Alexander von Humboldt (1769 Berlin – 1859 Berlin) zählt auch heute noch zu den bedeutendsten Forschern aller Zeiten. Über ihn äußerte sein großer Zeitgenosse und Freund Johann Wolfgang von Goethe: „Man kann sagen, er hat an Kenntnissen und Wissen nicht seinesgleichen“ sowie „ich darf ihn wohl in seiner Art einzig nennen, denn ich habe niemanden gekannt, der mit einer so bestimmt gerichteten Tätigkeit eine solche Vielseitigkeit des Geistes verbände“. Zugleich steht sein Name wie kein zweiter für die völkerverständigende Kraft der Wissenschaft.
Die Weltreisen des Geographen, Naturforschers (u.a. Botaniker, Zoologe, Klimatologe, Mineraloge) und Universalgelehrten Alexander von Humboldts nach Nord- und Südamerika und nach Russland sind weltberühmt und werden immer wieder zum Gegenstand wissenschaftlicher Erforschung. Dagegen bleiben seine frühe Karriere und sein rascher Aufstieg im preußischen Staatsdienst (Bayreuth-Ansbach) in den Jahren 1792-1797 zum Teil unbekannt. Diese Feststellung bezieht sich auf seinen bergmännischen (Forschungs)-Aufenthalt in Franken und die damit verbundene Ernennung zum Oberbergrat (1795). Sie trifft aber in einem noch viel größeren Ausmaß auf seine ausgedehnten Erkundungs- und Forschungsreisen nach Schlesien und Polen in den 1790er Jahren zu.
Um diese weitgehend unbekannten Kapitel aus Alexander von Humboldts Leben zu beleuchten, organisierte die Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen für Wissenschaft und Forschung zusammen mit ihrem polnischen Partner, dem Malapanetalverein (Stowarzyszenie Dolina Małej Panwi, SDMP) aus dem oberschlesischen Malapane (Ozimek) eine große internationale historische Fachtagung „Alexander von Humboldt in Franken, Schlesien und Polen“. Die Tagung fand vom 14. bis 18. September in Malapane und Oppeln (Oppeln) statt. Weitere Partner bei der Gestaltung der Konferenz waren Alexander von Humboldt-Kulturforum Schloss Goldkronach in Oberfranken, das bereits vor zwei Jahren die Idee einer solchen Fachtagung hatte, der Verband der deutschen sozial-kulturellen Gesellschaften in Polen (VdG), die Dachorganisation der deutschen Minderheit in Polen, die die Konferenz wesentlich gefördert hat, sowie die Landsmannschaft Schlesien, Nieder- und Oberschlesien, und die Stiftung Haus Oberschlesien mit Sitz in Ratingen.
Eine Besonderheit der Fachtagung war, dass ihre Thematik um die Person des kongenialen Bruders Alexanders, Wilhelm von Humboldts (1767-1835) und dessen sowohl in Deutschland als auch in Polen kaum bekannten Beziehungen zu Schlesien erweitert wurde.
Die Tagung begann am späten Nachmittag des 14. September 2022. Es war geradezu ein symbolischer Auftakt, denn es handelte sich um den 253. Geburtstag Alexander von Humboldts. Die dem Anlass gemäßen feierlichen Grußworte und Ansprachen mit einer Einführung in die Tagungsthematik der beiden Hauptorganisatoren der Tagung, Józef Tomasz Juros‘, des Vorsitzenden des Malapanetalvereins und Spiritus Rector der seit langem vorbereiteten Konferenz, und Thomas Konhäusers, des Geschäftsführers der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen, eröffneten das Humboldt-Treffen. Es folgte eine ganz besondere, rhetorisch glänzende Laudatio auf das „Geburtstagskind“, die Prof. Dr. Dr. Dagmar Hülsenberg von der Humboldt-Gesellschaft für Wissenschaft, Kunst und Bildung e.V. gehalten hat. Ein weiterer Höhepunkt des Abends war das Grußwort von Christine von Heinz, der Schlossherrin von Tegel, in dem, zur Erinnerung, die beiden Humboldt-Brüder aufwuchsen und Wilhelm von Humboldt als Schlossherr verstorben war. In ihrem vorgelesenen Grußwort – Frau von Heinz war am persönlichen Erscheinen verhindert, was sie mit Bedauern zum Ausdruck brachte – wünschte sie den Teilnehmern u. a. „ein[en] glückliche[n], weitere[n] Impuls für die europäische Zusammenarbeit“ und „fruchtbare Begegnungen, Einsichten und Erkenntnisse“.
Am 15. September in der Früh brachen die Teilnehmer zu einer eintägigen Studienreise ins historische Neisser Bistumsland auf. Das Hauptziel der Fahrt war das Schloss Ottmachau, das sich, heutzutage kaum bekannt, ab 1820/21 im Besitz Wilhelm von Humboldts befand. Zuerst aber besichtigten die Humboldt-Interessierten, unter ausgezeichneter Führung von Józef Tomasz Juros, die alte, ehrwürdige Stadt Neisse, jahrhundertelang im Besitz der Breslauer Bischöfe und als solche die zweitgrößte Stadt Schlesiens. Es ist sicher, dass auch Wilhelm von Humboldt seinerzeit zu den Neisse-Besuchern zählte. Einen besonderen Akzent setzte der spontan und einstimmig beschlossene Besuch des Grabes des großen deutschen Romantikers und gebürtigen Oberschlesiers, Joseph Freiherr von Eichendorffs, auf dem Neisser Jerusalemer Friedhof und des vor 20 Jahren wiedererrichteten Denkmals (aufgestellt 1888) des Dichters, der 1857 in der Stadt an der Glatzer Neiße verstarb. Der Besuch des Ottmachauer Schlosses erfolgte unter Führung von Matthias Lempart, dem wissenschaftlichen Referenten der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen für Wissenschaft und Forschung, der nicht nur die Geschichte des Schlosses in der Hand Wilhelm von Humboldts, sondern auch das Schicksal des Fürstentums Neisse-(Grottkau) vom 12. Jh. bis zur Säkularisation 1810/11 und der Stadt Ottmachau mit der Bischofsburg und dem späteren Schloss bis in die heutige Zeit schilderte. Eine besondere Freude für die Teilnehmer der Studienreise war die Anwesenheit von Dorotheé-Isabell Freiin von Humboldt-Dachroeden unter den Reisegästen, einer Nachfahrerin Wilhelm von Humboldts, die mit großem Interesse das Schloss ihrer Urahnen besichtigte und viele interessante Einzelheiten aus der Familiengeschichte erzählte.
Am Abend des 15. September folgte in Oppeln (Opole) die feierliche Eröffnung der Humboldt-Tagung. Über 100 Versammelte, darunter Vertreter der Selbstverwaltung der Woiwodschaft Oppeln, der Oppelner Hochschulen und der wichtigsten Oppelner Kulturinstitutionen sowie Hochschullehrer, Politiker, Studenten, Angehörige der deutschen Minderheit und interessierte Oppelner Bürger hörten bewegende Ansprachen und Grußworte, die die Bedeutung Alexanders von Humboldts für die Weltwissenschaft aufzeigten, aber auch seine völkerverständigende und völkerverbindende Rolle betonten, was nicht zuletzt die deutsch-polnische Humboldt-Tagung überzeugend unter Beweis stellte. Unter den Rednern waren Rafał Bartek, Vorsitzender des Sejmiks (Woiwodschaftsparlament) der Woiwodschaft Oppeln und zugleich Vorsitzender der deutschen Minderheit in Polen (VdG), Hartmut Koschyk, Parlamentarischer Staatssekretär a.D. sowie Gründungsmitglied und Vorsitzender des Alexander von Humboldt-Kulturforums Schloss Goldkronach e.V., Krzysztof Wysdak, Vorstandsmitglied des Landkreises Oppeln, und Mirosław Wieszołek, Bürgermeister der gastgebenden Stadt und Gemeinde Malapane (Ozimek) und nicht zuletzt Förderer der Tagung. Seitens der beiden Hauptveranstaltern begrüßten die Gäste Józef Tomasz Juros vom Malalapentalverein und Thomas Konhäuser von der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen für Wissenschaft und Forschung. Ein Grußwort hielt ebenfalls der extra angereiste Sebastian Wladarz, Vorsitzender der Stiftung Haus Oberschlesien. Auch das Grußwort von Christine von Heinz wurde erneut verlesen. Musikalisch umrahmte die Veranstaltung gekonnt ein Chor aus Malapane, der in historischen Kostümen auftrat.
Das am 16. September im ansehnlichen städtischen Malapaner Kulturzentrum veranstaltete Humboldt-Symposium war der wissenschaftliche Höhepunkt der Tagung. Die Versammelten begrüßte zuerst der aus Hessen zugeschaltete Reinfried Vogler, der Ehrenpräsident der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen. Ihm folgte die Begrüßung des ebenfalls zugeschalteten Stephan Rauhuts, des Bundesvorsitzendes der Landsmannschaft Schlesien. Eine einleitende Ansprache hielt Dorotheé-Isabell Freiin von Humboldt-Dachroeden, die die Gäste im Namen der Familie Humboldt begrüßte und an das uns alle verpflichtende und nach wie vor aktuelle humane Erbe der Gebrüder Humboldt erinnerte.
Es folgten Vorträge von hohem wissenschaftlichem Wert, die bisher nur wenig oder in vielen Fällen gar nicht bekannte Seiten im Leben und Wirken Alexander von Humboldts beleuchteten. Die Moderation wurde dabei von einem hochkompetenten Experten, Prof. Dr. Wilhelm Górecki, von der Technischen Hochschule in Gleiwitz (Gliwice) übernommen.
Der erste Vortragende, Hartmut Koschyk, beschäftigte sich in seinem für die Tagungsthematik grundlegenden Referat mit Humboldts fränkischen Jahren 1792-1797, die er als „Gesellenjahre“ im Leben des jungen Naturforschers und Bergbauexperten bezeichnete. Der Referent schilderte zunächst die Umstände des Übergangs der Fürstentümer Ansbach und Bayreuth (Markgrafschaft Ansbach-Bayreuth) an Preußen 1791/92. Von der 1791 erfolgten Bewerbung Humboldts beim preußischen Bergbauminister Friedrich Anton von Heynitz um eine Einstellung in seinem Verantwortungsbereich ausgehend, schilderte Koschyk Humboldts raschen Aufstieg im preußischen Staatsdienst, der aufgrund hervorragender Arbeitsleistungen erfolgte. Humboldt, dem 1793 die Gesamtverantwortung für den Bergbau und das Hüttenwesen in Ansbach-Bayreuth übertragen wurde, sanierte, wenn nicht gar revolutionierte – nicht zuletzt durch eigene Erfindungen – den fränkischen Bergbau, was nicht nur sein wissenschaftliches Renommee begründete, sondern ihn auch für sein weiteres Leben vorbereitete und prägte. Von Franken aus unternahm Humboldt darüber hinaus seine ausgedehnten Erkundungs-, Bildungs- und Forschungsreisen u. a. nach Schlesien und Polen in den Jahren 1792/93 und 1794. In seiner fränkischen Zeit lernte er auch in Jena Johann Wolfgang von Goethe kennen und begründete eine lebenslange enge Freundschaft mit ihm. Humboldt sah von Anfang an seine Tätigkeit im Staatsdienst jedoch nur als vorübergehend an, in Franken wuchs sein Wunsch, die große weite Welt durch Reisen nach Amerika und Asien zu erforschen. Alle Bemühungen Heynitz‘, Humboldt im preußischen Staatsdienst zu halten, halfen nichts. Nachdem Humboldt Ende 1796 ein Vermögen erbte, schied er aus und traf Vorbereitungen für seine „amerikanische Reise“, zu der er schließlich 1799 aufbrechen konnte.
Józef Tomasz Juros referierte über Humboldts erste große bergmännisch-halurgische Reise nach Ostmitteleuropa, die ihn von Ende September 1792 bis Mitte Januar 1793 über Bayern, Österreich, Mähren schließlich nach seinem Hauptziel Schlesien führte, wo er sich zwei Monate lang aufhielt. Juros legte überzeugend dar, dass sich Humboldt bei seinen Reiseplänen von den kurz davor erfolgten Schlesien- und Galizienreisen Johann Wolfgang von Goethes und Johann Friedrich Zöllners inspirieren ließ. Der Dichterfürst verbrachte im September 1790 eine Woche im preußischen Schlesien und dem damals österreichischen Galizien. Er besichtigte u.a. Krakau und Wieliczka mit seinem berühmten Salzbergwerk und in Schlesien Tarnowitz (Tarnowskie Góry) (4. Sept.) und Malapane (8.-10. Sept.). Zöllner, ein bekannter Berliner Pfarrer, Aufklärer und Mitglied der Akademie der Wissenschaften zu Berlin, bereiste Schlesien, Krakau und Wieliczka im Sommer 1791. In seinen an Humboldt adressierten Briefen beschrieb er detailliert die von ihm besuchten oberschlesischen Bergwerke und Hüttenbetriebe, u.a. die Preuß.-Königliche Hütte Malapane. Im Weiteren ging Juros ausführlich auf die Schlesien- und Galizienreise Humboldts ein, der sich u.a. einen ganzen Monat lang, Mitte November bis Mitte Dezember 1792, in Tarnowitz aufhielt (mit Abstechern nach Krakau und Wieliczka) und am 17.-18. Dezember die Malapaner Hütte besichtigte. In der Tarnowitzer Friedrichsgrube konnte Humboldt vier aus England importierte Dampfmaschinen in Augenschein nehmen, die Hütte in Malapane stellte zum Zeitpunkt von Humboldts Besuch bereits komplette kleinere Dampfmaschinen her. Juros‘ Fazit: Humboldt kam nach Schlesien als Lernender. Die Besichtigungen und Erfahrungen, die er vor allem in Tarnowitz und Malapane machte, waren „von ganz wesentlicher Bedeutung“ für seine darauffolgende erfolgreiche vierjährige Tätigkeit in Franken.
Detailliert mit Humboldts Aufenthalt in der alten Bergstand Tarnowitz befasste sich Zbigniew Pawlak, Vorstandsvorsitzender des Vereins der Liebhaber der Tarnowitzer Landes. Nachdem sich Humboldt am 16. November 1792 beim Tarnowitzer Bergamt meldete, verbrachte er einen ganzen Monat in der Stadt – er reiste erst am 17. Dezember 1792 nach Malapane ab -, allerdings mit einem Abstecher nach Galizien (Krakau, Wieliczka u.a.) wohl von 5.-12. Dezember. Pawlak stellte fest, dass es für Humboldt geradezu unumgänglich war, Tarnowitz zu besuchen, denn erstens war die Stadt zum damaligen Zeitpunkt ein Zentrum der modernsten Bergbautechnologie, in dem bereits Dampfmaschinen zur Entwässerung der Bergwerke eingesetzt waren. Zweitens wurde Humboldt von seinem obersten Vorgesetzten, Friedrich Anton von Heynitz, dem preußischen Oberberghauptmann und Minister, gezielt nach Tarnowitz geschickt, es handelte sich also um eine verpflichtende Dienstreise. Bis heute stellt es ein Rätsel dar, warum sich Humboldt trotz seines langen Aufenthalts nicht in das Goldene Buch der Stadt eingetragen hat. Die von Humboldt besichtigte Königliche Friedrichsgrube in Tarnowitz, ein ehem. Blei- und Silberbergwerk und heute ein Bergbaumuseum, wurde 2017 in die UNESCO-Liste des Weltkulturerbes aufgenommen, was im Wesentlichen dem Einsatz des von Pawlak geleiteten Vereins zu verdanken ist. Im zweiten Teil seines Vortrags schilderte der Referent die zahlreichen Bemühungen, die Erinnerung an Humboldt in Tarnowitz wachzuhalten. So veranstaltete sein Verein 2019 (Humboldts 250. Geburtstag) und 2020 eine ganze Reihe von Veranstaltungen, die dem großen Universalgelehrten gewidmet waren, es sei hier nur die „Industriada“ genannt, das größte Industriefestival in Polen.
Die nächste Referentin Prof. Dagmar Hülsenberg beschäftigte sich mit Humboldts zweiter halurgischer Reise, die ihn 1794 nach Kolberg (Kołobrzeg) in Hinterpommern und nach Słońsk (auch Schlonsk) an der Weichsel (Kujawien) führte. In Kolberg befasste sich Humboldt mit der Erweiterung der dortigen Saline. Bei seinem Forschungsaufenthalt in Słońsk sollte er ein Gutachten über die Erschließung der dortigen Solelagerstätte sowie die eventuelle Errichtung einer Saline erstellen. Eine zeitnahe Kanzleikopie dieses Gutachtens wurde erst vor Kurzem aufgefunden, so dass die Transkription des Gutachtens sowie seine fachlich-kritische Bewertung erstmalig im Jahr 2020 in einem Buch vorgelegt werden konnten – Hülsenberg, Dagmar / Schwarz, Ingo, Hg., Alexander von Humboldt, Gutachten zur Salzgewinnung 1789-1794, Bd. 48 der Reihe Beiträge zur Alexander-von-Humboldt-Forschung; darin: „Bericht über die Salzquellen bei Slonsk“, den Humboldt am 20. Juni 1794 in Goldkronach (Oberfranken), kurz nach seinem Aufenthalt in Słońsk verfasste. 1791 war bereits eine erste Bohrung in Słońsk vorgenommen worden, die Sole erwies sich jedoch für eine gewinnbringende Nutzung nicht reichhaltig genug. Es war also notwendig, an einer anderen Stelle zu bohren. Humboldt machte hierzu einen Vorschlag und schilderte in seinem Gutachten sehr genau die Situation vor Ort, wo sich die ursprüngliche Bohrung befand, ihren technischen Zustand und den Bezug zur Weichsel. Weiterhin befasste er sich ausführlich mit der geologischen Situation in Słońsk, soweit das mit damaligen Kenntnissen möglich war. Er stellte auch Überlegungen zum Zusammenhang der Salzlagerstätten in Mitteleuropa an. In seinem Gutachten machte Humboldt auch Vorschläge zur Errichtung einer Saline. Das schloss ausführliche Überlegungen zur Bereitstellung der notwendigen Energie für die Förderung und den Transport der Sole sowie das Betreiben eines Gradierwerkes ein. Extrem wichtig war dabei die Bändigung der Weichsel-Hochwasser. Humboldts weitere Überlegungen bezogen sich auf die Rentabilität einer Saline in Słońsk und auf die Möglichkeiten einer Kostenminimierung. Hülsenberg zeigte sehr anschaulich auf, mit welchen umfassenden Überlegungen und Wissen Humboldt sein Gutachten anfertigte.
Mit dem Vortrag von Prof. Hülsenberg harmonierte ausgezeichnet die Vorführung der eindrucksvollen Filme „Im Soletal von Ciechocinek“ und „Das Salzwerk in Ciechocinek“ der bekannten Filmregisseurin und -produzentin Teresa Kudyba. Dazu muss man wissen, dass die Ortschaft Słońsk an der Weichsel, in der Humboldt 1794 seine Forschungen durchführte, heute zu einem großen Teil innerhalb der Grenzen des Kurortes Ciechocinek, des mit Abstand bekanntesten Soleheilbades in Polen, liegt. Ein glücklicher Zufall will es, dass Frau Kudyba, die aus dem Oppelner Land stammt, seit zehn Jahren in Ciechocinek lebt und daher über perfekte Ortskenntnisse und ausreichend viel Zeit zum Filmen verfügt, was in den gezeigten Streifen auch deutlich zu merken und zu sehen war. Die schönen Bilder der drei weltweit größten Gradierwerke, die, wie wenig bekannt, eben in Ciechocinek stehen und von imposanten Ausmaßen sind (mit einer Gesamtlänge von 1.800 m, sic!) beeindruckten die Zuschauer sehr. Frau Kudyba plant nun in Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung von Ciechocinek 2024 den 230. Jahrestag des Humboldts-Aufenthalts in Słońsk/Ciechocinek und zugleich den 200. Gründungstag der Salzfabrik in Ciechocinek feierlich zu begehen. Mittelfristig wird geplant, das Soleheilbad Ciechocinek in die Weltkulturerbe-Liste der UNESCO eintragen zu lassen.
Den Vortrag des krankheitsbedingt an der Teilnahme verhinderten Dr. Ingo Schwarz‘, des ehem. Leiters der Alexander-von-Humboldt-Forschungsstelle der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, über „die „Verdienste des polnischen Kulturhistorikers Krzysztof Zielnica (1936-2012) um die Alexander-von-Humboldt-Forschung“ verlas Prof. Dagmar Hülsenberg unter Anwesenheit der Autorin und Regionalistin Aleksandra Hołubecka-Zielnica, der Witwe des Wissenschaftlers. Dr. Schwarz skizzierte zuerst die Geschichte der Humboldt-Forschung im geteilten Deutschland. Zielnicas Forscherweg begann bereits in den 1970er Jahren und war vor dem Hintergrund der deutschen Teilung recht ungewöhnlich. Aufgrund seiner polnischen Staatsangehörigkeit war er in der DDR willkommen, dank westdeutschen wissenschaftlichen Stipendien war es ihm aber auch möglich, sich in Westdeutschland, vor allem in Westberlin, zu längeren Studien aufzuhalten. Schwerpunkte in Zielnicas Arbeiten waren Humboldts bergmännische und halurgische Reisen nach Polen und Schlesien 1792/93 und 1794 sowie dessen Kontakte zu polnischen Naturforschern, Historikern, Schriftstellern und Künstler. Zielnica thematisierte auch Humboldts Einsatz für drei polnische Verbannte in Sibirien. Dr. Schwarz stellte anschließend die zwei bedeutendsten Werke Zielnicas zum Thema Humboldt und Polen vor. Zum einen handelt es sich um die kommentierte Bibliographie „Alexander von Humboldt in der polnischen Literatur“, die 1989 mit einem Vorwort von Hanno Beck, dem damals bedeutendsten westdeutschen Humboldt-Forscher in Westberlin erschien, zum anderen um die umfangreiche, 2004 in Berlin veröffentlichte Monographie „Polonica bei Alexander von Humboldt. Ein Beitrag zu den deutsch-polnischen Wissenschaftsbeziehungen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts“, die Dr. Schwarz als „Höhepunkt seiner [Zielnicas] Humboldt-Forschungen“ bezeichnete. Dr. Schwarz‘ Fazit lautete: „Zielnica hat die biographisch und bibliographisch ausgerichtete Alexander-von-Humboldt-Forschung (…) mit materialreichen Studien bereichert und maßgeblich mitgestaltet“.
Thomas Maruck, freier Autor und Studienreiseleiter, referierte über die intensiven Kontakte, die Alexander von Humboldt mit dem europäischen Osten, insbesondere mit Ostmitteleuropa pflegte, und die in Deutschland nur selten Gegenstand des Interesses sind. Meist beschränkt sich dieses Thema auf Humboldts Expedition nach Russland im Jahr 1829. Maruck, sich auf die Arbeiten von Zielnica stützend, befasste sich in seinem Vortrag insbesondere mit Humboldts Beziehungen zu Polen und zu Ober- und Niederschlesien, aber auch zu Russland. Dass Humboldt gleichzeitig rege Kontakte zum russischen Zar Nikolaus I. und zu polnischen Gelehrten unterhielt, erscheint aus historischer Sicht widersprüchlich. Humboldt nutzte jedoch seine Beziehungen zu den Eliten des Zarenreiches, um die Polen, soweit es ihm möglich war, vor der feindlichen Behandlung durch die Russen zu schützen. Humboldt, ein Bewunderer der preußischen Hohenzollern, reiste auch oft durch Niederschlesien und pflegte enge Kontakte zu dortigen Wissenschaftlern, so z.B. zu Hermann Brehmer, dem Begründer der bekannten Tuberkulosefachklinik – Lungen-Heilstätte Görbersdorf bei Waldenburg (Sokołowsko bei Wałbrzych). Maruck legte den Schwerpunkt seiner Ausführungen auf die letzten drei Jahrzehnte in Humboldts Leben. So schilderte er Humboldts Reise mit dem preußischen Kronprinzen zur Sejm-Eröffnung nach Warschau im Mai 1830, wo sie u.a. mit dem russischen Zaren zusammentrafen und anschließend ins Riesengebirge weiterfuhren. Humboldts nächste Schlesienreise ist 1846 belegt, als er ins Hirschberger Tal reiste und gemeinsam mit König Friedrich Wilhelm IV. als 77jähriger die Schneekoppe bestieg. Humboldts letzte Reise nach Niederschlesien führte ihn 1852 nach Sagan, wo er wiederum zusammen mit Friedrich Wilhelm IV. die Herzogin Dorothea von Sagan besuchte. Marucks Vortrag machte deutlich, dass Humboldt die Schlösser des Hirschberger Tales durch seine Besuche sehr gut kannte, so z.B. die Schlösser der Königsfamilie in Fischbach und Erdmannsdorf und das Schloss in Buchwald, das dem Grafen von Reden gehörte.
Aniela Mikolajczyk, die vor kurzem in einem Humboldt-Forschungsprojekt der Uni Potsdam mitarbeitete und schon daher eine ausgewiesene Humboldt-Expertin ist, nahm sich eines außergewöhnlichen und spannenden Themas an. In ihrem Vortrag „Alexander von Humboldts Einstellung zu Polen und den polnischen Aufständen am Beispiel seines Einsatzes für polnische politische Gefangene“ zog sie insbesondere auch den Vergleich mit der Einstellung seines Bruders Wilhelm von Humboldts zur damals in Europa hoch aktuellen polnischen Frage. Diese Gegenüberstellung ist insofern interessant und relevant, als dass die beiden Brüder sich nahe standen, beide einen engen Umgang mit der Königsfamilie hatten und am preußischen Hof verkehrten, wobei auch gut bekannt war, dass sie liberale Ansichten vertraten. Die Vortragende legte anhand von Primärquellen, vornehmlich Briefen, überzeugend dar, dass Alexander durchaus polonophil war, und dass ihn das Schicksal des polnischen Volkes während der Teilungs- und Aufstandszeit zutiefst berührte, auch wenn er sich in der Öffentlichkeit mit polenfreundlichen Äußerungen weitgehend zurückhielt. Demgegenüber ließ sich der Staatsmann Wilhelm von Humboldt, der Preußen neben dem Staatskanzler Hardenberg auf dem Wiener Kongress (1814-1815) vertrat, nicht von Gefühlen leiten, sondern setzte sich entschieden für preußische Staatsinteressen ein. So sprach er sich bei den Beratungen des Wiener Kongresses gegen die Wiederherstellung der polnischen Unabhängigkeit aus. Seine spätere Haltung war, wie es scheint, von Ambivalenz geprägt. Nachdem er bereits aus dem Staatsdienst ausgeschieden war, bezeichnete er in einem privaten, während des polnischen Novemberaufstands gegen die russische Herrschaft verfassten Brief (6. Mai 1831) die Polen mitfühlend als eine „unglückliche Nation“, zugleich aber warnte und kritisierte den Aufstand scharf: „Unsägliches Unglück wird diese polnische Revolution zur Folge haben (…). Der wilde Anfang wird von jungen unbesonnenen Leuten gemacht“.
Der letzte Referent, Matthias Lempart, beschäftigte sich mit den weitgehend unbekannten Beziehungen Wilhelm von Humboldts zu Schlesien. Der Anlass für den Vortrag war, dass Wilhelm von Humboldt vor rund 200 Jahren (1820/21) Schlossherr von Ottmachau wurde. Er erhielt das säkularisierte Schloss (bis 1810 im Besitz der Breslauer Bischöfe) von König Friedrich Wilhelm III. als Dotation für seine Verdienste um Preußen während der Befreiungskriege 1813-1815 gegen Napoleon. Bei seinen langen Bemühungen um das Schloss und Gut Ottmachau hatte Humboldt einen ernsthaften Konkurrenten, den General und Reformer des preußischen Heeres Neidhardt von Gneisenau. Allerdings war es Humboldt, der das Anwesen im Juli 1820 schließlich in Besitz nehmen konnte, was mit der Schenkungsurkunde des Königs vom 31. Mai 1821 endgültig besiegelt wurde. Obwohl Humboldts Hauptwohnsitz das Schloss Tegel war und blieb, reiste er relativ oft ins ferne Ottmachau. Zusammen mit seiner Familie verbrachte er dort meist lange Sommerwochen. Lempart gelang es, Humboldts Besuche in Ottmachau akribisch nachzuweisen – seinem ersten längeren Aufenthalt 1820 folgten weitere in den Jahren 1821-1824, 1826 und 1830, die für 1829 bereits geplante Reise nach Ottmachau kam aufgrund des Todes seiner Frau Caroline nicht zustande. Im Juni 1830 fand der einzige Besuch Alexander von Humboldts bei seinem Bruder in Ottmachau statt. 1830 zog Wilhelms Sohn Theodor von Humboldt-Dachroeden ins Schloss ein. Ottmachau blieb bis 1928 im Besitz der Familie. Humboldts Urenkel, Bernhard von Humboldt-Dachroeden, sah sich im selben Jahr gezwungen, das Schloss an die Stadt Ottmachau zu verkaufen. Der Grund war der Bau eines Staudamms an der Glatzer Neiße bei Ottmachau und die Schaffung eines Stausees, dessen Wasser die Humboldtschen Ländereien überfluteten. Ohne die Einnahmen, die daraus erzielt wurden, konnte das Schloss nicht mehr unterhalten werden.
Am 17. September brachen die Teilnehmer in der Früh zu einer Studienreise nach Tarnowitz auf und zwar mit dem Ziel, die ehrwürdige Friedrichsgrube zu besichtigen. Dort erwartete die Gruppe Zbigniew Pawlak, wie erwähnt, der Chef des Vereins der Liebhaber des Tarnowitzer Landes, in dessen Trägerschaft sich die alte Blei- und Silbergrube – seit 2017 auf der Welterbeliste der UNESCO – befindet. Die Tagungsteilnehmer wanderten unter Führung von Pawlak und einer ausgezeichneten, zweisprachigen Bergwerks-Führerin mehrere Stunden lang unter Tage auf den Spuren Alexander von Humboldts, der, wie schon mehrmals vermerkt, vor 230 Jahren in der damals Königlichen Friedrichsgrube wichtige Beobachtungen und Erfahrungen (u.a. Einsatz der Dampfmaschinen zur Entwässerung der Grube betreffend) machte. Nach der äußerst eindrucksvollen Führung durch das Bergbaumuseum begab sich die Gruppe ins Stadtzentrum von Tarnowitz, wo ebenfalls eine Führung auf Humboldts Spuren erfolgte.
Nach der Rückkehr nach Malapane beteiligten sich die Tagungsteilnehmer an den Feierlichkeiten des Brücken- und Gusseisenfestes, das bereits zum achten Mal stattfand und sich inzwischen zu einem vielbesuchten Malapaner Stadtfest entwickelte. In seinem Rahmen kam zu einem weiteren Höhepunkt der Humboldt-Tagung – am Gebäude des Malapaner Hüttenwesen-Museums enthüllte Freiin von Humboldt-Dachroeden eine ansehnliche und ästhetisch gut gelungene Humboldt-Gedenktafel, die vom Malapentalverein gesponsert und von seinen Mitgliedern – Bildhauerin Karolina Piechota, Gießer Dariusz Kik – angefertigt wurde. Der polnische Text der Tafel lautet in der deutschen Übersetzung: „Alexander von Humboldt, geb. 14.9.1769, gest. 6.5.1859, Gelehrter – Naturforscher – Geograph – Forschungsreisender. Er besuchte die Königliche Hütte Malapane in Malapane am 17. und 18. Dezember 1792. Zur Erinnerung an den 230. Jahrestag des Besuchs des großen Humanisten in der Produktionsstätte der ältesten Dampfmaschinen auf dem europäischen Festland. Malapanetalverein in Malapane 2022.“ Die von mehreren Hundert Stadtfestbesuchern verfolgte Tafelenthüllung begleiteten Festansprachen und Dankesworte von Mirosław Wieszołek, dem Bürgermeister der gastgebenden Stadt, und Hartmut Koschyk, der dem Malapanetalverein und der Stadt Malapane, zu Händen von Józef Tomasz Juros, eine ganz besondere, 2018 von den bekannten W. Kordes‘ Söhne Rosenschulen gezüchtete Rose, die „Alexander-von-Humboldt-Rose“, als schönes und zum Anlass hervorragend passendes Gastgeschenk überreichte. Einen bunten, die Feierlichkeit bereichernden Farbtupfer boten die rund zehn Vereinsmitglieder aus Malapane und Tarnowitz, die in rekonstruierten Uniformen u.a. der Hüttenleute aus der Zeit um 1800 auftraten. Zum Abschluss der Feierstunde ergriff Freiin von Humboldt-Dachroeden das Wort und bedankte sich im Namen der Familie Humboldt sehr herzlich für die Ausrichtung der Tagung und das Wachhalten der Erinnerung an ihren großen Vorfahren. Durch die Anbringung der Humboldt-Gedenktafel wurde Malapane zu einem weiteren und bleibenden Erinnerungsort auf der Weltkarte der Alexander-von-Humboldt-Erinnerungsstätten, darüber hinaus aber auch zum Ort der deutsch-polnischen Begegnung und Verständigung.
Eine ausgezeichnete und ausgiebige Führung durch das Metallurige-Museum in Malapane am letzten Tag der Humboldt-Tagung mit Józef Tomasz Juros als Museumsführer- und -leiter trug wesentlich zum Verständnis der Entwicklung des Hüttenwesens in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Nicht unerwähnt bleiben sollte, dass die 1754 gegründete und nach wie vor arbeitende Hütte Malapane wohl die älteste sich noch in Betrieb befindliche Eisenhütte der Welt ist. Es folgte noch eine Führung durch den Ortskern von Malapane, wo man u.a. die älteste eiserne Kettenbrücke Europas, hergestellt 1827 in der Hütte Malapane, bewundern kann.
Die wissenschaftliche Humboldt-Fachtagung in Malapane und Oppeln einschließlich der Studienreisen nach Ottmachau und Tarnowitz war eine gut gelungene, völkerverbindende deutsch-polnische Veranstaltung und Begegnung, die darüber hinaus außerordentlich abwechslungsreich war und auf einem hohen wissenschaftlichen Niveau stand. Allen Förderern der Tagung, insbesondere dem Bundesministerium des Innern und für Heimat, sei an dieser Stelle für die Förderung herzlich gedankt!