Vortragsnachmittag der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen in Zusammenarbeit mit dem Collegium Albertinum, Göttingen
Martin Luthers berühmter Thesenanschlag von 1517 markiert den Beginn der Reformation – ein Ereignis, das in seinen Auswirkungen auf Politik, Religion, Kultur und Gesellschaft weltgeschichtliche Bedeutung erlangte. Mit einer Vielzahl kirchlicher, staatlicher und kultureller Projekte werden im Jahr 2017 in Deutschland die verschiedenen Bedeutungsebenen der Reformation beleuchtet. Was hierbei jedoch in den Hintergrund zu treten droht, ist die Entwicklung der Reformation in den innerhalb und außerhalb der damaligen Reichsgrenzen gelegenen Landschaften des historischen deutschen Ostens, Regionen, die Wesentliches zum Durchbruch der reformatorischen Ideen beigetragen haben.
Diese von fachkundiger Seite zu betrachten, war bzw. ist die Intention zweier von der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen gemeinsam mit dem Collegium Albertinum in Göttingen und dem BdV-Landesverband Niedersachsen e.V. durchgeführter Vortragsveranstaltungen. Behandelt werden – nachdem im vergangenen Jahr bereits Ostpreußen thematisiert wurde – Pommern, Schlesien, die Böhmischen Länder und Siebenbürgen, mithin Regionen, die in je eigener Weise von reformatorischen Bestrebungen ergriffen und geprägt wurden.
Den ersten Vortragsnachmittag im Göttinger Collegium Albertinum gestaltete Pfarrer Mag. theol. Ulrich Hutter-Wolandt aus Berlin mit Vorträgen über die Reformation in Pommern und in Schlesien. Der Referent, der bereits mehrere Bücher zum Thema der schlesischen Kirchengeschichte verfasst hat und Mitglied im Vorstand des Vereins für Schlesische Kirchengeschichte ist, stellte den 1485 im pommerschen Wollin geborenen Johannes Bugenhagen vor, der zunächst als Schulrektor im bei Treptow an der Rega gelegenen Prämonstratenserstift Belbuck wirkte und dabei die „Pomerania“ schuf, ein Werk, das nicht nur eine Materialsammlung zur Geschichte Pommerns bot, sondern auch in eine umfassende Darstellung der pommerschen Geschichte münden sollte – eine absolute Pionierarbeit.
Bugenhagens Hinwendung zur Reformation erfolgte im Jahre 1520 über die Auseinandersetzung mit der Luthers Schrift „Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche“. 1521 machte Bugenhagen sich nach Wittenberg auf, wo er Luther noch vor dessen Abreise zum Wormser Reichstag begegnete und sich für das Studium der Ev. Theologie an der Universität einschrieb. Es folgte die Veröffentlichung einer Reihe biblischer Bücher, Promotion und 1535 Ernennung zum Professor der Theologie in Wittenberg. 1523 bereits wählten der Rat und die Kirchengemeinde den „Priester Johann Pomer“ zum Pfarrer an der Stadtkirche St. Marien – ein Amt das er bis zu seinem Tode 1558 mit großem Engagement ausfüllen sollte.
Hutter-Wolandt stellte die besonderen Verdienste des Pommern bei der kirchen- und ordnungsrechtlichen Gestaltung der jungen reformatorischen Kirche heraus. Wo immer es um die Neugestaltung der Kirchenordnungen ging, wurde Bugenhagen gerufen. Wichtige Stationen waren: Braunschweig, Braunschweig-Wolfenbüttel, Hildesheim, Hamburg, Lübeck, Holstein, Schleswig sowie Dänemark und Norwegen. Insofern war er neben Melanchthon und Lucas Cranach eine entscheidende Figur für die Ausbreitung und Absicherung der Reformation. Nicht zuletzt aber aus seiner pommerschen Heimat kamen Anfragen zur Einführung der Reformation. Im Jahre 1534 hielt sich Bugenhagen im Zusammenhang einer Visitation in Belzig auf; hier erreichte ihn die Anfrage, zum Landtag nach Treptow a.d. Rega zu kommen, um dort an den Beratungen Verhandlungen zur Einführung der Reformation teilzunehmen. Es sollte eine Ordnung für ein ganzes Territorium geschaffen werden, in dem Ansprüche der Fürsten und lokale Begebenheiten zu berücksichtigen waren. Mit der schon 1535 in Wittenberg im Druck erschienenen Kirchenordnung Pommerns schuf Bugenhagen die Grundlage für die weitere Gestaltung kirchlichen Lebens im Herzogtum.
Ganz anders gestaltete sich die Entwicklung der Reformation in Schlesien. Am Ende des Mittelalters war die Lage der Kirche im zur Krone Habsburgs gehörenden Schlesien von stetem Niedergang bestimmt, der mit in verstärkter Laienfrömmigkeit und dem Aufkommen humanistischen Gedankengutes einherging. Es blühten zu dieser Zeit die Wissenschaften, und das Land schien berufen eine führende Stellung auf wissenschaftlichem Gebiet zu übernehmen.
So entwickelte sich innerhalb der Kirche am Ende des 15. Jahrhunderts ein starker Unwille gegen den geistlichen Stand, nicht nur beim einfachen Kirchenvolk, sondern auch bei den meisten schlesischen Fürsten. Sie nahmen hier Gedanken auf, die zu Beginn des Jahrhunderts über Böhmen nach Schlesien gekommen waren und zum Ziel hatten, die freie Predigt des Evangeliums in der Muttersprache zu ermöglichen. Besonders der Ablasshandel mit seinen hohen Geldforderungen ließ Unmut gegen die Kirche aufkommen. Diese Missstimmung im Volk erkannte auch das Breslauer Domkapitel und versuchte die Fortsetzung der Ablasspredigt zu verhindern. Doch nicht nur dies trug zu einer antirömischen Stimmung bei.
Über die Anfänge der Reformation in Schlesien fehlen sichere Belege. Es lässt sich nicht im Einzelnen nachweisen, wann und wo die Gedanken Luthers in Schlesien zuerst auftraten. Aus den Protokollen des Breslauer Rates wissen wir, dass dies sehr früh geschehen sein muss, sicherlich aber nicht vor 1519. Mittler waren wohl Studenten und Kaufleute, die über Wittenberg die reformatorische Botschaft nach Schlesien brachten. Besonders die Leipziger Disputation von 1519 förderte in Schlesien das Interesse für die “causa Lutheri”. Im Jahre 1520 musste das Breslauer Domkapitel einräumen, dass es in der Stadt eine Lutherische Partei gebe. Schon im Jahre 1522 gibt es Belege dafür, dass zum Beispiel in Freystadt, im Breslauer Bernhardinkloster St. Jakob und in Neukirch/a. Kynast evangelisch gepredigt wurde.
Schlesien war indes kein einheitliches Territorium wie etwa der Ordensstaat Preußen oder das Herzogtum Pommern, in denen die Reformation obrigkeitlich eingeführt wurde. Wohl stand Schlesien bis 1526 unter der Oberherrschaft der böhmischen Krone und gehörte seit 1526 zum Hause Habsburg. Aber es war aufgeteilt in eine Fülle von Herzog- und Erbfürstentümern sowie Standesherrschaften. Die Landesherren hatten am Ausgang des Mittelalters zahlreiche Rechte von der Kirche in ihren Territorien erworben, unter denen das Besetzungsrecht der geistlichen Stellen besonders wichtig war. Die jeweilige religiöse Einstellung des Landesherrn war also dafür maßgeblich, ob und wann er sein Gebiet der Reformation öffnete. Es hat deshalb auch in Schlesien keine prägende Reformatorengestalt wie etwa im Preußenland Herzog Albrecht, in Pommern Johannes Bugenhagen oder in Siebenbürgen Johannes Honterus gegeben. Aus diesem Grund kann man die Reformationsgeschichte in Schlesien nicht im Ganzen betrachten; vielmehr hat jedes einzelne Gebiet in Schlesien seine eigene Reformationsgeschichte. Hutter-Wolandt stellte beispielhaft ausgewählte Regionen vor: Breslau, die Fürstentümer Liegnitz-Brieg-Wohlau, die Grafschaft Glatz und Oberschlesien.
Es war ein spannender Nachmittag, der nicht nur bei den Teilnehmern zu vielen kirchenhistorischen Fragen anregte, sondern auch das Verhältnis von Kirche und Staat und die Rolle der Kirche in dieser Gesellschaft thematisierte. Vergleichbares ist für den zweiten Vortragsnachmittag am 14. Oktober 2017, zu erwarten, bei dem an gleicher Stelle die nicht minder vielfältige Entwicklung der Reformation in den Regionen des Südostens in den Blick genommen werden soll.