Ein Gastbeitrag von Hans Gerhard Christoph
Seinem Sturkopf und einem verwehrten Lehramtsstudium verdanken wir die vielleicht bedeutendsten Grundlagen der Genetik. Weil ein missgünstiger Dozent Gregor Mendel aus persönlichen Gründen durch die Aufnahmeprüfung fallen ließ, setzte sich dieser in den Kopf, die Welt von der Wichtigkeit seiner Forschung zu überzeugen.
Die frühen Jahre
Am 22. Juli 1822 erblickte Gregor Johann Mendel das Licht der Welt. Sein Geburtsort namens Heinzendorf bei Odrau (Hynčice) liegt heute im Osten Tschechiens, und gehörte früher zu Österreichisch-Schlesien. Seine Eltern Anton und Rosina Mendel verdienten sich ihren Lebensunterhalt als kleine Obstbauern. Ganz wie ihre Vorfahren: Die Linie der Mendels lässt sich bis 1525 nach Württemberg zurückverfolgen. Schon die damaligen „Mendele“ lebten wohl auf nicht allzu großem Fuß – Mendele leitet sich vom Begriff „Männchen“ ab.
Da auch in Mendels Familie das Geld knapp war, mussten sowohl Gregor als auch seine jüngeren Schwestern Veronika und Theresia auf der Plantage mithelfen. So lernte der junge Mendel schon von klein auf, wie man Obstbäume richtig veredelt.
Aufgrund seiner ausgezeichneten schulischen Leistungen an der Dorfschule konnte Gregor das Gymnasium in Troppau (Opava) besuchen. Der dortige Schulleiter Faustin Ens hatte mit Gleichgesinnten an der Schule bereits im Jahr 1814 ein schon bald berühmtes naturkundliches Museum eingerichtet, aus dem später das Schlesische Landesmuseum hervorging. So erhielt Gregor die Möglichkeit, sein ohnehin schon breites Wissen noch zusätzlich zu vertiefen. Ab dem 16. Lebensjahr musste er sich allerdings selbst seine Existenz sichern, indem er nebenbei als Privatlehrer tätig war. 1840 verließ er mit Auszeichnung das Gymnasium und studierte am Philosophischen Institut der Universität Olmütz (Olomouc).
Von der Universität ins Kloster
Ein Schicksalsschlag gab Gregors Leben eine unerwartete Wendung. Sein Vater Anton wurde beim Ableisten von Frondiensten im Wald schwer verletzt und die Zukunft des elterlichen Hofes stand auf dem Spiel. Doch Gregors Schwester Theresia verzichtete auf Teile ihres Erbes und auch sein Schwager sprang ein, um ihm eine Fortsetzung der akademischen Ausbildung zu ermöglichen.
Auch an der Universität blieben seine Zensuren erfreulich, allerdings zwang ihn die wirtschaftliche Not, sein Studium nach zwei Jahren abzubrechen. Durch seinen Physiklehrer Friedrich Franz kam Mendel als Novize bei den Augustinern in der Abtei St. Thomas in Alt Brünn unter. Er erhielt den Ordensnamen Gregorius und absolvierte dort von 1845 bis 1848 ein Theologiestudium an der Bischöflichen Theologischen Lehranstalt.
Außerdem studierte er Ökonomie, Weinbau und Obstbaumzucht. Gregorius erwarb Detailkenntnisse über Samenvermehrung, Selektion und Techniken der Kreuzung bei seinem Dozenten Franz Diebl. Während dieses vertiefenden Studiums empfing Mendel am 6. August 1847 zwar die Priesterweihe, seine Förderer erkannten jedoch deutlich, dass er nicht für die Theologie, sondern für die Wissenschaft brannte. Um seinen Lebensunterhalt zu sichern, wurde ihm eine Aushilfsstelle als Griechisch- und Mathematiklehrer am k. u. k. Gymnasium in Znaim (Znojmo) zugewiesen.
Verwehrtes Lehramtsstudium
1850 strebte Mendel die Zulassung zum Lehramtsstudium für die Fächer Naturgeschichte und Physik an der Universität Wien an, die Aufnahmeprüfung bestand er jedoch nicht. Er war weiterhin als Aushilfslehrer tätig, bis er 1856 erneut an der Zulassung zum Lehramt scheiterte – angeblich aufgrund mangelnder Fachkenntnisse. Von diesem Zeitpunkt an begann Mendel, sich mit der systematischen Erforschung der Vererbung bei Erbsen zu befassen.
Mithilfe der Beziehungen seines Abtes Cyrill Napp konnte Mendel trotz seines neuerlichen Scheiterns verschiedene andere Vorlesungen hören. Hinsichtlich der Fortpflanzung bei Pflanzen herrschten an der Universität zwei unterschiedliche Meinungen vor. Mendel neigte dazu, dem Pflanzenphysiologen Franz Unger mit seiner These beizupflichten, die Vererbung basiere auf der Verschmelzung einer weiblichen mit einer männlichen Zelle. Dies brachte den aufbrausenden Eduard Fenzl auf den Plan, der aggressiv eine kontroverse Meinung über den Befruchtungsvorgang vertrat. Nachforschungen am Lehrstuhl ergaben schließlich, dass so auch die gescheiterte Prüfung zu erklären ist: Mendels Prüfer war nicht wie erwartet Ungerer, sondern ausgerechnet sein Kontrahent Eduard Fenzl. Dieser hat Mendel entweder durchfallen lassen oder ihn zum Rücktritt bewogen.
Da Mendel jedoch eine charakterstarke Persönlichkeit war, spornte ihn diese Niederlage nur noch mehr an, Ungers These durch eigene breite experimentelle Untersuchungen wissenschaftlich zu belegen – auch um Fenzl entgegenzutreten. Diesen schwelenden Konflikt hielt er minutiös in seinem Forschungsbericht aus dem Jahre 1866 fest. Die Fachwelt stand jedoch zum großen Teil auf Fenzls Seite, so dass der Bericht nahezu keinerlei Beachtung fand. Dennoch hielt Mendel voller Überzeugung an der Bedeutung seiner langjährigen fundierten Forschung fest. Dies zeigt auch sein prophetisch anmutender Ausspruch: ,,Meine Zeit wird schon kommen!“
Berufung zum Abt
Als 1868 sein Förderer Napp starb, wurde Gregorius Mendel noch im selben Jahr nahezu einstimmig zum neuen Abt auf Lebenszeit gewählt. Auf seinem Wappen sind Mendels Lebensmaximen dargestellt: Lilien als Hinweis auf die Botanik samt Vererbungserkenntnissen, Pflug und Kreuz symbolisieren seine bäuerliche Herkunft, Handschlag mit brennendem Herzen kennzeichnet seine tiefen Überzeugungen und Alpha und Omega verweisen auf den Schöpfer aller Dinge, Anfang und Ende. Das Wappen charakterisiert Mendel als infulierten Abt, wodurch er Krummstab und sogar Mitra tragen durfte.
Mendel wurde von seiner Wahl total überrascht. Er avancierte, wie er freimütig einräumte, vom Lehrer für Physik zum bedeutenden Abt von St. Thomas. Die Umstellung aus seiner „ganz bescheidenen Stellung […] in eine Sphäre, in welcher [ihm] so manches fremd erscheint“, bereitete ihm zunächst Probleme. Wichtig war ihm als neuem Abt jedoch nach wie vor, durch weitere umfangreiche Versuche seine Vererbungstheorie wissenschaftlich zu untermauern.
Wissenschaftliche Leistungen
Seit 1856 führte Mendel im Klostergarten seine „so lieb gewonnenen BastardierungsVersuche“ aus. In diesen selektierte er die verwendeten Erbsensorten akribisch. Aus ursprünglich 34 erworbenen Erbsensorten wurden nach zweijähriger Überprüfungsphase 22 für seine Forschungsarbeit berücksichtigt. Er untersuchte, wie insgesamt sieben Merkmale weitervererbt werden:
- Form des Samens
- Farbe des Keimblattes
- Farbe der Blüte
- Form der Schote
- Farbe der Schote
- Lage des Stängels
- Größe des Stängels
Wiederentdeckung seiner Forschung
Bei den monatlichen Mitgliederversammlungen des naturforschenden Vereines von Brünn trug Mendel im Frühjahr 1865 erstmalig seine fundierten Forschungsergebnisse zur Genetik vor. Diese wurden erst posthum, im Jahr 1900 wiederentdeckt, nachdem sie zu Mendels Lebzeiten kaum Beachtung erfuhren. Als „Mendelsche Regeln“ gingen seine drei Gesetze in die Wissenschaftsgeschichte ein. Ab diesem Zeitpunkt bildeten die Mendelschen Vererbungsregeln die Basis für die Genetik und damit auch für einen bedeutenden Wirtschaftszweig der Biologie. Die experimentelle Wissenschaft der Genetik ist der Hauptbestandteil der modernen Chromosomenforschung, deren Ergebnisse gleichermaßen für Menschen, Tiere und Pflanzen gelten. Wie auch auf den anderen Gebieten der Wissenschaft, hat es der Mensch hier alleine in der Hand, die Schöpfung zum Wohle der Menschheit oder zu ihrem Schaden umzudeuten.
Die Mendelschen Regeln
Die Uniformitätsregel ist die erste Mendelsche Regel. Sie besagt: Die Nachkommen 1 reinerbiger Vorfahren, die sich in nur einem Merkmal unterscheiden, sind uniform. Das heißt, sie sind genetisch gesehen hinsichtlich dieses Merkmals gleich.
Das zweite Gesetz heißt Spaltungsregel. Werden Nachkommen aus der ersten Regel untereinander gekreuzt. so werden die Merkmale bei dominant-rezessiver Vererbung in einem Verhältnis von 3:1 aufgespalten. Läuft die Vererbung intermediär ab, so spalten sich die Merkmale in einer Quote von 1:2:1 auf.
Die Unabhängigkeitsregel stellt die dritte Mendelsche Regel dar. Hier wird die Vererbung von zwei unterschiedlichen Merkmalen betrachtet. Beide Merkmale werden unabhängig voneinander vererbt, ab der zweiten Generation nach den „Eltern“ zeigen sich wieder reinerbige Individuen. Bei dominant-rezessiver Vererbung liegt das Verhältnis dann als 9:3:3:1 vor.
Die „Eltern“ nannte Mendel Parentalgeneration, die er mit „P“ abkürzte. Daraus entsteht die 1. Filialgeneration „F1“. Mendel klassifizierte sie als „Bastarde“ bzw. „Hybriden“. Nachkommen der F1-Generation werden „F2″ abgekürzt.
Der Mensch Gregor Mendel
Die wissenschaftlichen Leistungen Mendels sind beispielhaft. Sie stellen die historische Person jedoch nur unvollständig dar. Um den Kern seines Wesens zu erfassen, muss man tiefer schürfen.
Die schwere körperliche Arbeit in der Jugend formte ihn zu einem mittelgroßen, breitschultrigen Mann mit aufrechtem Gang. Als genauso aufrecht und integer lässt sich sein Wesen charakterisieren. Durchweg strebte er danach, Deutsche und Tschechen völkerverbindend zu universellem Denken und Handeln zu bewegen. Bereits während seiner Studienjahre erlernte er die tschechische Sprache. Unter anderem die Arbeit im St.Thomas-Stift verhalf ihm dazu, die Welt aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten und neben der Wissenschaft auch die Bedeutung der sozialen Komponente zu erkennen. Unseliger Nationalismus war Mendel ein Gräuel. Er bevorzugte es, ein verbindendes Umfeld geistig-kultureller Lebenseinstellung zu pflegen und zu fördern, unter Betonung gemeinsamer Traditionen und Ideale, wie der Liebe zur gemeinsamen Heimat. Im Ansatz stellte dies bereits im 19. Jahrhundert die Vision eines künftigen politisch geeinten Europas dar. Auch das stete Bemühen, umfangreiches Wissen zu erwerben, und seine Fürsorge gegenüber Armen und Kranken zeichnen Mendel aus.
Mendel wird als ein überempfindlicher Mensch mit schwachen Nerven und Existenzangst beschrieben. Letztere legte sich aber durch den Eintritt in den St.-Thomas-Stift und seine Wahl zum Abt. Außerdem setzte er sich für die würdige Behandlung von Tieren als Teil der Schöpfung ein. Legendär ist seine Liebe zur Wahrheit, die ihm von seinen Neidern oft als „bäuerlicher Starrsinn“ vorgeworfen wurde. Dies befähigte Mendel jedoch, seine akribisch durchgeführten Versuche über viele Jahre hinweg erfolgreich durchzuhalten.
1883 erkrankte Mendel an einem Nierenleiden, was zu vielen Wassereinlagerungen führte. Am 6. Januar 1884 starb der wissenschaftliche Querulant Gregor Mendel in seiner Augustinerabtei in Brünn.
Auszeichnungen und Ehrungen
Mit Verfügung vom 19. März 1872 und Vorschlag des mährischen Statthalters wurde Gregor Mendel während eines Aufenthaltes von Kaiser Franz Joseph I. das Comthurkreuz auf Schloss Gödöllő verliehen. Diese Auszeichnung erhielt er, da „derselbe schon in seiner früheren Eigenschaft als Professor der Brünn’er Oberrealschule sehr erspriesslich gewirkt […]; er ist Euerer Majestät Allerhöchstem Kaiserhause treu ergeben und erfreut sich wegen seines humanen Benehmens und geistlich milden Characters der allgemeinen Achtung“.
Ein internationales Komitee von 150 Naturwissenschaftlern ließ 1910 ein Denkmal zur Erinnerung an Gregor Mendel im Garten seiner St.-Thomas-Abtei errichten.
1983 wurde in der Walhalla, einer Gedenkstätte für bedeutende Persönlichkeiten bei Regensburg, Mendels Büste aufgestellt. Viele Gymnasien tragen seinen Namen, etwa im oberpfälzischen Amberg. Außerdem wurde sein Konterfei als Sonderbriefmarke in verschiedenen Ländern verwendet. Die Polarstation auf der James-Ross-Insel an der nordöstlichen Spitze der Antarktis trägt Mendels Namen. Im Übrigen lebt Gregor Mendel in der Mendelschen Randomisierung weiter. Darunter wird in der Wissenschaft der Vergleich von Menschen mit dem gleichen genetischen Risiko verstanden.
Fazit
Wünschen wir uns viele ebenso sture Nachfahren wie Gregor Mendel, die auf ihren einmal gewonnenen Erkenntnissen beharren und die sich nicht von Ablehnung und Missgunst in ihrem Tun beirren lassen.
Verfasser
Hans Gerhard Christoph
Dieser Artikel erschien zuerst in der Januar-Ausgabe 2019 der Fachzeitschrift Naturheilpraxis.
Dank des Einsatzes unseres Gastautors Hans Gerhard Christoph, konnte eine neue Initiative zur Erinnerung an Gregor Johann Mendel gestartet werden. Anlässlich des diesjährigen 200. Geburtstags des Vaters der Genetik werden nun eigene Gedenkmedaillen geprägt. Diese werden den Absolventen des Paderborner „Gregor Mendel Berufskollegs“ im Rahmen der Feierlichkeiten zum Jubiläum des Namenspatrons des Kollegs verliehen.