Liebe Frau Parplies, liebe Familie, liebe Trauergemeinde,
genau heute auf den Tag vor 80 Jahren, am 30. Januar 1945, sank, torpediert von einem sowjetischen U-Boot, vor der pommerschen Küste die „Wilhelm Gustloff“, ein vormaliges Fahrgastschiff, das mit Zivilisten und Wehrmachtsangehörigen überfüllt war, mit Frauen, Kindern und Männern, die auf der Flucht vor der Roten Armee waren, der Armee, die ihre Heimat, vor allem Ost- und Westpreußen ohne Rücksicht auf die dort lebenden Menschen verheerte. Bei der Versenkung starben in der eisigen Ostsee bis über 9.000 Menschen. Es gilt dies als die bei weitem verlustreichste Schiffskatastrophe der Menschheit, doch es war keine tragische Verkettung von unglücklichen Umständen und Wetterbedingungen, wie etwa bei der Titanic, sondern ein von Menschen bewusst und im wahrsten Sinne „eiskalt“ begangenes Kriegsverbrechen.
Etwa 12 Millionen Deutsche wurden am Ende und nach dem Zweiten Weltkrieg aus den deutschen Ostgebieten und den deutschen Siedlungsgebieten vertrieben. Etwa 2,3 Millionen verloren dabei ihr Leben, 8 Millionen kamen nach schließlich im verbliebenen, im von ihm selbst begonnenen Krieg zerstörten Deutschland an.
Einer der Flüchtlinge war Hans-Günther Parplies, damals 11 Jahre alt. Wie traumatisch die Flucht aus der ostpreußischen Heimat für ihn war, Marienburg geboren und aufgewachsen, schilderte er, mit Tränen kämpfend, noch vor zwei Jahren in einem filmisch dokumentierten Interview. In einem überfüllten Zug über die Weichsel durch die von der Roten Armee bedrohten Gebiete gelangte die Familie Parplies über Pommern nach Mecklenburg, so etwa in einem vom Pferd gezogenen Kastenwagen, in einem Treck, der von russischen Panzern und Tieffliegern brutal beschossenen wurde. Zunächst kam man unter in einer Lagerbaracke und einer Wohnung in Bad Doberan, sich vor eingedrungenen Russen verstecken haltend, dann schwarz und über die gefährliche innerdeutsche Grenze in die Lüneburger Heide, wo man schließlich bleiben und er zur Schule gehen konnte, keineswegs von der ansässigen Bevölkerung nur willkommen.
Es waren dies schmerzliche Fluchterfahrungen von Hans-Günther Parplies, wie sie nicht weniger auch seine spätere Ehefrau Brigitte erleiden musste, Schmerzen, die natürlich nie wirklich überwunden werden konnten. Ein Schicksal, das natürlich sein ganzes weiteres Leben bis zuletzt prägte. Ich will und kann das weitere Leben und Wirken von Hans-Günther Parplies hier nicht im Einzelnen und schon gar nicht in Vollständigkeit ausführen. Sein juristisches Studium in Köln und Tübingen sowie besonders an der der Tradition der Königsberger Universität Albertina verpflichteten Göttinger Georg-August-Universität samt Engagement im Bund ostpreußischer Studierender (BOSt), sein Einsatz für den Bau des Göttinger Studentenwohnheim „Collegium Albertina“, dann aber auch für die Gründung der den rechtlichen Status des Ostens erforschende „Studiengruppe für Politik und Völkerrecht“.
Eine Beamtenlaufbahn zugunsten der Kultur- und Bildungsarbeit zunächst beim Bund der Vertriebenen zurückstellend führte er über lange Jahre die Geschäftsführung der Stiftung Ostdeutscher Kulturrat. Daneben ist zu nennen die führende Mitgliedschaft in weiteren Kulturinstitutionen der Vertriebenen, Kreis-, Landesvorsitz NRW des Bundes der Vertriebenen, sein Engagement im Akademischen Freundeskreis Ostpreußen und so weiter, und so weiter.
Die Erinnerung an die deutsche Kultur in Ost- und Westpreußen, in den vormaligen ostdeutschen Provinzen und darüber hinaus nicht nur zu bewahren und zu erforschen, sondern sie für alle Deutschen und ihre Nachbarn im östlichen Europa fruchtbar zu machen, dabei keineswegs geschehenes Unrecht von welcher Seite auch immer begangen zu verschweigen, im Gegenteil, es vielmehr im allgemeinen Bewusstsein zu verankern, alles im Sinne einer weiteren friedlichen Entwicklung Europas, dies war und blieb stets die Motivation für seine umfassende Tätigkeit. Er übte sie mit unermüdlicher Energie, mit Klugheit und Besonnenheit, aber auch mit angemessener Standhaftigkeit und Beharrlichkeit aus.
Ich selbst durfte Hans-Günther Parplies in den vergangenen Jahrzehnten in unserer Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen erleben, der er seit 1998 in verschiedenen Funktionen an, so als Vorstandsvorsitzender, als Kuratoriumsvorsitzender und seit 2016 als Ehrenvorsitzender angehörte. Ohne seine Präsenz, seinen stets fachkundigen Rat und seine aktive Mitwirkung hätte die Arbeit der Stiftung, insbesondere in den zum Teil schwierigen Zeiten seit dem Jahr 2000, gar nicht erfolgreich fortgeführt werden können. Auch noch angesichts ihn zwangsläufig einschränkender gesundheitlicher Probleme in den letzten Jahren konnte sich die Stiftung stets seiner aufmerksamen und hilfreichen Anteilnahme an den Aktivitäten gewiss sein. Ich bin ihm von Herzen dankbar, ihn in dieser Zeit als einen väterlichen Freund erleben zu dürfen, der mir und den Mitarbeitern jederzeit mit Rat und Tat bei Seite stand.
Die Kulturstiftung ist der in jeder Hinsicht herausragenden Persönlichkeit Hans-Günther Parplies somit zu großem Dank verpflichtet. Unser Mitgefühl gilt seiner lieben Ehefrau Brigitte, die, ebenso heimatverbunden wie er, ihn in seinem Engagement bis zuletzt aktiv unterstützt hat.
Noch im fortgeschrittenen Alter bemühte sich Hans-Günther Parplies eifrig und erfolgreich um die Wiederherstellung der nach dem Krieg zerstörten Kirche von Tharau in Ostpreußen, war er dort mit ebenso engagierten Freunden auch vor Ort, um den Fortschrift der Arbeiten zu begutachten. Tharau, es ist dies das Dorf, dem der ostpreußische Dichter Simon Dach (1605 Memel – 1659 Königsberg) mit seinem Gedicht bzw. später Lied vom „Ännchen von Tharau“ ein bis heute weit über Ostpreußen hinaus bekanntes Denkmal schuf.
Simon Dach, er war es auch, der eines seiner Grabgedichte mit dem lateinischen Spruch überschrieb: „Morborum domus est tellus, domus astra salutis“, „Die Heimat der Gebrechen ist die Erde – die Heimat des Heils der Himmel“.
Hans-Günther Parplies, zeitlebens ein überzeugter evangelischer Christ, er ist nun am Ziel seines Lebens, in seiner ewigen Heimat angekommen – dort, wo ihn, wie wir glauben dürfen, ein liebender Gott erwartet.
Lieber Herr Parplies, requiescas in pace. Amen.