Deutsche im heutigen Polen und im Kaliningrader Gebiet

Ungewisse Zukunft trotz reicher Tradition?


Internationale Begegnungstagung

der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen, Bonn,
in Verbindung mit der Gemeinnützigen Gesellschaft Albertinum e.V., Göttingen

4.-5. Juni 2016, Hotel Astoria und Collegium Albertinum, Göttingen

koenigsberg

„Deutsche im heutigen Polen und im Kaliningrader Gebiet“, lautete das Thema einer Wochenend-Tagung der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen in Göttingen. Aus dem Untertitel „Ungewisse Zukunft trotz reicher Tradition?“ war etwas von Ernüchterung und Skepsis herauszuhören, und das bestätigte der Ehrenvorsitzende Hans-Günther Parplies gleich bei der Eröffnung.

Dr. Wolf-Dietmar Milger, Hans-Günther Parplies, Prof. Dr. Jürgen Bloech, Tilman Asmus Fischer
Dr. Wolf-Dietmar Milger, Hans-Günther Parplies, Prof. Dr. Jürgen Bloech, Tilman Asmus Fischer

Er begrüßte im Tagungshotel „Astoria“ eine zahlreiche Zuhörerschaft und besonders die Gäste aus Schneidemühl und aus Königsberg. Dann ging er auf die Unterzeichnung des Deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrages am 17. Juni 1991, also vor genau 25 Jahren, ein und erinnerte daran, dass die Vertriebenen seinerzeit die allgemeine Euphorie nicht geteilt hätten. Ihre damalige Skepsis sei berechtigt gewesen.

Tilman Asmus Fischer
Tilman Asmus Fischer

Tilman Asmus Fischer (AGMO, Berlin) zeigte in seinem Vortrag „Das Ende des Kommunismus und das Schicksal der deutschen Volksgruppe jenseits von Oder und Neiße“ denn auch auf, dass manche der damals initiierten Abkommen noch nicht verwirklicht worden seien. Bis Mitte der achtziger Jahre habe man, besonders unter der Militärregierung von Jaruselski, die Existenz einer deutschen Minderheit geleugnet. Die Deutschen sollten als Autochthone polonisiert werden. Erst bei dem Besuch von Bundeskanzler Kohl vom 9. bis 14. November 1989 mit einer Versöhnungsmesse auf Gut Kreisau habe es erste Schritte zur Anerkennung einer deutschen Minderheit gegeben, obwohl sich bereits deutsche Freundeskreise und Kulturvereine gebildet hatten. Denen wiederum habe man revisionistische Bestrebungen vorgeworfen. Die Gesetzgebung sei seit 25 Jahren gut, aber die Umsetzung sei problematisch. Deutsche Schulen oder Deutsch als Unterrichtssprache – das sind noch Ziele für die Zukunft.

Der Vortrag von Tilman Asmus Fischer ist in voller Länge zu sehen im Ostpreußen TV: https://www.youtube.com/watch?v=AF19Mxlo4wo

Barbara Kämpfert
Barbara Kämpfert

„Erfahrungsberichte aus der Praxis grenzüberschreitender Zusammenarbeit“ moderierte Barbara Kämpfert (Kopernikus-Vereinigung, Minden). Edwin Kemnitz aus Schneidemühl stellte die dortige „Deutsche sozial-kulturelle Gesellschaft“ vor. Nach Gründungsschwierigkeiten habe sich heute die Situation in Polen beruhigt, die Gesellschaft bekomme sogar etwas Geld aus Warschau. Man biete Sprachkurse an und arbeite bis auf einen Buchhalter ausschließlich ehrenamtlich.

Dr. Kurt Schneider und Edward Kemnitz
Dr. Kurt Schneider und Edward Kemnitz

Auch Dr. Kurt Schneider, in Sibirien geboren und seit 1993 in Deutschland, konnte von „Deutschen Wochen“ in Odessa, Kiew und Lemberg berichten. Er hob die enge Zusammenarbeit der dortigen Vereine mit Deutschland hervor, die einen regelmäßigen Jugendaustausch durchführen.

 

 

 

 Dr. Jozef Zaprucki und Friedrich Zempel
Dr. Jozef Zaprucki und Friedrich Zempel

Für den interkulturellen Dialog trat Dr. Jozef Zaprucki ein, Germanist und Hochschuldozent aus Hirschberg. Er pflegt besonders die ostdeutschen Dichter, und wenn auch die deutsche Minderheit in Polen aussterbe – polnische Studenten hätten Diplomarbeiten über sie geschrieben –, so sei „die deutsche Seele“ doch in Schlesien zu finden. Er habe mit seinen Studenten mehrmals „Haus Schlesien“ in Königswinter besucht. Friedrich Zempel (Dresden) sah die Entwicklung der Vertriebenenverbände in den neuen Ländern nach der Wende nicht optimistisch. Nach dem anfangs großen Zulauf seien viele Mitglieder ausgetreten, in Sachsen würden die Heimatstuben aufgelöst und das Inventar nach Polen und Tschechien gebracht. Grenzüberschreitende Maßnahmen einzelner Gruppen und Freundschaften zur alten Heimat aber zeugten vom Brückenbau. Das wurde in der anschließenden Aussprache auch als wichtige Aufgabe herausgearbeitet.

Hans-Günther Parplies
Hans-Günther Parplies

Über die Entstehung und Entwicklung des Göttingen „Collegium Albertinum“, das als Wohnheim und Begegnungsstätte für ostpreußische Studenten in den fünfziger Jahren gegründet wurde und lange als Veranstaltungsort für ostdeutsche Kultur wirkte, berichtete Hans-Günther Parplies, der den Aufbau des Hauses über Jahre hinweg maßgeblich begleitet hatte. Ein Anliegen der Tagung war nicht zuletzt, die Tradition „Collegium Albertinum“ verstärkt lebendig werden zu lassen.

Prof. Dr. Jürgen Bloech
Prof. Dr. Jürgen Bloech

Der zweite Teil der Tagung fand so auch am folgenden Tag im Vortragssaal des „Collegium Albertinum“ statt. Im Mittelpunkt der Vorträge stand das nördliche Ostpreußen, das heutige Kaliningrader Gebiet. Prof. Dr. Jürgen Bloech (Göttingen) referierte über „Landwirtschaft in Ostpreußen – Historische und aktuelle Aspekte“. Unter schweren Bedingungen schufen deutsche Bauern in 700 Jahren eine Kornkammer für Deutschland und Europa. Der Referent hob die züchterischen Leistungen hervor, das zum Mythos gewordene Trakehner Pferd und das für seine hohen Milch- und Fleischerträge bekannte Rind. Die Vertreibung der Deutschen und die jahrelange Benutzung des Landes als militärisches Übungsgebiet veränderten die Strukturen völlig.

Dr. Barbara D. Loeffke
Dr. Barbara D. Loeffke

Der Vortrag vertiefte die Feststellung der ostpreußischen Landesvorsitzenden von Niedersachsen Dr. Barbara Loeffke, die in ihrem Grußwort betont hatte, dass die ostpreußischen Landwirte am wenigsten „integriert“ werden konnten, da sie im Westen kaum ihren verlorenen ökonomischen und sozialen Status wiedererlangten.

 

 

Pastor Wladimir Michelis
Pastor Wladimir Michelis

Aus Königsberg war Pfarrer Wladimir Michelis angereist, der „Zur Lage der evangelisch-lutherischen Kirche im Gebiet Königsberg/Kaliningrad“ sprach. Erst mit Perestroika habe es religiöses Leben im Gebiet gegeben, Ende 1990 die ersten lutherischen Gottesdienste. Die Gemeinden, von den Deutschen aus Russland gebildet, dezimierten sich im Laufe der Jahre, da die Mitglieder nach Deutschland auswanderten, so Michelis. Heute gebe es noch 29 Gemeinden mit insgesamt 800 Mitgliedern. Das Verhältnis zur Russisch-Orthodoxen Kirche (ROK) stellte der Referent als schwierig dar, da die ROK den Anspruch als einzig wahre Kirche erhebe und nur bei caritativen Aufgaben zur Zusammenarbeit bereit sei.

Prof. Dr. Dr. h.c. Udo Arnold
Prof. Dr. Dr. h.c. Udo Arnold

Den Abschluss der Tagung bildete der fundierte Vortrag von Prof. Dr. Udo Arnold (Bonn) „Vom Ordensstaat zum Herzogtum – Preußen als erstes protestantisches Fürstentum“. Die Zuhörer erhielten einen umfassenden Einblick in die politischen Verhältnisse des frühen 16. Jahrhunderts und einen Eindruck von der damals unvorstellbaren Entscheidung des Hochmeisters Albrecht von Brandenburg, den Orden zu verlassen und 1525  Herzog in einem evangelischen Land zu werden.

Blick ins Plenum
Blick ins Plenum

Die Teilnehmer äußerten den Wunsch, den Vortrag nachlesen zu können. Dem wird die Kulturstiftung mit einem Ergebnisband zur Tagung nachkommen, der Ende 2016 erscheinen soll.

 

Bärbel Beutner