Ereignis vom 1. Januar 1572

Zusammenbruch des Handelshauses Loitz im Ostseeraum

Das Loitzenhaus (2013)

Es lässt sich nachweisen, dass im ausgehenden Mittelalter die Verbindungen einer Familie, der pommerschen Familie Loitz, für das Wirtschaftsgebiet des hansisch-niederdeutschen Raumes bestimmend waren. Die Loitz sind in ihrer Struktur als Firma durchaus mit den Familien der Fugger und Welser Oberdeutschlands gleichzusetzen. Das Wirtschaftsimperium des Großhandelshauses der Loitzfamilie, das mit seinem beachtlichen Aktionsradius weit über den Ostseeraum hinausreichte, wurde Mitte des 15. Jahrhunderts aufgebaut, überdauerte ein gutes Jahrhundert, um im Jahr 1572 schlagartig zusammenzubrechen – mit weitgehenden wirtschaftlichen Folgen.

Kriegsfinanznot der Fürsten – Finanzhilfe der Großkaufleute – Verpfändungen von Seiten der Fürsten – Montanindustrie – das sind gewöhnlich die Glieder der Entwicklungskette. In der frühen Neuzeit ist diese Entwicklung dann nicht mehr zu trennen vom Hoffaktorentum der großen jüdischen Familien, wie es Heinrich Schnee in seinen eingehenden Werken beschrieben hat. Die Finanzanleihen waren abhängig von den Pfandobjekten. Der Kaiser verpfändete Erzgruben, die Fugger bauten ihre Montanindustrie auf. Fehlten solche Pfandobjekte, musste die von Luther so verdammten Monopole und Handelsprivilegien als Ersatz herangezogen werden.

Im Unterschied zu Oberdeutschland waren die baren Finanzmittel bei den Großkaufleuten im hansisch-niederdeutschen Wirtschaftsgebiet nicht so groß, da die starke fürstliche und kaiserliche Konkurrenz fehlte, der man sich auszusetzen gehabt hatte. Die fürstlichen Auseinandersetzungen vollzogen sich in kleinerem Maßstab. Johannes Papritz sagt: „Während der oberdeutsche Kaufmann, um große Kriegsanleihen tätigen und der Konkurrenz bei den Verhandlungen mit den kaiserlichen und fürstlichen Funktionären wirksam begegnen zu können, über möglichst große Summen baren Geldes und schnellste Entschlussfähigkeit verfügen musste, treten solche Erfordernisse an den hansischen Kaufmann nicht heran.“ Das schlug sich in den kaufmännischen Organisationsformen nieder. Die für Ober¬deutsch¬land so typische Familiengesellschaft, hierarchisch gegliedert durch den Senior der Familie, orientiert an den Strukturen der Fürstenhäuser, saugte alle engen und weiteren Familienmitglieder auf, beteiligte sie und integrierte sie. Diesem Prozess und dieser Strukturbildung stand im allgemeinen der niederdeutsche Kaufmann mit einer Streuung des Kapitals gegenüber, das auf verschiedene Unternehmen au¬ßerhalb der Familie verteilt wurde. Insofern ist auch erklärlich, dass die oberdeutschen Großkaufleute mehr in das Gesichtsfeld der Historiker und der öffentlichen Betrachtung gerieten. Kaufleute des niederdeutschen Wirtschaftsgebietes sind kaum bekannt, obwohl sie zu ihrer Zeit durchaus an die Seite jener zu stellen sind. Die Kenntnis über sie blieb einer engen fachwissenschaftlichen Welt vor-behalten. Das hat dazu geführt, dass man kaum wahrgenommen hat, dass es auch im Norden einzelne Familien zu einer großen Kapitalbildung gebracht haben.

Die Loitz in Pommern sind vergessen worden. Stettin und Dan-zig waren die wirtschaftlichen Ausgangspunkte der Loitzfamilie, die ihren Namen wahrscheinlich der gleichnamigen pommerschen Stadt Loitz verdankt. Auch bei den Loitz spielen wie bei den Fuggern bei der Bildung ihrer Großvermögen die weiten wirtschaftlichen Aktionsradien, bis nach Frankreich, eine große Rolle. Finanzgeschäfte mit den Fürsten und in der Folge Monopole und Montanindustrie sind die wesentliche Voraussetzung der Bildung eines Großvermögens. Dazu gehörte bei den Loitz der zeitweilig erfolgreiche Versuch, die Salzversorgung im Nordosten Europas zu kontrollieren. Hierbei traten die Loitz in ihrer kaufmännischen Organisationsform als Familiengesellschaft auf. Ungeteiltes Erbe und Stammtafel bildeten wesentliche Elemente, wie im politischen land- und reichsständischen Lehnsystem.

Die Loitz, die bei ihrem Salzgeschäft mit Finanzanleihen, Privilegien und Monopolen im großen Stil agierten, betrieben andererseits aber auch in großem Maßstab einen Getreidegroßhandel. Das führte zur engen Verzahnung und auch zur Konkurrenz mit dem landbesitzenden ständischen Adel, der durch die beginnende Umwandlung von der Grundherrschaft in die Gutswirtschaft selbst in starkem Maße kaufmännisch orientiert war. Preußen, Pommern, die Mark vor allem bildeten die Getreideproduzenten für die dichter besiedelten süddeutschen und westlichen Staaten Europas, insbesondere auch für die Niederlande.

Für viele Getreideproduzenten, die mit der Technik des Geldverkehrs nicht so vertraut waren, besorgten die Loitz als Bankiers die gesamten Geldgeschäfte. Auch Kriegsanleihen wurden von seiten des landständischen Adels in seiner Funktion als korporativer politischer Stand aufgenommen. Der landständische Adel, die landständischen Ritterschaften übernahmen im hansisch-niederdeutschen Wirtschaftsgebiet die Rolle der Fürsten als Konkurrenz zu den großen Bankiers. Allerdings darf auch die enge Verzahnung mit den Loitz, auch die verwandtschaftliche, nicht übersehen werden. Stadtpatriziat und land-ständischer ritterschaftlicher Adel standen häufig in engen verwandtschaftlichen Verhältnissen zueinander; dies ist in ausgeprägtem Maße in Breslau nachweisbar. Die zahlreichen Obristen des ausgehenden Mittelalters und der frühen Neuzeit, die ihre Reiterregimenter selbst besoldeten, mussten nicht nur kriegstechnische Kenntnisse und Erfahrungen, sondern auch wirtschaftliche Beschlagenheit aufweisen. Gerade für die Reiterobersten traten die Loitz als Finanziers auf. Aus jenen landständisch-nordostdeutschen Getreidegroßproduzenten rekrutierten sich die auf den Kriegsschauplätzen ganz Europas gefeierten Reiterobersten wie die Krockow, Weiher, Zitzewitz. Auffallend ist, daß dieselben Familien eng mit den Loitz zusammenarbeiten und auch verwandtschaftlich zur Loitzfamilie gehörten. Der Getreidehandel ging bis nach Frankreich, wie eine Forderung Reinhold von Krockows, eines Mitgliedes der Familie Loitz, an die Krone Frankreichs beweist.

Stettin war der Ausgangspunkt des Wirkens der Loitzfamilie. Die Loitz waren durch den Heringshandel von hier aus groß geworden, allerdings in den Anfängen in ihrem Aktionsradius auf den Ostseeraum beschränkt. Der Welthandelsplatz an der südlichen Ostseeküste war Danzig. Von dort reichten die Verbindungen bis nach Oberdeutschland und ins Ausland des westlichen Europa. Stettin war die Wiege und Zentrale der Loitzfamilie, indessen waren Geist und Stil ihrer Unternehmungen von Danzig geprägt. Die Loitz, und das ist typisch, gelangten durch Heiratspolitik in die Danziger Großkaufmannsfamilien. Durch eine Doppelheirat zweier Loitz-Brüder in der Mitte des 15. Jahrhunderts verbanden sie sich mit der Familie der Feldstedt und übernahmen deren bedeutendes Erbe in Danzig.

Die Familie Loitz stammt auch aus Stettin, soweit sie sich zurückverfolgen lässt, es sei denn, man führt ihren Namen auf die Stadt Loitz an der Peene in Vorpommern, im Grenzbereich zu Mecklenburg, zurück. Mitte des 15. Jahrhunderts beginnt die Familie in Stettin im Großhandel eine Rolle zu spielen. Hans I. sitzt 1474 im Rat der Stadt und nimmt eine führende Stellung innerhalb der patrizischen Familien ein. Er ist bereits Erbe eines bedeutenden Vermögens. Allerdings lässt sich die Sonderform der später so typischen Familienfirma zunächst kaum feststellen. Die strukturellen Anfänge werden erst durch die beginnenden Finanzgeschäfte mit den Kurfürsten sichtbar. Auch der Getreidehandel mit dem landständischen Adel prägt die Frühzeit. Zahlreiche Brüder, Vettern, Schwäger arbeiten dann stets zusammen mit dem jeweiligen Senior der Familie, der an der Spitze der hierarchisch angegliederten Pyramide steht. Am Beginn des 16. Jahrhunderts sind es beispielsweise die Brüder Michael, Simon, Stephan und Hans. Die Loitz werden Hofbankiers der Kurfürsten von Brandenburg und beginnen damit die Reihe jener zum großen Teil jüdischen Familien, die als Hoffaktoren die Residenzen bis in die Neuzeit finanziell bestimmten, zum Teil übergreifend in die Bankhäuser des 19. Jahrhunderts.

Für zahlreiche Anleihen wurden der Loitzfamilie Monopole, Privilegien verliehen, auch Pfändungen vorgenommen. 1546 wurde ihr sogar die gesamte Grafschaft Ruppin verpfändet. Im Falle der Nichtzahlung sollten die Loitz in die Grafschaft mit allen Konsequenzen eingewiesen werden. Zur Bürgschaft verpflichteten sich die Ersten des Landes, auch aus den Ständen. Namen wie Gans zu Putlitz, Rohr, Arnim, Lüderitz, Krummensee finden sich unter den Bürgen. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, daß das alte Grafenhaus der Eberstein einen Heiratskontrakt mit den Loitz anstrebte. Den Loitz ist späterhin in einem sich endlos hinziehenden Prozess der Vorwurf des Wuchers nicht erspart geblieben. Selbst der Kurfürst, der bei Abschluss der Verträge offensichtlich keinen Anstoß an den hohen Zinsen genommen hatte, hat später in diesem Sinne Klage geführt.

Eine besonders große Rolle spielte der kurfürstliche Ochsenhandel. Von der Walachei kommend, über Polen bei Kaminiec Podolski sollten einmal im Jahre 1543 15.000 Ochsen nach Brandenburg getrieben werden. Es war ein Handel zwischen dem Kurfürsten von Brandenburg und dem Fürsten von der Walachei. Die Loitz gaben die Anleihen. Doch scheiterte dieser Han¬del an der Finanzierung, zu der die Anleihen nicht ausreichten, so dass die Ochsen, nachdem sie über Wo¬chen an der polnischen Grenze aufgehalten worden waren. zurückgetrieben werden mussten. Verlust machten vor allem die Loitz. Die Anleihen schwollen zu Riesenbeträgen an, die nicht mehr gezahlt werden konnten. Der Ausfall von Zahlungen aus Polen, etwa 200.000 bis 300.000 Taler, führte dann 1572 den Zusammenbruch der Loitzfamilie herbei. Sehr bezeichnend für die Verzahnung mit den Vertretern der landständischen Familien war wieder, daß diese Anleihe vom pommerschen Kanzler Jakob Zitzewitz an Polen verschrieben worden war. Auch Jakob Zitzewitz hatte wie viele andere pommersche Standesgenossen der Ritterschaft sein Vermögen im Bankhaus der Loitz investiert. Er beging 1573 Selbstmord.

Mit rund 25 Tonnen Gold wurde das Großhandelshaus zahlungsunfähig, zumeist waren es fürstliche Schuldner. Polen hatte 10 Prozent und mehr Zinsen gezahlt, so daß das meiste bare Geld der Loitz dorthin floss und in Polen investiert wurde und für noch viel größere Summen Bürgschaft gegeben wurde. Diese Bürgschaften führten in der Folge zu zahlreichen, sich über Jahrzehnte hinziehenden Prozessen, die bis vor die Reichsgerichte getragen wurden. Zahlreiche landständische Familien des Ostens, vor allem Pommerns, mußten ihre Güter ver¬äußern. Die Dewitz auf Daber krankten noch Jahrzehnte an Zahlungsschwierigkeiten, die Familie Osten musste ihr Schloß Plathe an die Blücher verkaufen. Freie Güter sind die Regel,  über die der Besitzer im Gegensatz zu Gütern, die gesetzlich unteilbar sind, durch Austausch, Abverkauf und Vererbung frei verfügen kann. Stadt und Land waren von dem Loitzbankrott betroffen. Oskar Eggert sagt in seiner pommerschen Geschichte dazu: „Man muß das bedauern, aber ebenso auch die Loitze als wagemutige, geschickte, viel¬leicht skrupellose Kaufleute und Bankiers ansehen.“

Lit.: Sombart, W.: Der moderne Kapitalismus. Leipzig 1912 (2. Aufl.). – Ehrenberg, R.: Das Zeitalter der Fugger. 2 Bde. Jena 1922 (2. Auf.). – Strieder, J.: Zur Genesis des modernen Kapitalismus. Leipzig u. München 1935 (2. Aufl.) Ders.: Jakob Fugger der Reiche (1926). – Schnee, H.: Die Hoffinanz und der moderne Staat Bd. I. Die Institutionen des Hoffaktorentums in Brandenburg-Preußen. Berlin 1953. – Papritz, J.: Das Handelshaus der Loitz zu Stettin, Danzig und Lüneburg. Baltische Studien N.F. 44 (1957), S. 73-94. – Eggert, O.: Geschichte Pommerns, Hamburg 1962. – Schnee, H.: Die Hoffinanz und der moderne Staat. Bd. IV. Hoffaktoren an süddeutschen Fürstenhöfen nebst Studien zur Geschichte des Hoffaktorentums in Deutschland. Berlin 1963. – Deutsches Patriziat. 1430-1740. Büdinger Vorträge 1965. Hrsg. v. Hellmuth Rössler. Limburg/Lahn 1968. – Kellenbenz, H.: Die wirtschaftliche Rolle des schleswig-holsteinischen Adels im 16. und 17. Jahrhundert. In: Arte et Marte. Studien zur Adelskultur des Barockzeitalters in Schweden, Dänemark und Schleswig-Holstein. Hrsg. v. Dieter Lohmeier. Neumünster 1978. – Vgl. Einleitung in: Schlösser und Herrenhäuser in Schleswig-Holstein (H. v. Rumohr/H. Neuschäffer) Frankfurt/Main 1983. – Wiegandt, J.: Die Plescows. Ein Beitrag zur Auswanderung Wisbyer Kaufmannsfamilien nach Lübeck im 13. und 14. Jahrhundert. Berlin und Köln 1984. – Neuschäffer, H.: Die Familie Loitz im 15. und 16. Jahrhundert. Ein Sondertypus einer Firma oberdeutschen Gepräges im hansisch-niederdeutschen Wirtschaftsgebiet. In: Pommern. Zeitschrift für Kunst, Geschichte und Volkstum. 23. Jg. H. 2, 1985. S. 1-4.

Bild: Das Loitzenhaus (2013)/ Quelle: Von Dorota Kowalik – Eigenes Werk, CC BY 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=92868098

Hubertus Neuschäffer