Reformation und Reformatoren im Südosten

Vortragsnachmittag der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen in Zusammenarbeit mit dem Collegium Albertinum, Göttingen

Bildete im Jahr 2017 der Wittenberger Thesenanschlag Martin Luthers vor genau 500 Jahren den Anlass für das mit einer Vielzahl von Publikationen, Veranstaltungen und Medienberichten begangene Reformationsgedenken, so brachte dies zwangsläufig eine Fokussierung auf die Reformation Lutherischer Prägung mit sich. Für die Heimatregionen der deutschen Vertriebenen, insbesondere die außerhalb der früheren Reichsgrenzen gelegenen Landschaften und Territorien des mittleren und östlichen Europa, deren evangelische Prägung bis heute lebendig ist oder zumindest nachwirkt, gilt es indes, die beachtliche konfessionelle Vielfalt zu beachten, die sich nicht allein unter Einfluss Luthers, sondern auch bereits vor ihm, neben ihm und nach ihm entfaltete.

Hans-Günther Parplies und Prof. Dr. Jürgen Bloech

Die dortigen Entwicklungen von fachkundiger Seite zu beleuchten, unternahm die Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen im Zusammenwirken mit der Göttinger Gemeinnützigen Gesellschaft Albertinum mittels einer vom BdV-Landesverband Niedersachsen geförderten Vortragsreihe. Im Herbst 2017 wurden, nachdem bereits Ostpreußen, Pommern und Schlesien thematisiert worden waren, die Böhmischen Länder, Oberungarn und Siebenbürgen in den Blick genommen, Regionen, die in je eigener Weise von den reformatorischen Bestrebungen ergriffen und geprägt wurden.

Blick ins Plenum

Zahlreiche Interessenten, keineswegs nur aus Göttingen selbst, sondern auch auswärtige Sudetendeutsche und Mitglieder der Kreisgemeinschaft der Siebenbürger Sachsen sowie Mitglieder des Akademischen Freundeskreises Ostpreußen konnten Hans-Günther Parplies, Ehrenvorsitzender der Kulturstiftung, und Prof. Dr. Jürgen Bloech, Vorsitzender der Gemeinnützigen Gesellschaft Albertinum, im Collegium Albertinum begrüßen.

Dr. Harald Roth, Potsdam

Haben sich die mit Kultur und Geschichte der historischen deutschen Ost- und Siedlungsgebiete befassten Institutionen bemüht, die im Gedenkjahr unterrepräsentierte Entwicklung der Reformation in diesen Regionen nachzuzeichnen, so gilt dies nicht zuletzt für das Deutsche Kulturforum östliches Europa in Potsdam, das hierzu eine vielbeachtete Wanderausstellung nebst diversen Begleitheften präsentiert hat. Dessen Direktor Dr. Harald Roth, selbst Siebenbürger Sachse, widmete seinen Göttinger Vortrag nun der Einführung der Reformation in Siebenbürgen, für die als Repräsentant Johannes Honterus steht. Machte sich, so Dr. Roth, in den ungarischen Städten bereits seit den frühen 1520er Jahren der Einfluss reformatorischer Ideen bemerkbar, erfolgte der Durchbruch doch erst nach der Dreiteilung Ungarns und der Verselbständigung des Fürstentums Siebenbürgen im Jahre 1541.

Johannes Honterus, nach Holzschnitt um 1550

Honterus, ein umfassend humanistisch gebildeter Handwerkerssohn, also kein Theologe, wurde Stadtpfarrer in Kronstadt. Er enthielt sich politisch klug sowohl Angriffen auf die alte Kirche als auch des ausdrücklichen Bezuges auf die Wittenbergische Reformation. Verstand man sich dabei in Kronstadt, anders als in Hermannstadt, zunächst noch als Teil der Katholischen Kirche, so vollzog 1544 die gesamte „Sächsische Nation“, also der bürgerliche deutsche Stand des Fürstentums, den Bruch mit ihr offiziell, erließ man 1550 eine Kirchenordnung aller Deutschen, die das gesamte klassische Programm der Reformatoren enthielt.  Entsprechend dem auf Konsens ausgerichteten Zusammenwirken der Stände – Deutsche, Adel, Szekler – blieb in der Folge jedoch die Glaubensfreiheit der Anhänger von lutherischem und katholischem Glauben gewahrt, wurde diese bald auch den Anhängern des schweizerischen (reformierten) Glaubens sowie des Anti-Trinitarismus zugestanden. Ebenso tolerierte man die im Lande allerdings nur gering vertretene Ostkirche. Den die Oberhoheit über Siebenbürgen ausübenden muslimischen Osmanen waren die Konfessionsfragen im Übrigen völlig gleichgültig, so dass es auch noch im frühen 17. Jahrhundert keinerlei Versuche der Durchsetzung einer bestimmten Konfession gab, anders als in den benachbarten habsburgischen Gebieten. Die deutschen Städte Siebenbürgens profitierten damals vielmehr von der katholischen Gegenreformation, da man lutherische Glaubensflüchtlinge in den Städten gerne aufnahm. Nach der Zurückdrängen des Osmanen durch die Habsburger in den 1680er Jahren waren die siebenbürgischen Stände geschickt genug, dem Kaiser die Zusicherung ihrer Landesverfassung abzuringen und damit die Religionsfreiheit zu behaupten. Spätere kaiserliche Toleranzedikte blieben somit für Siebenbürgen ohne Belang.

Prof. Dr. Rudolf Grulich, Nürnberg

Prof. Dr. Rudolf Grulich, gebürtiger Sudetendeutscher, Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Kirchengeschichte von Böhmen-Mähren-Schlesien in Nidda, beschrieb die Reformation in den Böhmischen Ländern, näherhin in Böhmen, Mähren und Sudetenschlesien, zudem in Oberungarn, d.h. in der unter der Stephanskrone stehenden heutigen Slowakei. In den Böhmischen Ländern wirkten demnach bereits vor dem 16. Jahrhundert als Träger berechtigter Kirchenkritik Petrus Waldes und Jan Hus, auf die sich Luther später, nach dem Ende des radikalen Hussitentums, berufen sollte, ohne ihnen allerdings einen direkten Einfluss auf die Entwicklung seiner Theologie zuzusprechen.

 

Jan Hus nach Holzschnitt von Johann Agricola, 1562

Luthers Gedanken und die deutsche Reformation stießen in Böhmen auf fruchtbaren Boden, zumal der Habsburgische König Ferdinand I. die Gewissensfreiheit der protestantischen Stände zunächst akzeptierte. Erst nach dem Ende des Schmalkaldischen Krieges 1547 bzw. des gegen ihn gerichteten böhmischen Aufstands verweigerte der König den Ständen, anders als in Österreich, unter Berufung auf seinen Krönungseid die Zulassung der Confessio Augustana von 1530, unternahm er eine planmäßige Rekatholisierung. Trotz großer Spannungen im nichtkatholischen Lager entstand in der Folge im Zusammenwirken von Lutheranern, Neu-Utraquisten und Böhmischen Brüdern im Jahre 1575 die Confessio Bohemica, die von den Ständen Kaiser Maximilian II. als „einhelliges Glaubensbekenntnis“ übergeben und von diesem unter mündlicher Zusicherung der freien Ausübung der Religion anerkannt wurde.

Noch vor der Confessio Bohemica formulierte man in Oberungarn 1559 die Confessio Montana und zwei weitere Bekenntnisschriften deutscher Städte. Auch hier stand man in der Tradition der Hussitenbewegung und des Waldensertums sowie unter dem Einfluss der Lutherischen Reformation. Ein Vergleich der vier von Kaiser Ferdinand I. als König von Ungarn anerkannten Bekenntnisschriften zeigt deren enge Anlehnung an die Confessio Augustana, jedoch unter weitgehendem Verzicht auf deren Kritik an der Katholischen Kirche. Gemäß Professor Grulich hätten die genannten, auf Versöhnung angelegten Confessiones, wie auch später die Confessio Bohemica, das Potential gehabt, ein gemeinsames Glaubensverständnis mit der alten Kirche zu erzielen.

Votivbild aus der ungarndeutschen Kolonistengemeinde Györköny, 1724

Bis heute überdauern die aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen und Glaubensgemeinschaften in der betrachteten Region, im rumänischen Siebenbürgen so auch die deutschsprachige, allerdings durch Auswanderung stark geschwächte Evangelische Kirche A.B., so dass sich dort ein buntes Bild der Kirchen in einem Staat bietet, dessen Bevölkerung zu über 80 % der orthodoxen Kirche angehört. Stellen die Angehörigen der vielfältigen reformatorischen Kirchen in der heutigen Slowakei eine schwache Minderheit gegenüber der katholischen Mehrheit dar, so stehen diese in Tschechien gar gemeinsam mit den Katholiken einer ganz überwiegend glaubensfernen Gesellschaft gegenüber. Sich mit der Zeit der Konfessionalisierung näher zu beschäftigen, die damals entstandenen, auf die Verständigung und Versöhnung der verschiedenen Bekenntnisse ausgerichteten Confessiones ernst zu nehmen, kann in dieser Situation, wie Professor Grulich abschließend ausführte, als Chance für die Christen begriffen werden – auch über die Region hinaus.

Dr. Ernst Gierlich