Internationale wissenschaftliche Fachtagung untersucht die Rolle vom Glauben und Kirche in der Heimatlosigkeit

Die Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen für Wissenschaft und Forschung hat in Zusammenarbeit mit dem Institut für Kirchengeschichte von Böhmen-Mähren-Schlesien e.V. in Friedberg/Hessen und dem Institut für Kirchen- und Kulturgeschichte der Deutschen in Ostmittel- und Südosteuropa e.V. in Tübingen eine internationale wissenschaftliche Fachtagung zum Thema „Glaube und Kirche als Heimatort in der erzwungenen Heimatlosigkeit und als geschützter Identitätsraum in der Heimat“ veranstaltet. Die Fachtagung fand vom 27. bis 30. April 2023 im Gästehaus des Priesterseminars Fulda statt.

Die kirchengeschichtliche Fachtagung widmete sich der Bedeutung von Glauben und Kirche für die Integration, Beheimatung und Verwurzelung von Heimatvertriebenen, die nach 1945 Zuflucht in Westdeutschland und in der Sowjetischen Besatzungszone/DDR fanden. Sie untersuchte auch die Rolle der Kirchen für die Erhaltung der Gruppenidentität der in der Heimat verbliebenen Deutschen in Ostmittel-, Südost- und Osteuropa.

Die Fachtagung versammelte Kirchenvertreter und Kirchenhistoriker aus verschiedenen Ländern und wurde mit Grußworten von Weihbischof Prof. Dr. Karlheinz Diez, Bistum Fulda, Bischöfin Dr. Beate Hofmann, Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck, Prof. Reinhart Guib, Bischof der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien und Dr. Ernst Gierlich, Vorstandsvorsitzender der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen, eröffnet.

Außerdem wurden stellvertretend für die zahlreichen eingesandten Grußworte die Grußbotschaften von Alterzbischof Alfons Nossol und Bischof Andrzej Czaja, beide Bistum Oppeln, und von Domherr André Schmeier aus Allenstein, Erzbistum Ermland, vorgelesen.

Im Anschluss referierte Prof. Dr. Rainer Bendel, Universität Tübingen, in einem Einführungsvortrag über die Rolle von Maximilian Kaller als erster päpstlicher Sonderbeauftragter für die Heimatvertriebenen von 1945 bis 1947 und die Hilfsmaßnahmen der katholischen Kirche für die Heimatvertriebenen in den ersten Nachkriegsjahren. Über die Rolle der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) bei der materiellen Unterstützung der vertriebenen Ostdeutschen sprach wiederum Prof. Dr. Dorothea Wendebourg von der Humboldt-Universität in Berlin. Sie beschäftigte sich ebenfalls mit der geistigen Bewältigung des Vertreibungsschicksals durch die EKD.

Prof. Dr. Rainer Bendel

Der erste Themenblock der Tagung beleuchtete einige Schwerpunktthemen, die in der gesamtdeutschen Perspektive von enormer Bedeutung für die katholische und evangelische Vertriebenenseelsorge waren und zugleich einen starken hessischen Bezug aufwiesen. Der Block begann mit einem Grußwort und grundlegenden Ausführungen von Weihbischof Dr. Reinhard Hauke, Bistum Erfurt, dem Beauftragten der Deutschen Bischofskonferenz für die Vertriebenen- und Aussiedlerseelsorge. Anschließend referierte Prof. Dr. Rainer Bendel über die Königsteiner Anstalten als ein Zentrum der katholischen Vertriebenenseelsorge in Deutschland. Prof. Dr. Michael Hirschfeld von der Universität Vechta sprach über das Konzept der Kapellenwagen und der „Glaubensburgen an der Zonengrenze“, das von Pater Werenfried van Straaten entwickelt wurde. Patrick Strosche, Pastoralreferent aus Rüsselsheim am Main, widmete sich in seinem Vortrag der Situation im Bistum Mainz in der Nachkriegszeit und berichtete über die Auseinandersetzung um die Kirchenlieder der ostdeutschen Vertriebenen.

Pastor Mag. Dietmar Neß aus Groß Särchen in der Lausitz sprach über das Landesflüchtlingspfarramt der Evangelischen Kirche von Westfalen in den Jahren 1955-1973. Robert Pech von der Technischen Universität Chemnitz erläuterte im nachfolgenden Vortrag die Bedeutung der politischen Arbeit der beiden Amtskirchen für die Integration der Heimatvertriebenen, insbesondere deren Gremien und politische Vernetzung. Der abschließende Vortrag von Prof. Dr. Manfred Kittel von der Universität Regensburg beleuchtete die Rolle der beiden großen Kirchen beim Lastenausgleich.

Robert Pech

Hierzu wurden Ausführungen von Weihbischof Gerhard Pieschl, Bistum Limburg, dem emeritierten Vertriebenenbischof, der krankheitsbedingt abwesend war, zum Thema „Katholische Seelsorge an Aussiedlern und Spätaussiedlern im vereinigten Deutschland nach 1990 und das offizielle Ende der Vertriebenenseelsorge durch die Abschaffung der Visitatoren als Mitglieder der Deutschen Bischofskonferenz“ verlesen.

In den 1980er Jahren spielte die Volksfrömmigkeit der oberschlesischen Aussiedler eine entscheidende Rolle bei deren Integration in die Bundesrepublik. Dr. Evelyne A. Adenauer aus Frechen untersuchte diesen Aspekt in ihrem Vortrag. Das letzte Referat des Themenblocks behandelte das Thema der freikirchlichen Aussiedler und Spätaussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion und deren Integration mit Hilfe des Glaubens. Der Referent Johannes Dyck ist Leiter des Instituts für Theologie und Geschichte am Bibelseminar Bonn. Dr. Torsten W. Müller, Museumsdirektor im Museumsdorf Cloppenburg, referierte im zweiten Teil des Themenblocks 1 über die katholische Kirche und die Heimatvertriebenen in der SBZ/DDR, er sprach von der „Zuzugskirche“, die mit der Zeit zur Ortskirche wurde. Zum Abschluss des Themenblocks behandelte der evangelische Dipl.-Theol. Tilman A. Fischer, Humboldt-Universität zu Berlin, den „Heimatverlust und Religiosität – als einen praktisch-theologischen Impuls zur Beschäftigung mit heimatvertriebenen Christen in der SBZ/DDR.

Johannes Dyck

Die Themenblöcke drei und vier widmeten sich der Bewahrung der kulturellen und sprachlichen Identität in den sozialistischen Staaten Osteuropas nach 1945 und der Rolle der Kirchen für die Bewahrung der christlichen Identität in Osteuropa nach 1989/90.

Im Themenblock drei wurden verschiedene Aspekte der Rolle der Kirchen für deutsche Minderheiten und Aussiedler untersucht. Zuerst sprach Dr. habil. Piotr Tarlinski, Bischofsvikar und Minderheiten-Diözesanseelsorger in der Diözese Oppeln/Opole (Polen) über die Rolle des Glaubens für die deutsche Minderheit im kommunistischen Polen nach 1945. Anschließend wurde der Vortrag von Prof. Dr. Rudolf Grulich, dem wissenschaftlichen Leiter des Instituts für Kirchengeschichte von Böhmen-Mähren-Schlesien e.V., (er konnte  aus gesundheitlichen Gründen an der Tagung nicht teilnehmen),  über die Rolle der Kirche in der Tschechoslowakei für die deutschen Minderheiten und für die Aussöhnung mit Deutschland vorgelesen. Prof. Dr. Olga Litzenberger, Leiterin des Bayerischen Kulturzentrums der Deutschen aus Russland in Nürnberg, analysierte in ihrem Referat die Rolle von Religion für die Russlanddeutschen nach ihrer Deportation. Dr. Maria Werthan, Präsidentin des Frauenverbands des Bundes der Vertriebenen, thematisierte die Rolle der Kirche für die deutschen Minderheiten in Rumänien unter dem Regime Ceaușescu. Sie beschäftigte sich sowohl mit den katholischen Banater Schwaben als auch den evangelischen Siebenbürger Sachsen.

Dr. Maria Werthan

Themenblock vier beschäftigte sich mit deutschen Minderheiten im östlichen Europa nach 1989/1990 und der Rolle der Kirchen bei der Bewahrung ihrer christlichen und nationalen Identität. Prof. Dr. Dmytro Tsolin, Ukrainische Katholische Universität Lviv/Lemberg, sprach über die Kirche als Anker des Zusammenhalts in Zeiten des Krieges. Es folgte eine abschließende Podiumsdiskussion zur Rolle des Glaubens für deutsche Minderheiten im östlichen Europa. An der Diskussion nahmen Dr. habil. Piotr Tarlinski, Johannes Dyck, André Schmeier und Alexander Gross, evangelischer Pfarrer in Odessa (Ukraine), teil.

Die Fachtagung bot eine hervorragende Gelegenheit, sich über die Rolle von Kirche und Glauben bei der Integration bzw. der Identitätserhaltung von Heimatvertriebenen in Deutschland und den deutschen Minderheiten im östlichen Europa zu informieren und über den aktuellen Forschungsstand dieser Thematik auszutauschen.

Die ganze Fachtagung ist auf dem YouTube-Kanal der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen für Wissenschaft und Forschung ab jetzt unter folgendem Link aufrufbar: https://bit.ly/42nnsLB

 

Die Pressemitteilung finden Sie hier als PDF-Datei: Pressemitteilung-Glaube und Kirche als Heimatort