Widerstand gegen den Nationalsozialismus im Nordosten – Persönlichkeiten, Konzepte, Schicksale

Buchtitel: "Widerstand gegen den Nationalsozialismus im Nordosten"
Widerstand gegen den Nationalsozialismus im Nordosten – Persönlichkeiten, Konzepte, Schicksale
Ernst Gierlich, Hans-Günther Parplies (Hg.)
be.bra wissenschaft verlag, Berlin-Brandenburg 2022, 242 Seiten, gebunden, 20 s/w-Abbildungen, 34,- €
ISBN 978-3-95410-288-4

Band 2 der Reihe „Widerstand im Widerstreit“, herausgegeben im Auftrag des Sächsischen Staatsministeriums des Innern, Dresden, und der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen, Bonn, von Jens Baumann, Ernst Gierlich, Frank-Lothar Kroll und Rüdiger von Voss

mit Beiträgen von Rainer Bendel, Wladimir Gilmanov, Wieslaw-Roman Gogan, Gilbert H. Gornig, Ulrich Hutter-Wolandt, Barbara Kämpfert, Frank-Lothar Kroll, Horst Mühleisen, Karol Sauerland und Rainer Zacharias

Ist vom Widerstand gegen den Nationalsozialismus die Rede, so fällt bald das Stichwort vom »Kreisauer Kreis«, also der – später von der Geheimen Staatspolizei so benannten – Gruppe um Helmuth James Graf von Moltke, die sich ab 1940 mehrfach auf dessen niederschlesi-schem Gut Kreisau bei Schweidnitz traf und die dort Konzepte für ein Deutschland nach der Überwindung des Nationalsozialismus in staatlicher, wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht entwickelte, mit diesen weitere Widerstandskreise wesentlich beeinflusste. Rückt damit Schlesien in den Fokus der Betrachtung des Widerstands, so erscheint es lohnend, weitere historische deutsche Ostprovinzen und auch Gebiete mit deutschsprachiger beziehungsweise deutschstämmiger Bevölkerung außerhalb der Reichsgrenzen im mittleren und östlichen Europa hinsichtlich des Widerstands gegen den Nationalsozialismus beziehungsweise das System des Dritten Reichs zu befragen.

Die Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen unternahm dies im Rahmen einer auf drei Veranstaltungen ausgelegten, jeweils vom Bundesministerium des Innern geförderten Reihe zeitgeschichtlicher Fachtagungen, die unter Beteiligung von Wissenschaftlern aus Deutschland und aus den östlichen Nachbarländern stattfanden. Unter dem Titel »Widerstand gegen den Nationalsozialismus im Nordosten – Persönlichkeiten, Konzepte, Schicksale« fand im Jahre 2019 in Göttingen die Tagung statt, in der die Provinzen Ost- und Westpreußen sowie Pommern mit Ausblicken auf den baltischen Raum im Mittelpunkt standen. Es ging darum, die latent oppositionellen Milieus der »Parallelgesellschaften« des Landadels, der Bekennenden Kirche und der katholischen Kirche, des Militärs und des preußischen Bürger- und Beamtentums in den Blick zu nehmen. Anhand von Lebensbildern herausragender Vertreter aus diesen Milieus wurde deren Entwicklung von der Herkunft, dem familiären und gesellschaftlichen Umfeld und dem beruflichen Werdegang zu ihrer Entscheidung zu aktivem Widerstandshandeln nachgezeichnet und veranschaulicht.

Der vorliegende Band, herausgegeben von Ernst Gierlich und Hans-Günther Parplies, präsentiert nun die für den Druck bearbeiteten Beiträge der Tagung, die noch durch weitere Aufsätze ergänzt wurden. Die Ergebnisbände der beiden anderen Fachtagungen (zu Schlesien/ Sudetenland und zum Südosten Europas) werden in dieser Reihe folgen.

Die Thematik des Widerstands gegen den Nationalsozialismus in den damaligen deutschen Ostprovinzen und in den angrenzenden Regionen Europas verstärkt ins Bewusstsein zu rücken und einen entsprechenden internationalen wissenschaftlichen Austausch zu befördern, war beziehungsweise ist Anliegen der Veranstaltungen und dieser Veröffentlichung, die damit der Verständigung der Deutschen und ihren Nachbarn im östlichen Europa dienen soll.

 

Weitere Informationen zum Band auf der Seite des be.bra wissenschaft verlags:
https://www.bebra-wissenschaft.de/vzgesamt/titel/998-widerstand-gegen-den-nationalsozialismus-im-nordosten.html

 

Rezension des Tagungsbands

WIDERSTAND GEGEN DEN NATIONALSOZIALISMUS IM NORDOSTEN

„Die Geschichte des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus war zunächst vor allem eine Geschichte des Scheiterns“, stellt Hans-Günther Parplies fest. Er ist zusammen mit Ernst Gierlich der Herausgeber des Tagungsbandes „Widerstand gegen den Nationalsozialismus im Nordosten. Persönlichkeiten, Konzepte, Schicksale“, be.bra wissenschaft  verlag GmbH, Berlin-Brandenburg, 2022.

Die Tagung fand im Oktober 2019 in Göttingen statt und gehörte zu einer Trilogie, die die „Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen“ zum 75. Jahrestag des Attentats auf Hitler am 20. Juli 1944 durchführte. Ost- und Westpreußen, Pommern und das Baltikum wurden hier beleuchtet. Zwei andere Tagungen behandelten Persönlichkeiten aus Schlesien und dem Sudetenland sowie aus den deutschen Volksgruppen in Jugoslawien, Rumänien und Ungarn. So bietet der vorliegende Band neben der zentralen Thematik des Widerstandes einen Überblick über Geschichte und Sozialstruktur der früheren deutschen Ostgebiete.

Der Beitrag „Zur Rechtfertigung des Tyrannenmordes“ von Gilbert H. Hornig stellt ein eigenständiges Geschichts- und Rechts-Curriculum dar, beginnend mit der griechischen Philosophie und Geschichte über das Mittelalter und die Neuzeit bis hin zur Aufklärung. Allein die Definition des „Tyrannen“ offenbart die Vielschichtigkeit des Problems, ebenso die Unterscheidung zwischen dem Tyrannenmord aus patriotischen und dem Meuchelmord aus niederen Beweggründen. Durch die unterschiedlichen theologischen und staatsrechtlichen Positionen bekommt der Leser ein kleines Nachschlagewerk zu diesem Thema an die Hand.

Der Tagungsband enthält noch weitere „Nachschlagewerke“. In dem Kapitel IV „Adel und Bürgertum“ legt Wieslaw-Roman Gogan seinen Beitrag „Im Umfeld der Wolfsschanze – Ost- und westpreußischer Adel im Widerstand“ vor. Wer sich über die Adelsfamilien des Ostens, über die Lehndorffs, Kleists, Dohnas, Dönhoffs, Yorcks, Moltkes informieren möchte, findet reichlich Material. Präzise werden die unterschiedlichen Gruppierungen des Widerstandes, ihre Vernetzung und ihre Motivation dargelegt, eine geradezu spannende Quelle für den Leser.

Eine historische Abhandlung bietet auch der Beitrag von Ulrich Hutter-Wolandt „Zwischen Deutschen Christen und Bekennender Kirche – der Kirchenkampf in der pommerschen Evangelischen Kirche und in der Greifswalder Evangelischen Theologischen Fakultät“, im Kapitel II, „Theologische Perspektiven“. Der Leser erfährt Wissenswertes über die wirtschaftliche Lage Pommerns in der Weimarer Republik und im 3. Reich. Eine konservative und militärfreundliche politische Atmosphäre schien zunächst den Nationalsozialisten entgegenzukommen, aber bereits 1934/35 zeigte es sich, dass andere preußische Tugenden und eine andere Vaterlandsliebe bestimmend waren als die der neuen Machthaber. Im pommerschen Adel formierte sich Widerstand, wie die Namen der Opfer des 20. Juli (von Zitzewitz, von Puttkammer, von Putbus, von Borcke) beweisen.

Einen tiefen Einblick in die Ziele der „Deutschen Christen“ bietet der Autor anhand der Persönlichkeit des Pfarrers Karl Thom. Dieser glaubte an eine Verbindung von Nationalsozialismus und Christentum im Sinne des „Deutschtums“. Die Bekennende Kirche wehrte sich gegen das „Neuheidentum“ der Machthaber und verlangte eine Kirche auf der Grundlage der Bibel und des Geistes Christi. Allein 55 evangelische Pfarrer wurden in Pommern zu ihren Blutzeugen.

Dietrich Bonhoeffer war als Leiter eines Predigerseminars in Finkenwalde in den Kirchenkampf in Pommern involviert. Auch Carl Friedrich Goerdeler arbeitete eng mit dem Widerstand in Pommern zusammen.

Den Widerstand der katholischen Seite legt Rainer Bendel an der Persönlichkeit des ermländischen Bischofs „Maximilian Keller – Seelsorger und geistlicher ˋFührerˋ in eine Gegenwelt zum Nationalsozialismus“ dar. Auch hier gab es zuerst Zustimmung zu der neuen Regierung in der Erwartung, diese würde „auf der Religion aufbauen wollen“. Doch bereits 1934 kritisierte der Bischof die Vereinnahmung der Jugend durch Veranstaltungen am Sonntag, so dass die Jugendlichen am Kirchgang gehindert wurden. Seine Hirtenbriefe wurden „gefährlich“, teilweise beschlagnahmt und dann in Sonderdrucken verteilt. Die Hoffnung von Gauleiter Koch auf eine Zusammenarbeit mit dem Bistum Ermland erfüllte sich nicht. Eine Dokumentensammlung von zwanzig Seiten macht den Beitrag von Bendel besonders wertvoll.

Wladimir Gilmanov analysiert „Das letzte Wort von Peter Yorck von Wartenburg – Zur Theologie des Widerstands“. Er zitiert aus dem letzten Brief Peter Yorcks an seine Frau vor seiner Hinrichtung am 4. September 1944, in dem er Abschiedsgrüße an alle Weggefährten ausrichten lässt, den Zusatz „Vergiss Ostpreußen nicht“. Daraus leitet er die „ostpreußische Geisteshaltung“ ab und setzt sich mit den letzten Worten Stauffenbergs auseinander, die vielleicht „Es lebe das geheime Deutschland!“ gelautet hätten. Dieses „geheime Deutschland“ stellt Gilmanov in das Spannungsfeld zwischen Hitler und Nietzsche („Gott ist tot“) und den Königsberger Köpfen Kant und Hamann, die bereits im 18. Jahrhundert einen Widerstandsgeist dagegen – sozusagen als Vorwegnahme der Katastrophen des 20. Jahrhunderts – entworfen hätten. Er sieht die biblische Ur-Verführung („Ihr werdet sein wie Gott“) als die Gefahr der Gesetzlosigkeit, die letztlich die Freiheit vernichtet. Tritt der Übermensch an die Stelle Gottes, so hat die Schlange anscheinend gewonnen. Dagegen erhebt sich Widerstand, aber Gilmanov warnt davor, diesen Widerstand nur „auf dem Kampfplatz der Vernunft“ zu führen, was er der deutschen Theologie zum Vorwurf macht. Auch die Vernunft muss ihre Grenzen anerkennen, ein Kantischer Gedanke, der in der Theodizee und auch in der Schrift „Über das Ende aller Dinge“ erscheint. Gilmanov spricht von der „Tragik des deutschen Geistes“, von der „perfektionistisch gesinnten Vernunft“, die mit ihrer „Logik“ scheitert, ja sogar zur Selbstzerstörung führt. Vor allem muss akzeptiert werden, dass dem Menschen die letzte Einsicht in das Weltgeschehen doch nicht möglich ist. Den Widerstandskämpfern – Gilmanov nennt sie „Widerstandsmärtyrer“ – schreibt er den Sieg über den Tod und über die Todesangst zu, im Sinne der „wahren christlichen Erlösung“. Er zieht die Abschiedsbriefe von Heinrich von Lehndorff-Steinort und von Heinrich Karl Waldemar Graf zu Dohna-Schlobitten heran und sieht darin die „völlige Wandlung“ zu „einer neuen Kreatur“, und das sei „eine überzeugende Antithese zu Nietzsches ˋGott ist totˋ“.

Die Todesstunde von Peter Yorck schildert er. „Als Peter Yorck am 4. September 1944 zum Galgen ging, stolperte er. Wie zum Spott über den Tod – ´Tod,,  wo ist dein Stachel?ˋ (1. Kor. 15:55) – sagte er ˋHoppla!´, ging einen Schritt zurück  und dann, als ob durch göttliche Energie des Sieges über den Tod erfüllt, ging er weiter über die Grenze des irdischen Raumzeitmaßes in die Ewigkeit…“

An dieser Stelle sei noch einmal der Ausspruch von Hans-Günther Parplies erwähnt, die Geschichte des Widerstands sei eine Geschichte des Scheiterns. Entscheidend ist dabei das Wort „zunächst“. Zunächst scheiterte der Widerstand, und vor allem das Attentat des 20. Juli brachte ein grauenhaftes Schicksal über die Widerstandskämpfer und ihre Familien. Für Gilmanov war ihr „Widerstand gegen Hitler gleichfalls der christliche Widerstand gegen wider-christliche Dämonisierung der europäischen Zeitgeschichte“. Thomas Manns Roman „Doktor Faustus“ fällt dazu ein. Gilmanov kehrt aber dann zu Kant zurück und spricht von einem Deutschland, das sich „bis heute wehrt gegen den Verrat an dem Gewissen und dementsprechend (nach Kant) an der wahren Essenz der Freiheit“.

Obwohl es dem Gegenstand nicht angemessen ist, soll hier nur kurz auf den „Widerstand im Militär“ (Kapitel III) eingegangen werden. Dabei ist die Vorstellung von Generalmajor Hellmuth Stieff durch Horst Mühleisen ein faszinierendes Psychogramm. Ein Berufssoldat und Patriot, loyal gegenüber Staat und Armee, sah er in der nationalsozialistischen Bewegung zunächst eine „Wende“, gar eine Erneuerung Preußens. Die Ausschreitungen gegen die Juden führten 1938 bei ihm zu einem endgültigen Bruch, und der Überfall auf die Sowjetunion entfachte in ihm an der Ostfront Hass auf den „Verbrecher“. Er schloss sich den „Verschwörern“ an, habe sich aber, so die Zeitzeugen, immer wieder zögerlich und unentschlossen verhalten; die Motive seien schwer zu erklären. Doch sein Blutopfer erfolgte am 8. August 1944 in Plötzensee.

Vielleicht noch nachhaltiger schildert Rainer Zacharias den Lebensweg von „Ulrich Sporleder – Ein Offizier und evangelischer Pfarrer im Widerstand“. Der Theologe und Angehörige der „Bekennenden Kirche“ (BK) – allein schon die Schilderung der Bedrängnisse der BK ist eine bedeutende Information! – war zugleich ein „tüchtiger Soldat für Führer, Volk und Vaterland“, was der Autor Zacharias zur Diskussion stellt. Er bietet differenzierte Antworten auf diese Frage. Nach dem Scheitern des Attentats auf Hitler nahm sich Sporleder am 23./24. Juli 1944 das Leben.

Unbedingt hervorgehoben werden muss der Beitrag über Carl Friedrich Goerdeler von Barbara Kämpfert. Die Autorin legt einen ausführlichen Lebenslauf Goerdelers vor und interpretiert seine Herkunft. Damit erklärt sie seine politischen Einstellungen und seine Leistungen. Besonders wertvoll ist ihre Bearbeitung der Goerdeler-Forschung und der Goerdeler-Rezeption in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bis heute. Auch ausgewiesene Goerdeler-Kenner finden hier neue Aspekte.

Eine zukunftsorientierte Bedeutung bekommen die Beiträge zum „Literarischen Nonkonformismus“ (Kapitel V). Karol Sauerland stellt „Edzard Schaper – ein Schriftsteller als Verfolgter der totalitären Systeme seiner Zeit“ vor. Edzard Schaper, heute wenig populär, hat ein umfangreiches erzählerisches Werk hinterlassen. Sauerland legt das Hauptgewicht auf seine journalistische und politische Tätigkeit. Sein Widerstand gegen den Nationalsozialismus – er wurde (Jahrgang 1908) bereits 1936 aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen – und gegen das Sowjetregime führte dazu, dass beide das Todesurteil über ihn verhängten. Er floh jedoch rechtzeitig nach Finnland und später in die Schweiz. Durch seine Heirat mit einer Deutschbaltin kam er nach Estland und trat auch nach dem Krieg für die baltischen Staaten ein. Als Deutscher, gebürtig aus dem Raum Posen, eng verbunden mit der russischen Sprache und Kultur und auch mit der orthodoxen Kirche, hätte er unter anderen Bedingungen als toleranter Weltbürger, der den Totalitarismus verabscheute, leben und arbeiten können. Das schreckliche 20. Jahrhundert aber kehrte genau diese kulturelle Vielfalt gegen ihn und bürdete ihm ein schweres Schicksal auf.

Ebenfalls „zwischen alle Stühle“ (so der Titel einer Abhandlung von Leonore Krenzlin über Ernst Wiechert (1887-1950) als Dichter der „inneren Emigration“) geriet der Deutschbalte Werner Bergengruen, geboren 1892 in Riga. Frank-Lothar Kroll nennt ihn in seinem Beitrag „Werner Bergengruen – Das Tagebuch zum ´Dritten Reichˋ“ einen der „profiliertesten Repräsentanten jener moralisch-intellektuellen Einstellung gegenüber dem nationalsozialistischen Unrechtssystem, für die sich … die Bezeichnung ´Innere Emigrationˋanbietet“. Bergengruen ging, obwohl er 1937 aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen wurde, nicht ins Exil. Er blieb, so wie Erich Kästner, Stefan Andres, Oskar Loerke, Ernst Wiechert und andere, in Deutschland und schrieb unter sehr schweren Bedingungen, ja sogar unter Lebensgefahr. Das brachte ihm nach dem Krieg die Vorwürfe besonders der Exilautoren ein. Man warf ihm, wie den anderen „Dagebliebenen“ auch, mangelnde Konsequenz, Arrangement mit der Diktatur, fehlenden Mut vor. Den Werken, die in der „Inneren Emigration“ entstanden sind, sagte man Eskapismus, Verherrlichung „heiler Welten“ und „ewiger Ordnungen“ nach. Kroll zieht Thomas Mann heran, der geäußert haben soll, die Werke der „Inneren Emigration“ gehörten ausnahmslos eingestampft. Dabei hat gerade Bergengruen mit seinem Roman „Der Großtyrann und das Gericht“ „das wohl wichtigste Buch der ˋInneren Emigrationˋ überhaupt“ vorgelegt, so Kroll. Und seine bereits 1937 erschienene Novelle „Die drei Falken“ war ein Protest gegen die nationalsozialistische Einschätzung behinderter Menschen als „lebensunwertes Leben“, sowie Ernst Wiechert in seiner Novelle „Der weiße Büffel“ 1937 den Unrechtsstaat anprangerte.

Hier kann auf die gigantische internationale Diskussion über Exilliteratur und Innere Emigration nicht näher eingegangen werden. Der Beitrag von Frank-Lothar Kroll vermittelt einen Eindruck davon, wenn man sich den Umfang seiner Anmerkungen anschaut, in denen er einen Abriss davon präsentiert. Bergengruen rechnet er dabei ein besonderes Verdienst zu, da er durch umfangreiche autobiografische Aufzeichnungen, nicht nur zwischen 1933 und 1945, die 2005 ediert wurden, „einen genuinen Beitrag zur Vermittlung von Weltbildern und Werthaltungen zwischen der inneren und der äußeren Emigration“ geleistet habe.

Auch in der Literaturwissenschaft hat also der „zunächst gescheiterte“ Widerstand eine völkerverbindende Wirkung erzielt, die politische Differenzen und trennende Grenzen überwunden hat und weiterhin überwinden wird. Allein die „Internationale Ernst-Wiechert-Gesellschaft“ (IEWG) führte 2014 und 2017 u.a. mit den Universitäten Posen und Lodz internationale Kongresse durch und veröffentlichte Tagungsbände mit vielfältigen Forschungsergebnissen. Das scheinbare Scheitern hat Früchte für die folgenden Generationen gebracht.

Bärbel Beutner, Unna