Ein Projekt der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen, 2019 bis 2021
Besondere Stätten der Erinnerungskultur der Vertriebenen waren und sind die in den Nachkriegsjahren aufgebauten und eingerichteten kleineren und größeren ostdeutschen Heimatsammlungen und Heimatstuben. In ihnen wurde das, was man aus der alten Heimat an materiellen Kulturgütern gerettet und mitgebracht hatte, gesammelt und ausgestellt, wurde die Heimat auf diese Weise vergegenwärtigt. Dabei waren und sind die Heimatsammlungen und -stuben weit mehr die Summe ihrer einzelnen Exponate und Archivalien: Sie spiegeln mit kulturhistorisch bedeutenden Gegenständen und mehr noch mit den vorgestellten Alltagsgegenständen das Leben, die Geschichte, die Mentalität einer Region, Stadt oder Gemeinde wider – und darüber hinaus zeugen sie von der Eingliederung der Flüchtlinge und Vertriebenen in die bundesdeutsche Nachkriegsgesellschaft.
Zunehmend sind indes insbesondere die kleineren Heimatsammlungen in ihrem Bestand gefährdet, insbesondere angesichts der Überalterung sowohl der Betreiber als auch der Adressaten der Arbeit. Nicht wenige der Sammlungen sind bereits verschwunden, werden nur noch selten besucht oder stehen vor der Schließung. Selbst wenn bei einer Auflösung wesentliche Teile Bestände in anderen Einrichtungen – ostdeutschen oder kommunalen Museen bzw. Archiven/ Bibliotheken – materiell erhalten bleiben, so geht doch gesamte Kontext der in den Heimatsammlungen bzw. -stuben vereinten Bestände unweigerlich verloren. Wie sehr den Heimatvertriebenen und ihren Nachkommen das weitere Schicksal der Sammlungen am Herzen liegt, wurde auf verschiedenen von der Bonner Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen organisierten Workshops mit deren engagierten Betreibern deutlich.
Hier nun soll ein neues Projekt ansetzen, das die Kulturstiftung dank großzügiger Förderung durch das Land Nordrhein-Westfalen vom Herbst 2019 bis zum Frühjahr 2021 durchführen wird. Es geht um die Digitalisierung und Dokumentation nicht nur der Archivalien, wie des bereits etwa von der Martin-Opitz-Bibliothek in Herne geleistet wird, sondern auch um die Digitalisierung und Dokumentation der Exponate, also der dreidimensionalen Objekte der Sammlungen. Die Exponate sollen fotografisch erfasst und so samt einer Beschreibung in Form einer „virtuellen Heimatsammlung“ im Internet präsentiert werden, wo sie dann wie in den Ausstellungsräumen wahrgenommen werden. Auf diese Weise können die vorgestellten Gegenstände in dem ursprünglichen Kontext erlebbar bleiben, weiterhin ein komplexes Bild der in den Sammlungen präsentierten Orte oder Regionen bieten, sie selbst dann erfahrbar bleiben, wenn die betreffende Sammlung eines Tages nicht mehr zugänglich sein bzw. nicht mehr bestehen sollte.
Hierzu gilt es, die Heimatsammlungen/-stuben zunächst zu dokumentieren, d.h. es geht um fotografische Erfassung (wenn möglich und sinnvoll dreidimensional) von Exponaten, um 360° -Panorama-Aufnahmen der Räumlichkeiten oder auch der Außenanlage der Einrichtungen. Es erfolgt zudem die Beschreibung der erfassten Exponate, sowohl hinsichtlich ihrer kulturhistorischen als auch ortshistorischen bzw. landeskundlichen Bedeutung, sowie eine Vorstellung der jeweiligen Sammlung mit ihrer Geschichte und ihren Sammlungsschwerpunkten. Die fotografischen Aufnahmen und die beschreibenden Texte werden bearbeitet und für die Veröffentlichung vorbereitet.
Für jede der erfassten Sammlungen ist eine eigene Seite zu erstellen, in die das Material eingebracht wird, dies im Rahmen einer besonderen, optisch professionell gestalteten und funktional eingerichteten Website zu den Heimatsammlungen in Nordrhein-Westfalen. Ziel ist es, die Sammlung dort so zu präsentieren, dass deren Räume virtuell betreten werden können, um dann einzelne der dort sichtbaren Exponate heranzuholen – wenngleich gewiss nicht alle, sondern lediglich für die Sammlung repräsentative bzw. deren Highlights – und diese samt ihrer Beschreibung näher zu betrachten. Falls eine fotografische Darstellung der realen Sammlungsräume nicht möglich ist oder solche gar nicht mehr vorhanden sein, sollen entsprechende digitale Räume neu konstruiert werden. Es ist wichtig, dass das Betreten der virtuellen Sammlungen von den Nutzern jeden Alters ohne besondere Anleitungen intuitiv erfolgen kann. Die einzelnen „virtuellen Heimatsammlungen“ sollen in der Folge sukzessive ausgebaut bzw. ergänzt werden können.
Vorgesehen ist die Verbindung bzw. Verlinkung der neuen Website mit dem digitalisierte Archivmaterialien von Heimatsammlungen umfassenden Internetportal der Martin-Opitz-Bibliothek in Herne sowie mit dem bestehenden Kulturportal West-Ost der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen. Ebenso wird es eine enge Zusammenarbeit mit dem Düsseldorfer Gerhart-Hauptmann-Haus geben, das im Jahre 2020 eine auf das Projekt bezogene Tagung mit Betreibern von Heimatsammlungen ausrichten wird.
Im Rahmen des nun anlaufenden Projekts sollen ca. 12 Heimatsammlungen in Nordrhein-Westfalen erfasst und präsentiert werden. Einige Sammlungen haben bereits ihr Interesse an einer Teilnahme an dem Projekt bekundet. Weitere Interessenten können sich gerne bei der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen melden. Es ist angestrebt, das Projekt, sofern Mittel vorhanden sein werden, auch über die jetzige Laufzeit hinaus weiterzuführen, gegebenenfalls auch auf weitere Bundesländer auszuweiten.
Vorbilder für dergleichen virtuelle Sammlungen oder Museen sind inzwischen vielfach vorhanden. Fast jede größere Sammlung bzw. Museum verfügt über eine solche Darstellung. Professionell und attraktiv gestaltet, haben die „virtuellen Heimatsammlungen“ das Potential, die reiche Erinnerungskultur der Vertriebenen und Aussiedler neuen, nicht zuletzt jüngeren Nutzerkreisen zu erschließen. Vor allem gilt es, den für die Wahrung und Vermittlung der Geschichte und Kultur der Deutschen im östlichen Europa unverzichtbaren ostdeutschen Sammlungen eine Zukunftsperspektive zu eröffnen, auch wenn und gerade weil dies auf anderer Ebene und mit zeitgemäßen, Nachhaltigkeit gewährleistenden Mitteln erfolgt.