Vom 22. bis 24. September trafen sich in Wiesbaden Vertreter der Landsmannschaften und deutschen Minderheiten aus dem östlichen Europa auf Einladung der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen und der Arbeitsgemeinschaft deutscher Minderheiten in der FUEN (AGDM) zur Begegnungstagung „Heimatvertriebene und Heimatverbliebene – Zwei Seiten der gleichen Medaille“.
Bereits vor der Konferenz hatten Reinfried Vogler, Vorstandsvorsitzender der Kulturstiftung, und Thomas Konhäuser, Geschäftsführer der Kulturstiftung, sowie Bernard Gaida, Sprecher der AGDM, und Renata Trischler, Koordinatorin der AGDM, zusammen mit Margarete Ziegler-Raschdorf, Hessische Landesbeauftragte für Heimatvertriebene und Spätaussiedler, in der Hessischen Staatskanzlei Gespräche mit Hessens Staatssekretär für Europaangelegenheiten, Mark Weinmeister, über weitere Möglichkeiten der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit geführt. Weinmeister sagte: „Wir arbeiten besonders mit Polen, Rumänien und Serbien eng zusammen. Dabei liegen uns auch die Belange der deutschsprachigen Minderheiten sehr am Herzen.“
Der Auftakt der Konferenz fand anschließend im Kloster Eberbach bei Wiesbaden statt, wo das Landesinnenministerium eine Besichtigung für alle Tagungsteilnehmer organisiert hatte. Bei einem Abendessen in den altehrwürdigen Mauern begrüßten die Kulturstiftung und AGDM die aus Deutschland und sechs europäischen Ländern angereisten Anwesenden. Die Einbeziehung des Tagungsortes ist dabei ein wichtiges Element der Begegnungstagung. In Hessen hat Schätzungen zufolge jeder vierte Einwohner einen familiären Bezug zu den Vertriebenen. Bereits bei der ersten Konferenz mit Heimatvertriebenen und Heimatverbliebenen im letzten Jahr, war bewusst Dresden, in Erinnerung an die deutschen und europäische Teilung, als Tagungsort mit Bedeutung für beide Seiten gewählt worden.
Der zweite Tag stand ganz im Zeichen des gemeinsamen Austausches in Wiesbaden. Thomas Konhäuser, Geschäftsführer der Kulturstiftung, dankte der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, dem Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat sowie dem Hessischen Ministerium des Innern und für Sport für die Förderung der Tagung. „Ich freue mich sehr, dass es auch in diesem Jahr wieder gelungen ist, die Landsmannschaften und deutschen Minderheiten zusammenzubringen“, sagte Thomas Konhäuser.
Anschließend unterstrich Margarete Ziegler-Raschdorf, Landesbeauftragte für Heimatvertriebene und Spätaussiedler, das Bundesland Hessen wolle den Kontakt zu deutschen Minderheiten verstärken und sehe in ihnen eine Brücke zur Völkerverständigung. „Das Erinnern an das millionenfache Leid, das durch Flucht und Vertreibung ausgelöst wurde, sowie die Unterstützung, Bewahrung und Förderung des Kulturgutes der alten Heimat, sind der Hessischen Landesregierung und mir persönlich aufgrund meiner eigenen schlesischen Wurzeln mehr als nur eine gesetzliche Verpflichtung, die aus §96 Bundesvertriebenengesetz erwächst“, erklärte Margarete Zieger-Raschdorf.
Reinfried Vogler, Vorstandsvorsitzender der Kulturstiftung, erinnerte daran, dass auch nach großen Anstrengungen der Vergangenheit noch viel Verständigungsarbeit zu leisten ist: „Heute ist Europa Wirklichkeit geworden. Es ist noch viel zu tun, aber es ist der Anfang getan.“ Die Konferenz, die jährlich an wechselnden Austragungsorten stattfinden soll, sei eine gute Basis für den Austausch und dafür, die eigenen Themen lebendig zu halten und weiterzutragen.
Bernard Gaida, Sprecher der AGDM, nannte die Heimatvertriebenen und Heimatverbliebenen eine Schicksalsgemeinschaft. Beide Seiten müssten auf Augenhöhe zusammenarbeiten, um gemeinsame Ziele zu erreichen. In Dresden habe man im letzten Jahr die Kooperationsgrundlage geschaffen, die nun in Wiesbaden ausgebaut werden solle. So soll mit jeder folgenden Tagung stets auch ein gemeinsamer Schritt nach vorn getan werden, wünschte sich Bernard Gaida.
Den Impulsvortrag zum ersten eponymisch benannten Themenblock der Tagung, hielt Hartmut Koschyk, Parlamentarischer Staatssekretär a.D. und ehemaliger Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten. Er erinnerte daran, dass die Themen der Flucht und Vertreibung lange Zeit in der deutschen Politik ideologische Debatten auslösen konnten. Man habe nun aber vielfach diese Gräben überwinden können und so sei ein produktiver Dialog möglich geworden. Auch im Hinblick auf neue politische Konstellationen nach der Bundestagswahl seien so weitere Fortschritte auch bei der Förderung der Erinnerungs- und Zukunftsarbeit zu erhoffen. Nun müsse auch der europäische Rahmen dafür verbindlicher werden.
Nach seinem Referat übernahm Hartmut Koschyk auch die Moderation des ersten Panels des Tages. Die Landesbeauftragte Margarete Ziegler-Raschdorf, Stephan Rauhut, Bundesvorsitzender der Landsmannschaft Schlesien, Nieder- und Oberschlesien, Reinfried Vogler, Vorstandsvorsitzender der Kulturstiftung, Dr. Johannes Thießen, Bundesvorsitzender der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland (LMDR), Bernard Gaida, AGDM-Sprecher, Ibolya Hock-Englender, Vorsitzende der Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen, und Dr. Olga Martens, stv. Vorsitzende des Internationalen Verbandes für deutsche Kultur (IVDK) sprachen dabei über die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Arbeit der Minderheitenorganisationen und Landsmannschaften.
Dr. Olga Martens wies darauf hin, dass das Verhältnis zwischen Staaten direkten Einfluss auf den Umgang mit den Minderheiten haben kann. Gerade in Russland sei dies zu spüren und so sei auch der neu geschaffene Begriff des „Russlanddeutschtums“ ein Zeichen der Eigenständigkeit. Die Landsmannschaft der Deutschen aus Russland biete seit ihrer Gründung Hilfe bei der Integration, sagte Dr. Johannes Thießen. Im Gegensatz dazu konnte Ibolya Hock-Englender von derzeit guten Rahmenbedingungen in Ungarn berichten. Stephan Rauhut betonte die Bedeutung der Jugendarbeit und der Kooperation über landsmannschaftliche Grenzen hinweg. Man könne so den eigenen Blickwinkel verändern und damit ein besseres Verständnis für das Gesamte entwickeln.
Im zweiten Themenblock stand die Jugend im Fokus. Das von der Kulturstiftung und der AGDM gemeinsam ins Leben gerufene Junge Netzwerk „Zukunft“ hat sich zum Ziel gesetzt, als Gesprächs- und Begegnungsplattform Jugendorganisationen der Landsmannschaften und deutschen Minderheiten zu verbinden. Über diese und weitere Kooperationen sprachen Renata Trischler und Thomas Konhäuser mit Erika Erhardt, Jugend-LMDR e.V., Oskar Zgonina, Vorsitzender des Bundes der Jugend der Deutschen Minderheit (BJDM) in Polen, Tobias Rehm, Vorstandsmitglied im Bund Junges Ostpreußen, Klaus Weber, Beisitzer im Vorstand der Deutschen Banater Jugend- und Trachtengruppen, Michal Urban, Vorsitzender der Jugend- und Kulturorganisation (JUKON) in Tschechien, und Stefanie Januschko, Sudetendeutsche Jugend. Online zugeschaltet waren zudem Elena Klassen, Jugendring der Russlanddeutschen, und Hanna Klein, Deutsche Gemeinschaft in Kroatien.
Obwohl die Wege zur eigenen Identitätsfindung und der Schritt zur Mitarbeit in einer Landsmannschaft oder einem Verein der Minderheit sehr unterschiedlich sein können, so waren sich die Jugendvertreter einig darüber, dass sie für ihre Arbeit Gestaltungsfreiraum benötigen. Netzwerke, die einen Austausch über die Grenzen des eigenen Verbandes ermöglichen, wurden ausdrücklich begrüßt. Das Junge Netzwerk „Zukunft“ nehme dabei eine besondere Rolle ein, da es eine kontinuierliche Plattform biete und nicht nur punktuell agiere.
Den dritten Themenblock zu Fragen der eigenen Identität leitete Bernard Gaida mit einem Impulsreferat über die Arbeit des Verbandes der deutschen sozial-kulturellen Gesellschaften in Polen (VdG) im Vorfeld der Volkszählung 2021 in Polen ein. Der Dachverband der deutschen Minderheit in Polen, dessen Vorsitzender Bernard Gaida ist, rief vor der Zählung die Bevölkerung dazu auf, sich zu ihrer Identität zu bekennen. Da die statistischen Zahlen auch Einfluss auf die Förderung der Minderheiten haben, hatte der VdG mit Broschüren auf die verschiedenen Auswahlmöglichkeiten und deren Bedeutung hingewiesen.
Die anschließende Diskussion moderierten Dr. Kathleen Beger, Wissenschaftliche Referentin der Kulturstiftung für Staats- und Völkerrecht, (Zeit-)Geschichte, Literaturgeschichte, und Tomáš Randýsek, Referent der Kulturstiftung für Öffentlichkeitsarbeit. Sie sprachen mit Klaus Plaszczek, Bundesvorsitzender der Landsmannschaft der Oberschlesier, Renata Trischler, AGDM-Koordinatorin, Dr. Maria Werthan, Landsmannschaft der Banater Schwaben und Bundesvorsitzende BdV-Frauenverband, Alfred Freistädter, Landsmannschaft der Deutschen aus Ungarn, Ilze Garda, Vorsitzende des Verbandes der Deutschen in Lettland, und Bernard Gaida über Identitätsfragen und deren Bedeutung für die Position von Minderheiten in ihrem Heimatland und für die Kulturarbeit der Landsmannschaften.
Bernard Gaida verwies darauf, dass in den letzten Volkszählungen in der EU eine Hinwendung zu lokalen oder multiplen Identitäten zu beobachten ist, die aber für größere Volksgruppen dazu führen kann, dass sie in ihrem Land Unterstützung einbüßen. Da es in der EU keine einheitlichen Standards für Minderheitenpolitik gibt, liegt es gänzlich in der Kompetenz der Mitgliedsstaaten, welche Grenzwerte sie setzen und welche Minderheiten sie anerkennen. Auf landsmannschaftlicher Ebene sieht man in Deutschland zwar ein gesteigertes Interesse an den eigenen Wurzeln, dennoch bleibt die Begeisterung für die Arbeit in den Verbänden hinter den Erwartungen zurück. Die Nachwuchsarbeit sei erst in der letzten Zeit wieder ganz oben auf der Agenda.
Den letzten Themenblock des Tages zur Bewahrung des kulturellen Erbes leiteten Dr. Martin Sprungala, Bundesvorsitzender der Landsmannschaft Weichsel-Warte, und per Online-Zuschaltung Gabrijela Bogišić, Geschäftsführerin des Deutschen Vereins St. Gerhard im serbischen Sombor, ein. Dr. Sprungala verwies in seinem Referat darauf, dass man die Erinnerungen von Zeitzeugen als wichtigen Wissensschatz aufzeichnen müsse. Gleichzeitig sei in den Heimatgebieten im östlichen Europa durchaus Interesse vorhanden, die gemeinsame Geschichte zu erforschen. Gabrijela Bogišić konnte einige erste Einblicke in das neue Donauschwäbische Museum gewähren, das in Sombor ebendieses Interesse zeigen wird. Eine mehrsprachig gestaltete und moderne Exposition wird dort den Bogen von der Vergangenheit zur Gegenwart schlagen und die Bewahrung des kulturellen Erbes fördern.
Die anschließende Diskussion moderierten Renata Trischler und Matthias Lempart, Referent der Kulturstiftung für grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Sie sprachen mit Dr. Martin Sprungala, Joanna Hassa, stv. Geschäftsführerin der Sozial-Kulturellen Gesellschaft der Deutschen im Oppelner Schlesien (SKGD), Otto Harfmann, stv. Bundesvorsitzender der Landsmannschaft der Donauschwaben, Ilze Garda, Vorsitzende des Verbandes der Deutschen in Lettland, Aina Balaško, Ehrenvorsitzende des Verbandes der Deutschen in Lettland, und Michael Anger, Deutsch-Baltische Gesellschaft, über bereits bestehende und ausbaufähige Kooperationen. Zugeschaltet war zudem Dr. Ondrej Pöss, Vorsitzender des Karpatendeutschen Vereins in der Slowakei.
Otto Harfmann beklagte die oft unzureichende finanzielle Förderung der Arbeit. Gerade die Pflege von Gedenkorten sei sehr kostenintensiv. Auch in Lettland habe man mit hohen Kosten für grenzüberschreitende Projekte zu kämpfen, erklärten Ilze Garda und Aina Balaško. Gerade das jährliche Liederfest der deutschen Vereine, an dem Gruppen aus dem gesamten baltischen Raum und aus Deutschland beteiligt sind, erfordere viel Planungsarbeit und Unterstützung. Die kleineren deutschen Minderheiten und Landsmannschaften habe diese Notwendigkeit zur kreativen Kooperation aber auch gestärkt. Dr. Ondrej Pöss, der über viele Jahre das Karpatendeutsche Museum in der Slowakei mit aufgebaut und geleitet hat, zeigte auf, dass Beharrlichkeit und persönliches Engagement auch in grenzüberschreitenden Belangen oft den Ausschlag für erfolgreiche Projekte geben können.
Am letzten Tag der Konferenz „Heimatvertriebene und Heimatverbliebene – Zwei Seiten der gleichen Medaille“ folgten die Teilnehmer der Einladung in das Hessische Ministerium des Innern und für Sport zu einem Gespräch mit Landesinnenminister Peter Beuth. Der Minister würdigte die Arbeit, die Vertriebene bei dem Wiederaufbau Hessens nach dem Zweiten Weltkrieg geleistet haben und sprach ihnen dafür großen Dank aus. Nun gelte es, ihre Erinnerungen und Kultur zu erhalten, auch wenn die Erlebnisgeneration dies nicht mehr selbst gestalten könne. Die Stärkung der Jugendarbeit und ihren grenzüberschreitenden Ausbau in Zusammenarbeit mit der Kulturstiftung und AGDM unterstütze er ebenso wie die Initiative, auf europäischer Ebene Standards für den Umgang mit Minderheiten zu schaffen.
Oskar Zgonina, BJDM-Vorsitzender und Mitglied des Jungen Netzwerks „Zukunft“, erklärte anlässlich des Treffens: „Was uns verbindet, ist Heimatliebe und die Identitätsfrage“. Nach der letztjährigen Konferenz sei bereits viel geschafft worden, die Tagung in Wiesbaden sei nun die erfolgreiche Fortsetzung und Festigung dieser Arbeit und eine neu geschaffene Tradition, die auch weiterhin gepflegt werden müsse.
- Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen / (tra)