mähren 1756-1808 Wien), mit dem BTHVN persönlich bekannt war. Gräfin Browne war die Tochter des berühmten Kunstmäzens Otto Hermann von Vie­tinghoff, russischer Staatsrat und Gründer des Rigaer Theaters. Er wurde seines Reich­tums wegen der Halbkönig von Livland genannt. Berühmt wurde die Begebenheit bei einem Konzert im Hause Browne. Als jemand während BTHVN Vortrag sprach, brach dieser sein Spiel ab und sagte laut: „Für solche Schweine spiele ich nicht.“

Ein weiterer wichtiger Mäzen war Fürst Franz Josef Lobkowitz (Raudnitz/ Böhmen 1772-1816 Wittingau/ Böhmen), ein großer Verehrer, der nicht nur für BTHVN Kunst, sondern auch für dessen Lebens- und Vermögensverhältnisse von Bedeutung war. Dies zeigt sich in zahl­reichen Widmungen: Streichquartette op. 18 u. op. 74, An die fer­ne Geliebte, die Eroica. Bei den Sinfonien 5 u. 6 ist er mit Graf Andreas Rasu­mowsky auf dem Titelblatt genannt.

Zu zahlreichen Musikern aus den böhmischen Kronländern und Schlesien hatte BTHVN Kontakte. Geiger und Mandolinenspieler Wenzel Krumpholz (Budenitz/ Böhmen um 1750-1817 Wien) war mit BTHVN befreundet, der ihm auch einige Mandolinen­kom­positionen widmete und zu dessen Tod Gesang der Mönche komponierte. Für den be­rühmten Horni­sten Wenzel Stich (Zechuzicz/ Böhmen 1748-1803 Prag) entstand 1800 in wenigen Tagen die Hornsonate op. 17. BTHVN führte sie mit ihm zweimal auf.

Von größter Bedeutung für das Quartettschaffen BTHVN war das Quartett des Ignaz Schuppanzigh (Wien 1776-1830 ebd.). Franz Weiß (Glatz/ Schlesien 1778-1830 Wien) wurde der beste Viola-Spieler Wiens genannt. Er war auch ein respekta­bler Kom­ponist, dessen Werke weitgehend als verloren zu betrachten sind. Seinem Dienstherrn Graf Rasu­mowsky hat er wie BTHVN Streichquartette gewidmet, die zwei „Weiß­schen Rasumowsky-Quartet­te“ op. 7 – besonders das großdimensionierte zweite Quar­tett c-moll ist als ein leider unerkanntes Meisterwerk zu bezeichnen. Ein weiteres Mitglied war der Cellist Joseph Linke (Trachenberg/ Schlesien 1783-1837). BTHVN nannte ihn „seinen Freund“ und schrieb für ihn die Cellosonaten op. 102, die er wie die Klavier­trios op. 70 Gräfin Anna Marie Erdödy geb. Gräfin von Nicky (Arad/ Banat 1779-1837 München) widmete. 1808/1809 wohnte BTHVN in deren großer Wohnung in der Krugerstraße. Auch Luis Sina, ein Schüler Foersters, der als festes Mitglied des Schup­panzhigh-Quartetts längere Zeit als 2. Geiger mitwirkte, soll aus Schlesien gewe­sen sein. Gelegentlich vertrat auch Peter Hänsel (Leippe b. Grottkau/ Schlesien 1770-1831 Wien), Komponist von Kam­mermusik und Konzertmeister im Schuppanzigh-Quartett die 2. Geige. Mit Hänsel, der zur selben Zeit wie BTHVN Schüler Joseph Haydns war, waren mit Georg Emanuel Foerster, der auch aushalf, fünf Schlesier mit diesem Quartett verbunden. Auf der Position der 2. Geige gab es wohl eine gewisse Fluktuation. Bei ent­sprechenden Hauskonzerten wirkten manchmal fähige Dilettanten der Hochari­stokratie mit, auch Graf Rasumowsky, der das Quartett mehrere Jahre unterhielt. BTHVN 3 Quartette op. 59 von 1806 sind ihm gewidmet und als Rasumowsky-Quartette in die Musikge­schichte eingegangen. Johann Gottfried Patsch (Österr. Schlesien Mitte 18. Jh.-1818 St. Petersburg) hatte mit der Sammlung russischer Volks­lieder (1790) einen größeren Fundus zusammengetragen, aus dessen Melodien auch BTHVN schöpfte, motivisch in seinen Streich­quartetten op. 59 1 u. 2.

Auf seiner Konzertreise nach Berlin 1796 ist BTHVN auch in Prag aufgetreten, wo er im Goldnen Einhorn wohnte und von Fürst Lichnowsky in die hohe Aristokratie eingeführt wurde.

Enge Freundschaft bestand zu dem Kurländer Carl Amenda (1771 Lippaiken/ Kurland-1836 Talsen/ Kurland), der sich 1796/1799 in Wien aufhielt. BTHVN lernte ihn im Hause Constanze Mozart kennen, wo Amenda unterrichtete. Er war auch Vorleser im Hause Lobkowitz. BTHVN gab ihm die Erstfassung des Streichquartetts op. 18/1. Er schrieb ihm: „Du bist kein Wiener Freund, nein, Du bist einer von denen, wie sie mein vaterländischer Boden hervorzubringen pflegt.“ Der Reisegefährte Amendas, Gottfied Heinrich Mylich (Bauske/ Kurland 1773-1837 Blieden/ Kurland), der in Wien gutes Auskommen als Gitarrenlehrer fand und 1796 in einem Brief BTHVN an Zmeskall als wohlgelittener Gitarrist genannt wurde, solle kommen „morgen früh 5 oder 6 Uhr, doch darf er mich nicht wecken, falls ich noch schlafen sollte.“ 1798 setzte BTHVN Gehör­leiden ein, das er als Erstem Amenda gestand. In einem Brief von 1801 an den Bonner Arzt und Jugendfreund Franz Wegeler ist zu lesen: „Wäre mein Gehör nicht, ich wäre nun schon längst die halbe Welt durch­gereiset und das muß ich. Für mich gibt es kein größeres Vergnügen, als meine Kunst zu treiben und zu zeigen.“ 1796 konzertierte er noch in Preßburg, das er auf seinen Reisen nach Ungarn, u.a. nach Ofen 1803, wiederholt besuchte. Dort traf er auch seine Schü­lerin Comtesse Babette Keglevics verh. Fürstin Odelschalchi (wohl Preßburg um 1780-1813), der er meh­rere Werke widmete: Klaviersonate op. 7, Klavierkonzert Nr. 1 op. 15 und Variationen op. 34. Für­stin Josephine von Liechtenstein geb. Landgräfin von Fürstenberg (1775-1848) ist die Klaviersonate Es-Dur op. 27/1, die 3 Violinso­naten op. 30 sind Kaiser Alexander I. von Russland zugeeignet. Dieser sprach darüber in Warschau mit dem Klaviervirtuosen und späteren Musikdirektor am Kärntnertortheater Wilhelm Würfel (Planian/ Böhmen 1791-1852 Wien). Würfel kam wiederholt mit BTHVN zusammen und bearbeitete für ihn die Schlachtmusik vierhändig.

Vinzenz Hauschka (Mies/ Böhmen 1766-1840 Wien), Mitbegründer der Gesellschaft der Musikfreunde wurde von BTHVN „Hauschkerl“ und „Großkreuz des Violoncell-Ordens“ genannt. Ihm widmete er den Kanon Ich bitt Dich, schreib mir die Es-Scala auf WoO. 172. Von BTHVN sind zahlreiche Kanons überliefert, die, als musikalischer Gruß, oft von scherzhafter Aussage, wohl auch als Elemente eines Kompositionsprin­zips des Meisters eine Rolle spielen, skizzenhaften Fingerübungen gleich.

Zu dem Komponisten und Klaviervirtuosen Johann Nepomuk Hummel (Preßburg 1778-1837 Weimar) bestand ein ambivalentes Verhältnis, wie die beiden berühmten Mitteilungen BTHVN von 1799 belegen: „Komme Er nicht mehr zu mir! Er ist ein falscher Hund und falsche Hunde hole der Schinder.“ Ein Tag später: „Herzens-Nazerl! Du bist ein ehrlicher Kerl und hattest recht, das sehe ich ein. Komm also diesen Nach­mittag zu mir. Du findest auch den Schuppanzigh und wir beide wollen Dich rüffeln, knüffeln und schütteln, daß Du Deine Freude dran haben sollst. Dich küßt Dein BTHVN, auch Mehlschöberl genannt.“ Mit Hummels vierhändiger Einrichtung der Fi­delio-Ouvertüre war BTHVN nicht zufrieden. Hummel hat sich als Klaviervirtuose europaweit und als Kapellmeister immer wieder für das Werk BTHVN eingesetzt.

Franz Xaver Gebauer (Eckersdorf/ Grafschaft Glatz 1784-1822 Wien) war Organist der Hofpfarrkirche, später am Stephansdom und 1813 Mitbegründer der „Gesellschaft der Musikfreunde“ und Gründer der „Concerts sprituels“. Er hat eine größere Zahl von sinfonischen Werken BTHVN aufgeführt und gehörte zur näheren Bekanntschaft.

Aus Kurland empfahl Amenda den Liebhaberkomponisten und Arzt Karl Gottlieb Bur­sy (Pastorat Blieden/ Kurland 1791-1870 Mitau) an BTHVN, der ihn bei seinem Au­fenthalt 1816 mehrmals besuchen konnte. Die in Bursys Tagebuch notierte Bemer­kung BTHVN „Bald nehm ich dies, bald das vor“ gibt Einblick in die Schaffensweise. Ein weiterer Be­sucher aus den baltischen Landen war der Organist, Komponist und Chor­leiter Johann August Hagen (Pirna 1786-1877 Reval). Als Hauslehrer der deutsch­baltischen Fa­milie von Brevern in Wien konnte er 1813 wieder­holt BTHVN besuchen. Hagens Schü­ler aus der Hauslehrerzeit auf Gut Schwarzen bei Reval des August von Kotzebue, der als Librettist (Ruinen von Athen, König Stephan) bei BTHVN eine Rolle spielt, ist der Maler-Dichter-Komponist Otto Friedrich Ignatius (Pastorat Hag­gers/ Estland 1794-1824 St. Petersburg), späterer Schwie­gersohn Gottfried Scha­dows, zu nennen, der 1814 in Wien die Bekanntschaft BTHVN machte. Auch von ihm wären BTHVN Porträt-Skizzen zu vermuten.

In Begleitung von Fürst Lichnowski, den BTHVN in seiner Sommerresidenz Schloss Grätz bei Troppau und in Kreuzenort b. Ratibor 1806 besuchte, kam er nach Ober­glogau. Dort unterhielt Franz Graf von Oppersdorf (Kopetzen 1778-1818 Ber­lin) ein Theater und ein kleines Orchester, welches BTHVN dirigierte, auch improvi­sierte er am Flügel. Dem Wunsch des Grafen, ihm eine Sinfonie für ein Honorar von 500 Gulden zu widmen, entsprach BTHVN dann 1809 mit der 4. Sinfonie. Auf Schloss Grätz spielte sich im Oktober die bekannte Szene ab, als BTHVN dem dringenden Wunsch der Fürsten, vor französischen Offizieren zu spielen, nicht nachkam und in der Nacht bei strömendem Regen das Schloss verließ, um nach Wien zurück­zukehren.

Fürst Ferdinand Kinsky (Prag 1791-1812 Weltrus/ Böhmen) betei­ligte sich mit einer hohen Summe, damit BTHVN in Wien bliebe und nicht 1807 dem Ruf von König Jé­rôme nach Kassel folge, allerdings sollten sich mit der Auszahlung Schwierigkeiten er­ge­ben. Fürst Kinsky wurde die C-Dur Messe op. 86 gewidmet, Fürstin Karolina geb. Freein von Kerpen (1782-1823) das Lied An die Hoffnung und die Gesänge op. 83.

1811 besuchte BTHVN abermals die Sommerresidenz Grätz des Fürsten Lichnowski. Der Weg führte auch nach Teplitz, wo er an der 7. u. 8. Sinfonie, dem Oratorium Chri­stus am Ölberg und an den Goethe-Liedern arbeitete. Er lernte dort die Schriftstel­lerin Elisa Gräfin von der Recke, geb. Reichsgräfin von Medem (Gut Schön­born/ Kurland 1754-Dresden 1833) kennen, die ihn an das Grab des 1810 in Teplitz verstorbenen Dichters Johann Gottfried Seume führte. 1812 war in Teplitz das berühmte Zusammen­treffen mit Goethe. Auch Fürst Lichnowsky hielt sich 1812 in Teplitz auf. Weitere Rei­sestationen waren Bilin, Franzens­bad und Karlsbad, wo er im August in einem Wohl­tätigkeitskonzert mitwirkte. Die Beziehung zu BTHVN setzte sich durch den Sohn, Fürst Eduard Maria Lichnowsky (Wien 1789-1845) fort, der dadurch 1817 abermals Grätz besuchte.

Mit dem Pianisten und Komponisten Iganz Moscheles (Prag 1794-1870 Leipzig), der tief beeindruckt von BTHVN Werk war, ergab sich eine Zusammenarbeit mit dem 20-Jährigen, den Klavierauszug von Fidelio einzurichten. Moscheles war bedeutsam mit BTHVN Schaffen verbunden, so gab er dessen Werke heraus, die er in seinen Konzerten häufig aufführte, widmete ihm 1816 seine Klaviersonate E-Dur, dirigierte 1832 die Londoner Erstaufführung der Missa solemnis u.a.m.

Auch als bedeutender Rezensent ist der Komponist und Kapellmeister von drei preußi­schen Königen Johann Friedrich Reichardt (Königsberg 1752-1814 Halle) zu nennen, der über die Arie Ah! perfido op. 65, wohl in Prag 1796 entstanden, schrieb: „Es ist in jedem Betracht das grellste Schwarz und Rot, das je in Tönen nebeneinander gestanden hat“ (Berlinische Musikalische Ztg. 1805 1. Jg. Nr. 1.). „Endlich fand ich ihn in einer großen, wüsten Wohnung. Er sah anfänglich so finster aus wie seine Wohnung“, anlässlich eines Besuchs 1808 (Vertraute Briefe Bd. 1, Amsterdam 1810). Reichardt, der zunächst mit kühler Distanz dem Schaffen BTHVN gegenüberstand, gelangte bei seinem Wiener Aufenthalt dann zu begeisterten Äußerungen.

Hofmann, sey ja kein Hofmann! Nein, ich heiße Hofmann und bin kein Hofmann, ein zweistimmiger Kanon, war E. T. A. Hoffmann (Königsberg 1776-1822 Berlin) zuge­dacht, an den BTHVN 1820 einen freundlichen Brief schrieb und ihn einen „mit so aus­gezeichneten Eigenschaften begabten Manne“ nannte. Von einem Besucher hatte er er­fahren, dass Hoffmann sowohl literarisch in den Phantasiestücken als auch in Rezensio­nen wiederholt BTHVN Werke besprochen hatte, auch die 5. Sinfonie: „Glühende Strah­len schießen durch dieses Reiches tiefe Nacht, und wir werden Riesenschatten gewahr, die auf- und abwogen, enger und enger uns einschließen, und alles in uns vernichten, nur nicht den Schmerz der unendlichen Sehnsucht…“ (Allgem. Musikali­sche Ztg. Nr. 40/41 Lpz. 1810).

1822 meldete sich ein Enthusiast aus St. Petersburg, Fürst Nikolas Boris Galitzin (Galizin 1794-1866 Bogorododskoye Bez. Kurski), er hatte als Kind zwei Jahre in Wien gelebt, der bei BTHVN „zwei bis drei neue Streich­quartette“ bestellte und für jedes Quartett 50 Dukaten versprach. Allerdings ist das Geld nie bei BTHVN einge­troffen, erst die Erben erhielten 1852 die ausstehende Summe. Als noch Aussicht auf Bezahlung bestand, widmete ihm BTHVN die Ouvertüre Die Weihe des Hauses op. 128, dann die Streich­quartette op. 127, 130 u. 132. Ein Vertrauensverhältnis hatte sich wohl durch die Uraufführung der Missa solemnis op. 123 in St. Petersburg 1824 gebildet, wel­che mit auf Initiative von Fürst Galitzin zustande kam. Sie war dem BTHVN-Freund, Schüler und Mäzen Erzherzog Rudolph von Österreich (1788-1831) gewidmet und zu seiner Inthronisation 1820 zum Erzbischof von Olmütz vorgesehen. Das Werk hatte er seinem Gönner erst 1823 überreichen können. Zur Inthronisation 1820 komponierte der in St. Petersburg als Konzertmeister wirkende Franz Adam Veichtner seine Messe D-Dur. Möglicherweise hatte auch diese Verbindung etwas mit der Uraufführung der Missa solemnis im Saal der Adelsgesellschaft durch die St. Petersburger Philharmonische Gesellschaft mit Gesangssolisten des Deutschen Theaters zu tun. In diesem Kreis war bereits 1813 das Oratorium Christus am Ölberg aufgeführt worden.

Der Theaterkapellmeister Anton Schindler (Meed 1795-1864 Bockenheim), der in der letzten Lebenszeit BTHVN mehrere Jahre mit ihm in einem Haus wohnte und als sein Adlatus, auch Faktotum, genannt wird, gehört zu den wichtigen Biographen (Münster 1840 mehrere Aufl.), die früheste Biographie des Johann Aloys Schlosser Ludwig van Beethoven. Eine Biographie erschien bereits 1828 in Prag. Der Flötist Johann Sed­laczek (Oberglogau 1789-1866 Wien), er hatte 1806 unter BTHVN Leitung in der Oppersdorfschen Kappelle mitgespielt, bekam 1825 von BTHVN für seine längere Konzertreise Empfehlungsschreiben an Luigi Cherubini und Rudolph Kreutzer.

Einen weiten musikalischen Überblick der BTHVN-Zeit ergeben die Diabelli-Variatio­nen. BTHVN schuf einen eigenen Zyklus von 33 Variationen op. 120 auf das Thema des Verlegers Diabelli, der bat „alle vaterländischen jetzt lebenden Tonsetzer und Virtuosen auf dem Fortepiano auf das vorgelegte Thema jeder eine Variation zu componieren, in welcher sich Geist, Geschmack, Individualität und Kunstan­sicht … ausspricht“. Hier sind einige der Genannten zu finden, u.a. Karl Maria Bocklet, Emanuel Foerster, Josef Gelinek, Johann Nepomuk Hummel, Ignaz Moscheles, Franz Weiß auch u.a. Simon Sechter (Friedberg/ Böhmen 1788-1867 Wien) und Friedrich Dionys Weber (Wel­chau/ Böhmen 1766-1842 Prag).

1818 schuf August von Kloeber (Breslau 1793-1864 Berlin) ein BTHVN-Porträt, welches leider verloren ging. Erhalten haben sich eine Handstudie und eine lebenswahre Zeichnung zu diesem Gemälde, welches sich heute im Beethoven-Haus in Bonn befindet und durch zahlreiche Reproduktionen weit verbreitet ist. Von Ludwig Schnorr von Carolsfeld (Königsberg 1788-1853 Wien) ist eine Profilstudie um 1808 bekannt. Das mehrmals reproduzierte Porträt von Ferdinand Schimon (Pest 1797-1852 Mün­chen) entstand 1818/19. Skizzen von BTHVN auf dem Sterbebett sind von Josef Telscher (Prag 1802-1837 Phaleron) bekannt geworden.

Mehrere der hier Genannten trugen das Leichentuch bei dem riesigen Begräbniszug für BTHVN am 26. März 1827, an welchem 20.000 Menschen teilgenommen hatten. Dazu dichtete der Anwesende Johann Christian Freiherr von Zedlitz (Johannisberg/Österr. Schlesien 1790-1862 Wien):

„… Und es greifet seine Hand

In die ungeheuren Saiten

Zwischen Sternen ausgespannt.“

Zur Rezeptionsgeschichte seien bezüglich der vorliegenden Studie wenigstens zwei Ver­fasser aus dem Nordosten mit ihren bedeutsamen Werken aus dem unübersehbaren, sich ständig erweiternden Schrifttum über BTHVN genannt: Der deutschbaltische BTHVN-Forscher und russische Staatsrat Wilhelm von Lenz (Riga 1808-1883 St. Petersburg) mit Beethoven et ses trois styles in 2 Bänden (Brüssel 1852 u. 1855) und Beethoven. Ei­ne Kunststudie in 3 Bänden (Kassel 1855 u. 1860) und der Musikwissenschaftler Georg Ludwig Kinsky (Marienwerder/ Westpreußen 1882-1951 Berlin), der das Thematisch-Biblio­graphische Verzeichnis aller vollendeter Werke Ludwig van Beethovens (Mün­chen 1955) erstellte, das nach dem Tod Kins­kys von Hans Halm zu Ende gebracht wurde.

Dass Leben und Werk BTHVN auch im 21. Jahrhundert kompositorisches Schaffen weitertragen, belegen immer wieder neue Werke von der Oper bis zur Kammer­musik, wie z. B. die auf einer „Unsterblichen Geliebten“, der Gräfin Josephine Brunswick beruhende psychogrammatische Oper Minona (Anagramm von Anonym) des estnischen Komponisten Jüri Reinvere (UA 2020 Stadttheater Regensburg) oder die Adaption für Klarinettentrio der Bagatellen op. 119 von Johannes Schöllhorn (2020).

Beethovens Schaffen gehört zu den bedeutendsten Äußerungen der Menschheit über­haupt und steht auf der Höhe aller Zeiten. Seine Werke erklingen täglich weltweit millionenfach und sie werden auch immer Inspirationsquelle für Musikschaffende sein. Möge die Widmungsinschrift der Missa solemnis „Von Herzen – Möge es wieder – zu Herzen gehen“ als Überschrift für sein gesamtes Werk gelten.

 

Lit.: Div. Standard-Musiklexika. – Div. Netzabfragen. – Beethoven Sämtliche Briefe, hrsg. Emerich Kastner, Leipzig 1910. – Theodor Frimmel, Beethoven Handbuch, Leipzig 1926. – Joachim G. Görlich, Beethoven in Schlesien, in VS Schlesien 1970 H. 3 136f. – Ders., Beethovens kleine Rei­se nach Schlesien, ebd. 1977 H. 2 97-101. – Joseph Tamm, Beethoven und seine schlesischen Freunde, ebd. 1971 H. 3 152-162. – Wilhelm Hans Graf von Oppersdorf, Beethoven und der Graf von Oppersdorf, ebd. 1981 H. 2 65-76. – Lexikon zur deutschen Musikkultur Böhmen, Mähren, Sudeten­schlesien, hrsg. Sudetendeutsches Musikinstitut Regensburg, München 2000. – Lothar Hoffmann-Erbrecht, Schlesisches Musiklexikon, hrsg. Institut für deutsche Musik im Osten e.V., Augsburg 2001. – Helmut Scheunchen, Lexikon deutschbaltischer Musik, hrsg. Georg-Dehio-Gesell­schaft, Wedemark-Elze 2002. – Das Beethoven-Lexikon, hrsg. Heinz von Losch, Claus Raab, 2008.

Bild: Ludwig van Beethoven, Skizze von August von Kloeber, 1818. / Quelle: Wikipedia. Gemeinfrei.

Helmut Scheunchen