Edzard Schapers Blick auf die Totalitarismen seiner Zeit

Literaturwissenschaftliche Fachtagung, Stuttgart, 16./17. April 2009

Edzard Schapers Blick auf die Totalitarismen seiner Zeit

Wissenschaftliche Leitung: Prof. Dr. Karol Sauerland
Redaktion: Dr. Ernst Gierlich

Zu Unrecht vergessen: der Schriftsteller Edzard Schaper, am 30.9. 1908 in Ostrowo in der Provinz Posen geboren – an der damaligen Grenze Preußens zu Russland – am 29.1.1984 in Bern in der Schweiz gestorben. Heute nur noch wenigen bekannt, galt er in den 50er Jahren nahezu als ethische Instanz und als Mahner. Seine zahlreichen Romane wurden gelesen, seine Betrachtungen und Reden im Rundfunk gesendet. Großartig sind seine Geschichten aus seiner estnischen und finnischen Zeit, unvergessen seine wunderbare Erzählung „Das Christkind aus den großen Wäldern“. Bei diesem Symposium beschäftigten sich Referenten aus, Dorpat, Freiburg/ Fribourg, Helsinki, Oldenburg, Reval, Riga und Thorn mit „Edzard Schapers Blick auf die Totalitarismen seiner Zeit“, die Wissenschaftliche Leitung hatte Prof. Dr. Karol Sauerland von der Universität Warschau.

Christkönigshaus Stuttgart-HohenheimIn Vertretung des Innenministers des Landes Baden-Württemberg, der, wie schon etliche Male zuvor, die Schirmherrschaft über diese Veranstaltung der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen, Bonn, übernommen hatte, erinnerte Dr. Sibylle Müller daran, dass Edzard Schaper sich in Stuttgart seine ersten Sporen verdient hatte – beim Theater. Hier schrieb er seine erste Barlach-Biographie und hier fand die Uraufführung des „Blauen Boll“ statt. Auch Baden-Württemberg steuerte also einen Meilenstein im bewegten Lebenslauf Edzard Schapers bei, wie Arnold Tölg, Landesvorsitzender des BdV Baden-Württemberg, in seiner Grußbotschaft vermerkte. Hans Gangl von der Ackermann-Gemeinde Stuttgart – die das Symposium mit einer Spende unterstützte – und Hans-Günther Parplies, Vorsitzender der Kulturstiftung, hießen die zahlreichen Teilnehmer willkommen. Die mitveranstaltende Edzard-Schaper-Stiftung in Brig/Wallis ließ der Veranstaltung ebenfalls ihre Wünsche für ein gutes Gelingen zukommen.

„Juhani, Jussi!“ murmelte er, und das Kind plapperte ihm etwas ins Ohr, was wohl nur er zu deuten verstand – vielleicht über das Begreifen hinaus das wehmütige und zugleich freudige Wissen, dass seit der einen Heiligen Nacht der Geburt keiner von uns Menschen mehr nur für sich leben kann, aber dass wir auch alle nicht mehr für uns allein sterben können; dass wir füreinander verloren werden und füreinander gefunden, bis wir vereinigt werden in der Einen Hand“ endet die wundervolle Geschichte der schon erwähnten Erzählung „Das Christkind aus den großen Wäldern“, mit der allein schon sich Schaper einen Platz in den Herzen seiner Leser erobert hat Liebe war seine Botschaft und Gerechtigkeit, die durch die Machtspiele der Herrscher dieser Welt zunichte gemacht werden. Das sah Schaper vor allem am Beispiel der baltischen Länder, in die es ihn nach einer Begegnung mit Alice Pergelbaum, seiner späteren Frau, 1931 verschlug. In Reval (jetzt Tallinn) wollte er seinen Händel-Roman vollenden, hier traf er auf politisch ungeordnete, ja, bedrohliche Zustände. „Er erwies sich als einer, der sich mit den neuen Machtverhältnissen nicht abfinden wollte, der von einer doppelten Okkupation, einer sowjetischen, dann deutschen und erneut sowjetischen Besatzung der baltischen Länder sprach. Noch heute fällt es den alten EU-Ländern schwer, dieses Faktum anzuerkennen. In der Bundesrepublik hat man auch den einstigen enormen Einfluss aus Deutschland stammender Männer und auch Frauen auf die nichtrussischen Gebiete in Ostmitteleuropa so gut wie ganz verdrängt. Es ist höchste Zeit, nachdem die Länder in die EU aufgenommen worden sind, diesen Einfluss nicht nur durch die Brille der deutschen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg zu sehen“, sagte Karol Sauerland in seiner Einführung in die Thematik, somit gleichzeitig einen aktuellen Bezug herstellend.

In Estland heiratete Schaper seine in St. Petersburg geborene Frau, lebte sich überraschend schnell im Baltikum ein, obwohl er auch hier, wie bereits in Deutschland, häufige Ortswechsel vornahm. Dr. Uwe Wolff, Helsinki/Dorpat/Tartu zeichnete ein liebevolles, man möchte sagen: emphatisches Bild dieses Sonderlings unter den deutschen Schriftstellern, der unendlich viel Mühe auf sich nahm, mit seinen Gedanken und Romanen, Schriften und politischen Beiträgen der baltischen und finnischen Seele auf die Spur zu kommen. Wolff beschrieb dieses jüngste Kind einer großen Familie als hochsensibel und manisch-depressiv mit all den Schwankungen dieses Gemütsbildes. Schaper hatte Identitätsprobleme, litt unter den zahlreichen Wohnungswechseln seiner Eltern – „man ist sich selber fremd in der Fremde“ – war ein Einzelgänger, obwohl er andererseits über eine große Kontaktstärke verfügte. Ostrowo blieb für ihn der Ort, den er am ehesten als Heimat anerkannte, wohin er auch später vorü¬bergehend zurückkehrte.

Seine Schulzeit in Glogau war eine Katastrophe, wie er es trotzdem schaffte, diese Unzahl von Publikationen mit zum Teil kompliziertem historischen Hintergrund zustande zu bringen, ist kaum zu begreifen. Erstaunlich war auch seine Fähigkeit, sich die estnische und die finnische Sprache so anzueignen, dass er aus diesen übersetzte. Seine eigenen Texte schrieb er allerdings nur in seiner Muttersprache, deutsch. 1933 entstanden die Romane „Die Insel Tütarsaar“, 1936 „Die sterbende Kirche“. Letzterer wirft die Frage auf, warum es möglich war, dass die russisch-orthodoxe Kirche im Osten so schnell an Einfluss verlor. „Diese Frage ist heute wieder aktuell, wenn man bedenkt, welchen Beitrag der Katholizismus in Polen zum Niedergang des Sowjetsystems geleistet hat, was allerdings nur in einem gewissen Maße dem Klerus zu verdanken ist. Es ist vor allem das Verdienst des Volkes, das in großer Zahl an seinem Glauben festhielt und sich den Kirchenbesuch nicht nehmen ließ“ heißt es bei Karol Sauerland.

Schaper arbeitete – zusammen mit Pfarrer Eduard Steinwand, Dorpat, für die „Baltische Russlandhilfe“, fuhr zu Lesungen nach Deutschland und musste erste Vernehmungen durch die Geheime Staatspolizei über sich ergehen lassen. In Estland zurück, wurde ihm von der deutschen Botschaft in Reval mitgeteilt, dass man ihn aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen habe. Seine Bücher wurden jedoch nicht verboten, ja, sogar im „Völkischen Beobachter“ fast immer positiv besprochen, da sie oft im „germanisch-völkischen“ Sinne die Konflikte zwischen der slawischen Urbe-völkerung und den Deutsch-Balten zum Inhalt hatten.

Nur in Bibliotheken durften seine Bücher nicht geführt werden. Auch sein großer Roman „Der Henker“ – der beim Stuttgarter Symposium immer wieder in den Focus geriet –erschien unangefochten, obwohl die Parallelen der angesprochenen Probleme in Estland zum totalitären Staat der Nationalsozialisten unverkennbar sind.

Auch Dr. Maris Saagpakk von der Universität Reval/Tallinn hatte sich diesen Roman zum Thema gewählt: „Die postkoloniale Wende im Roman „Der Henker“. In ihrem Vortrag hieß es: „Die Revolution von 1905 war eine Demonstration der Kraft und Unzufriedenheit der unteren Bevölkerungsschicht In sie mündeten gleichsam die sozialistischen Ideen von Gleichheit und die unterdrückte Wut der Bauern auf die deutsche Oberschicht. Für Esten und Letten waren die Revolutionsereignisse eine Reifeprobe. Ihre Ausartung in Mord und Raub offenbarte die versteckten Sehnsüchte und die Lust an der eigenen Kraft. Das bisherige von der Oberschicht diktierte gesellschaftliche Muster – „ich herrsche, weil ich kann“ – wurde für eine Weile umgekehrt in „ich zerstöre, weil ich kann.“

Saagpakk erinnerte an die zahlreichen anderen Autoren, die diese Ereignisse aufzuarbeiten versuchten, am bekanntesten ist wohl Siegfried von Vegesacks „Die baltische Tragödie“ (1933-35). Die Handlung des Romans „Der Henker“ ist die Schuld, die Schuld der Deutschbalten als Kolonisten und Herren in einem Land, das ihre Vorfahren vor vielen Jahrhunderten eroberten. Die Geduld des Lesers wird auf eine harte Probe gestellt: Schaper ist bemüht, die komplexen geschichtlichen Hintergründe in ihren feinen Verästelungen minutiös darzustellen. „Aus dem Gutsgelände Drostenholm wird ein Schwellenraum zwischen zwei Kulturen, deren Stellungskampf im Mittelpunkt der Ereignisse steht. Das Herrenhaus wird mit der Arche verglichen, die „in der Finsternis zwischen Himmel und Erde lag“.

Die Schwellenerfahrung deutet sich in den inneren Monologen des Protagonisten Ovelacker an, erlebt jedoch seine ausgesprochene Schärfe in den alltäglichen Erfahrungen des Andersseins im Alltag des Gutslebens“, heißt es bei Saagpakk.
Natürlich ist es interessant, wie die Darstellung der Esten in diesem Roman, der „subalternen Anderen“ von einer Estin gesehen werden. Koiri, der Gegen¬spieler oder das Opfer des „Henkers“, Graf Nikolai von Ovelacker, (Zitat Saagpakk) „.. .wird nach dem niederschmetternden Verlust der Söhne stets mit Tieren verglichen. Er ist wie ein „abgejagter Wolf“, „ein Stier“, immer wieder wie ein „Bär“ und einmal wird er sogar mit einem „gewaltigen Affen“ verglichen, das wie ein direktes Zitat aus der traditionellen Kolonialkultur anmutet. Ovelackers Figur wird selbst im Moment seines größten Schmerzes nicht mit einem Tier verglichen.“

Ob es sich bei dieser Hervorhebung des Dunklen, Animalischen bei Esten und Letten um ein Anprangern des (unterstellten) gewohnten Klischees der Baltendeutschen handelt oder ob auch Schaper diesem Klischee verfällt, beantwortet die Referentin nicht. Da Schaper aber eindeutig die Partei der Esten ergreift, ja, das estnische Schicksal fast wie sein eigenes wahrnahm, muss wohl ersteres angenommen werden. Den Schluss gestaltete Schaper versöhnlich: Ovelacker erkennt die liebe als einzig sinnvolle Geste, er reicht seinem Hauptgegner Koiri die Hand.

Kathrin Laine Lethma M.A., Oldenburg, beschäftigte sich ebenfalls mit dieser Problematik. „Kulturträgertum“ versus „Unterdrückungstrauma“ – das deutschbaltisch-estnische Verhältnis in Edzard Schapers Roman „Der Henker“. Sie bezeichnete das besondere Verhältnis der Deutschen und Esten als „schwierige Verwandtschaft“ oder, Wilfried Schlau zitierend, „kühle Nachbarschaft“. Im sorgfältig recherchierten geschichtlichen Rückblick skizzierte sie ein Bild der nationalen Bewegung der baltischen Völker, das in den in „Der Henker“ geschilderten Geschehnissen schließlich seinen Kulminationspunkt findet.

Im August 1939 übersiedelte Schaper vorübergehend nach Deutschland, auf Schloss Walbeck im Harz vollendete er (1940) den Roman „Der Henker“. Die Erstausgabe trägt die Widmung „Allen meinen baltischen Freunden und dem verlassenen Lande in der Zuneigung an meine Frau“. Im Frühjahr 1940 kehrte er erneut nach Estland und zu seiner Familie zurück, inzwischen waren zwei Töchter geboren.

Zu dem für uns nervenaufreibend erscheinendem Leben zwischen den verschiedenen Ländern und politischen Ausrichtungen meinte Schaper in seinem Essay „Alte und neue Heimat“: „In Estland fand ich alles wieder: Norden und Osten, eine meiner „Heimat“ im herkömmlichen Sinne täuschend ähnliche Welt, in der mir dann im Laufe eines Jahrzehnts alles nur täuschend Ähnliche mit dem stillen unmerklichen Prozess eigenen Lebens, wie es einem gegen die Mitte der Lebensjahre hin zuwächst, zur Wahrheit und Gleichheit und zur vollen Identität zwischen Mensch und Welt werden sollte. …Es leben ja Millionen heute dort, wohin sie „eigentlich“ gar nicht gehören. Und das muss man nicht nur hinnehmen, sondern man muss es annehmen.“

Schaper wird Mitarbeiter an der „Ostsee-Zeitung“ und der United Press. Im August 1940 muss er seine geliebte Wahlheimat Estland verlassen – die Sowjets stehen schon an der Grenze. Über Schweden, von wo aus er als Korrespondent der „Berliner Börsen-Zeitung“ arbeitet, geht er nach Finnland, denn auch die Russen hatten ihn in Abwesenheit zum Tode verurteilt.

Die „Finnische Zeitgeschichte in Edzard Schapers Texten und Übersetzungen“ hatte sich Dr. Kai H. Patri von der Universität Thorn/Torun zur Bearbeitung ausgewählt In einem exzellenten Vortrag gab er einen Hintergrundbericht zur Geschichte Finnlands der Jahre 1908-1949, die durch die russische Revolution von 1905 geprägt ist. Der Zusammenbruch der Zarenherrschaft brachte Finnland im Dezember 1917 die Unabhängigkeit, stürzten das Land 1918 jedoch auch in einen bluti¬gen Bürgerkrieg. Der Sieg unter Carl Gustav Mannerheim wenige Monate später kostete mehr als 30.000 Finnen das: Leben. Fortan gab es Auseinandersetzungen der „Weißen“ (Loslösung Finnlands von Russland) mit den „Roten“, die mit den russischen Bolschewiki fraternisierten. Die folgende finnische Innenpolitik der 20er und 30er Jahre war eine höchst wechselvolle, Edzard Schaper beleuchtete sie später in „Untergang und Verwandlung. Betrachtungen und Reden“ aus dem Jahre 1952.

Patri: „Als die UdSSR im Gefolge des Hitler-Stalin-Pakts Ende November 1939 Finnland angriff, stieß sie auf den einhelligen Widerstand des ganzen Landes, inclusive der Arbeiterschaft – den vielzitierten „Geist des Winterkrieges“. Im Friedensschluss 1940 musste das Land weite Teile Finnisch-Kareliens, u.a. die Region Viborg, an die Sowjetunion abtreten. Dass Finnland 1941-44 im sogenannten Fortsetzungskrieg, nicht als formeller Bündnispartner, aber als „Mitkriegführender“ Deutschlands die Rückeroberung dieser Gebiete zu erreichen versuchte, dürfte bekannt sein“.

In diese Zeit fällt auch Schapers Anwesenheit in Finnland, bzw. an der finnisch-sowjetischen Front. Er berichtete für die Berliner Börsen-Zeitung und verarbeitete seine Erfahrungen später in Erzählungen – „Hinter den Linien“ (1952), „Das Christkind aus den großen Wäldern“ (1952) und dem 1950 erschienenen „Finnischen Tagebuch“, eine über weite Strecken (Zitat Patri) „… Analyse der zeitgenössischen politisch-sozialen Verhältnisse in Finnland bzw. der jüngeren Vergangenheit des Landes, also weit mehr zeitgeschichtliche Detailschilderung als ein privates Reise- oder Kulturtagebuch.“ Welche Reputation Schaper in Finnland hatte, geht aus der Tatsache hervor, dass er 1951 zum Tod Marschall Carl Gustav Mannerheims die Gedenkrede halten durfte.

Auch mit Finnlands Kultur und Geschichte und Sprache machte sich Schaper in den Jahren seines Aufenthalts in Finnland – seine Familie war ihm inzwischen gefolgt – so vertraut, dass er Romane aus dem Finnischen übersetzte, z.B. 1956 „Sterben und Auferstehen“ des 1939 mit dem Nobelpreis ausgezeichneten Frans Eemil Sillanpää.

Am 9.11.1943 erhielt Schaper eine Vorladung zur Musterung nach Berlin. Er floh nach Schweden, am 31.10.1944 sprach der Volksgerichtshof in Berlin sein Todesurteil aus, am 14.12.1944 wurde er von der Staatlichen Ausländerbehörde Stockholm in ein Internierungslager gebracht, seine Ausweisung wegen Verdachts der Spionagetätigkeit für Nazi-Deutschland vorbereitet. Wie gut, dass ihn das Schicksal verschonte, 40 Jahre unermüdlichen Schaffens lagen noch vor ihm, gestorben ist er dann 1984 in Bern in der Schweiz.

Auch Dr. Monika Tokarzewska, Thorn/Torun wagte einen historischen
Rundumschlag „Osteuropäische Geschichte des 20. Jahrhunderts bei Edzard Schaper und Josef Mackiewicz. Ein Vergleich.“ Ein zulässiges Unterfangen, hier schimmerten noch gar nicht angesprochene Aspekte der Werk-Deutung Schapers auf, die Vortragende lieferte ein kluges Hineindenken in die beiden Dichter-Seelen und ihrer Zeit. Bei so viel Zu- und Übereinstimmung war es fast erfrischend, einen Kritiker dabei zu haben: Dr. Thomas Taterka aus Riga. Gefallen zu haben schienen ihm die vier Romane Schapers, die er sezierte, nicht. Es waren „Der Gouverneur“ (1954), „Der Henker“ (1940), „Der Aufstand des Gerechten“ (1963) und „Am Abend der Zeit“ (1970). Taterka mutmaßte, dass Schaper sich nur solche Protagonisten ausgesucht habe, die die „nötige Fallhöhe“ aufwiesen, die zur Dramatik quasi disponiert sind, Rittmeister, Adlige und Priester, als seien nur sie „geschichtsfähig“, er vermisse auch die „Aussteiger-Figuren“.

Taterka bemängelte die Häufung von Stereotypen und verurteilte die zahlreichen Klischees. Man kann sich ihm anschließen, kann über die verschachtelten Bandwurmsätze stöhnen, wenn man beim Lesen die Geduld verliert, kann die anachronistische Erzählweise als zu umständlich für unsere Zeit abtun, seine Detailbesessenheit… Hat man sich aber eingelesen, sich auf diesen grüblerischen Dichter eingelassen, dem oft genug – seine vielen Nervenzusammenbrüche beweisen es – sein Dasein und der Kampf gegen den Zeitgeist des Totalitarismus eine Last war, dann legt man getröstet das Buch aus der Hand. Zu den Letzteren gehört mit Sicherheit Prof. Dr. Barbara Hallensleben, Freiburg/Fribourg – jener Universität, die Schaper 1961 die Ehrendoktorwürde verlieh.

Für Prof. Hallensleben ist Schaper vor allem der religiöse Dichter, dem Grenzerfahrungen sowohl im Physischen als auch im Psychischen nicht fremd waren, der sich nicht scheute, unbequem zu sein und von seinen Zeitgenossen ein Mit- und Nachdenken forderte. Der zu einem Glauben gefunden hat, „der die Erfahrung der Ohnmacht, des Scheiterns, der Schuld, des Nichts einschließt. Seine Hoffnung ist durch Feuer gegan¬gen“, wie es in ihrer Ankündigung zur Ausstellung vom 29.9. – 31.10. 2008 zum 100. Geburtstag Schapers in der Universität Freiburgs hieß.

Sogar das Malinconia-Ensemble Stuttgart unter Leitung von Kammermusiker Helmut Scheunchen unternahm es, mit seinem Programm „Edzard Schaper – Musikalische Lebensräume“ dem – offensichtlich doch nicht vergessenen – Dichter nahe zu kommen.

Bericht von Erika Kip